Silicon Valley

Wo Start-ups sich erheben

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Das Silicon Valley gilt als weltweit bedeutendster Standort der IT-Industrie. Der Erfolg von Technologiekonzernen wie Apple hat viele Start-ups in diese Gegend gelockt. Ein Bericht aus Kalifornien.

Wer mit dem Flugzeug in San Francisco ankommt, merkt schnell, wo er gelandet ist. Nur in dieser Stadt begrüssen einen bereits am Flughafen grossflächige Werbeplakate von IT-Unternehmen wie Netapp, VMware, Cisco oder Oracle. Auch ein Blick auf die Zahlen bestätigt diesen ersten Eindruck: Über die Hälfte der hundert grössten IT-Firmen wurden im nahegelegenen Silicon Valley gegründet, das sich südlich von San Francisco bis nach San José erstreckt. Ein besonders berühmtes Beispiel ist Apple. 1976 gründeten Steve Jobs, Steve Wozniak und Ronald Wayne das Unternehmen in der Garage von Jobs’ Eltern im Städtchen Los Altos, das im Herzen des Valleys liegt.

Apple ist heute längst zum Weltkonzern geworden. Woche für Woche schiessen im Silicon Valley aber neue Start-ups aus dem Boden, die den Fortschritt in der IT weiter vorantreiben – und vielleicht schon in fünf Jahren ebenfalls Grossunternehmen sein werden. Doch wieso versuchen viele IT-Spezialisten hier ihr Glück mit der Gründung einer eigenen Firma? "Die Möglichkeiten, an Risikokapital zu gelangen, sind ausgezeichnet. Für Jungunternehmen ist dies von grosser Bedeutung," antwortete Ross Mason, Firmengründer von Mulesoft, beim Besuch in San Francisco im Rahmen einer organisierten Pressereise im Juni.

Von Entwicklern für Entwickler

Mason ist Engländer und arbeitete früher bei verschiedenen Investmentbanken, unter anderem bei der Credit Suisse und UBS, bevor er 2006 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Das Hauptprodukt seiner Firma ist die Anypoint- Integrationsplattform, die serviceorientierte Architekturen (SOA), SaaS-Integration und APIs verbindet. "Die Idee, mich selbstständig zu machen, erwuchs in mir durch die Unzufriedenheit in meinen alten Jobs", nannte er als Hauptgrund für den Sprung ins Entrepreneur- Leben. Als Softwarearchitekt sei er mit unbefriedigenden Werkzeugen konfrontiert gewesen. "Ich hatte das Gefühl, dass die Tools gegen und nicht für uns arbeiteten. So entstand bei mir die Idee, eine Plattform von Entwicklern für Entwickler zu schaffen."

Dass Mason seine Firma nicht in seiner Heimatstadt London gründete, sondern in San Francisco, hatte verschiedenste Gründe, nicht nur die Möglichkeit, einfach an Kapital zu gelangen. "Wir befinden uns am bedeutendsten Standort der IT-Industrie überhaupt, fähige Mitarbeiter finden wir hier schnell." Vor allem die Nähe zu Eliteuniversitäten wie Stanford oder Berkeley garantiere Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften.

Hohe Lohnkosten im Valley

Masons Optimismus bezüglich Personal teilt der Franzose Jérôme Lecat nur beschränkt. Er ist CEO des Start-ups Scality. Dieses will mit einer Scale-out-Storage-Lösung namens Scality Ring exponentielles Datenwachstum managen, dabei eine hohe Verfügbarkeit garantieren und eine Reduktion der Betriebskosten ermöglichen. Wie Lecat erklärte, begann Scality in Paris, verschob den Hauptsitz mit den "Executives" aber bald nach San Francisco. «Unser Management ist hier, weil in dieser Gegend die neuen Ideen entstehen – und wer diese verpasst, der ist schnell weg vom Fenster.»  Im Gegensatz zum Management habe man die Softwareentwickler aber in Paris gelassen, erklärte Lecat weiter. Von den insgesamt 85 Angestellten der Firma arbeiten daher nach wie vor deren 60 in Frankreich. Der Grund hierfür ist eher banal: "Im Silicon Valley muss ich einem Entwickler bis zu 200 000 Dollar Jahresgehalt bezahlen. In Paris findet man bereits für die Hälfte ausgezeichnete Leute", so Lecat. Ausserdem wollten die Angestellten in den USA meist hohe Aktienoptionen (terminierte Bezugsrechte auf Aktien des Unternehmens) und im Idealfall noch "ein cooles, stylisches Büro mit Fitnessstudio, guter Aussicht und einem Billardtisch."

Es geht nicht nur ums Geld

Auch was das Kapital anbelangt, äussert sich Lecat anders als Mason: «Es geht nicht so sehr ums Geld. Viel wichtiger ist, dass die Risikokapitalgeber aus dem Silicon Valley genau wissen, was es braucht, um ein Start-up zum Erfolg zu führen.» Ratschläge und das Beziehungsnetz der Geldgeber seien also der eigentliche Schlüssel zum Erfolg, nicht das Geld selbst. Den Besuch der Journalisten in San Francisco nutzte Lecat ausserdem, um eine aktuelle Erfolgsmeldung zu verbreiten. Die Macher des Videoportals Dailymotion haben sich vor kurzem entschieden, bei der Speicherung und dem Streaming von 40 Millionen Videos auf Scality zu setzen. Dailymotion habe insgesamt 120 Millionen Unique Visitors pro Monat. "Die Menge an Inhalten und die grosse Nutzerzahl beweisen, wie nützlich unsere skalierbare Architektur ist", so Lecat.

Proaktives Application Performance Management

Wie Scality in San Francisco zuhause ist die 2008 von Jyoti Bansal gegründete Firma Appdynamics. Das Start-up beschäftigt etwa 180 Mitarbeiter, wobei diese im Gegensatz zu Scality grösstenteils am Hauptsitz arbeiten. Dieser entspricht übrigens dem, was Jérôme Lecat mit "coolen, stylischen Büros" gemeint hatte: Beim Eingang können die Angestellten ihre bunten Rennvelos parkieren, das Grossraumbüro gleicht einer Loft-Wohnung und in der Cafeteria steht ein Retro-Spielautomat, Marke Sega.

Das Geschäftskonzept von Appdynamics ist schnell erklärt: "Wir betreiben ein modernes, auf die Komplexität heutiger Anwendungssysteme ausgerichtetes Application Performance Management", sagte Pete Abrams, Vice President Customer Centric Innovation. Natürlich sei Application Performance Management (APM) nichts Neues, aber viele der gängigen Tools seien für einfache, monolithische Anwendungen der frühen 2000er Jahre entwickelt worden. Heutige Anwendungsarchitekturen seien geprägt von einer starken Dezentralisierung, wobei Abrams als Begründung für diese Entwicklung Technologien wie Cloud, SOA und Virtualisierung nannte.

Mit solchen Schwierigkeiten umzugehen sei die Stärke des APMs von Appdynamics, das folgendermassen funktioniert: In einem ersten Schritt erstellt es ein Verzeichnis der gesamten Anwendungsarchitektur. Danach beginnt das APM sämtliche geschäftskritischen Transaktionen zu überwachen. Ziel ist es, zu sehen, wenn eine Applikation nicht die gewünschte Performance erbringt, um innert Sekunden reagieren zu können. Probleme entstünden so gar nicht erst und könnten proaktiv behoben werden.

Rechtsstreit mit CA Technologies

Doch wie entwickelte Appdynamics seine APM-Technologie? Mit besonders talentierten Entwicklern? Bei CA Technologies sieht man das nicht so. Der Tech-Gigant aus dem US-Bundesstaat New York verklagte das Start-up im letzten April. Die Anschuldigung: Appdynamics habe patentierte Technologien von CA Technologies gestohlen. CEO Bansal zeigte sich ob des Streits mit CA nicht weiter besorgt: "Wir sind im Recht und haben keine Patente verletzt." Und weiter: "Ich finde es schade, dass CA uns verklagt, anstatt mit uns mittels Innovationen zu konkurrieren."

Erwartungsgemäss teilt man bei CA diese Einschätzung nicht: "Wir finden es schade, dass Appdynamics lieber unseren Code verwendet, anstatt selbst innovativ zu sein", sagte ein Sprecher auf Anfrage. Besonders pikant an der Angelegenheit: Bansal arbeitete früher als Software-Ingenieur bei Wily Technology, eine Firma, die CA Technologies 2006 aufkaufte. Die Patente, um die heute gestritten wird, hatte Bansal als Angestellter von Wily mitentwickelt. Erhält CA vor Gericht gegen Appdynamics Recht, so würde dies de facto bedeuten, dass Bansal den Code stahl, den er einst selbst mitschrieb. Der Prozess soll in einem Jahr stattfinden – bis zu einem definitiven Entscheid dürfte es also noch eine Weile dauern, und vorerst gilt die Unschuldsvermutung.

Ein Star am Big-Data-Himmel

Im Gegensatz zu den in San Francisco ansässigen Firmen Appdynamics, Scality und Mulesoft befindet sich Hortonworks in Palo Alto. Das Städtchen ist bekannt als Standort des HP-Hauptsitzes oder weil Facebook-Chef Mark Zuckerberg dort wohnt. Hortonworks wurde 2011 als Spin-off von Yahoo gegründet. Innert dreier Jahre wuchs die Zahl der Mitarbeiter von 24 auf 420.

Hortonworks hat sich auf Hadoop spezialisiert. Das in Java geschriebene, freie Framework für skalierbare, verteilt arbeitende Software ermöglicht es, Rechenprozesse im Big-Data- Umfeld auf Clustern verteilt durchzuführen. Oder mit den Worten von Mike Gaultieri von Forrester: "Hadoop ist das Big-Data-Betriebssystem." Das Produkt von Hortonworks trägt den Namen Hortonworks Data Platform (HDP) und ist bereits in Version 2.1 verfügbar. Es ist eine grosse Enterprise-Open-Source-Hadoop- Distribution. Grösster Konkurrent von Hortonworks ist derzeit Cloudera, das mit CDH ebenfalls eine Hadoop-Distribution anbietet.

Hortonworks hebt sich dadurch hervor, dass die Firma sämtliche Entwicklungen im Rahmen der Prozesse der Apache Software Foundation durchführt, die für die Entwicklung von Hadoop verantwortlich ist. Somit ist der Code von Hortonworks vollständig Open Source, und es gibt keinerlei proprietäre Erweiterungen. "Als wir dieses Modell unseren Investoren vorschlugen, sagten sie uns zuerst: Ihr spinnt!", erklärte Präsident Herb Cunitz lachend während des Besuchs. Trotzdem scheint sein Dienstleistungsmodell zu funktionieren. Nebst grossen US-Firmen wie Microsoft oder HP verfügt Hortonworks mit der Musikplattform Spotify auch über einen bekannten europäischen Kunden, der etwa 1000 Knoten mit Hadoop betreibt. Analysten prophezeien Hortonworks steiles Wachstum, wobei eine im April erfolgreich abgeschlossene 100-Millionen-Dollar- Finanzierungsrunde diesbezüglich ein glaubwürdiger Indikator ist.

Niemals aufgeben

Das Silicon Valley, mit seinem grossen Cluster an Technologiefirmen, guten Ausbildungsstätten und vielen Risikokapitalgebern ist also ein idealer Standort, um den Grundstein einer neuen IT-Firma zu legen. Doch auch hier ist nicht alles Gold was glänzt. Nicht allen Startups läuft es so gut wie Scality, Mulesoft, Hortonworks oder Appdynamics. Das Schicksal, keine Kapitalgeber zu finden, ist in Kalifornien wohl bekannt: Laut Zahlen von 2013 findet im Valley nur eines von zehn Jungunternehmen die notwendige finanzielle Unterstützung bei den Investoren. Wer Erfolg haben will, braucht also auch hier ein grosses Mass an Durchhaltewillen – und muss damit rechnen, allenfalls zu scheitern. "In einem solchen Fall ist es wichtig, sofort weiterzumachen und niemals aufzugeben", so Cunitz’ Empfehlung. Manchmal muss man das Glück eben auch ein bisschen erzwingen.

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