Kanadischer Internetaktivist

Copyrights versus Menschenrechte: Cory Doctorow in Zürich

Uhr | Aktualisiert
von Claudio Dionisio

Gestern sprach der Autor und Aktivist Cory Doctorow vor vollem Haus zum Thema "Die neue Politik des Copyrights und die Kultur der befreiten Ökonomie". Dabei kritisierte er Regierungen und grosse Medien- und IT-Unternehmen scharf. Zudem wurden Lösungen für eine neue Wertschöpfungskette der Urheberrechte durchaus kontrovers diskutiert.

Cory Doctorow in Zürich Bild: Alessandro Rimoldi
Cory Doctorow in Zürich Bild: Alessandro Rimoldi

Im Kunstraum Walcheturm in Zürich war gestern Abend der kanadische Science Fiction-Autor, Internetaktivist und Boing-Boing-Blogger Cory Doctorow der Stargast. Die Veranstaltung wurde organisiert vom Verein Digitale Allmend, der sich für den öffentlichen und freien Zugang zu digitalen Gütern und deren Weiterentwicklung einsetzt. Der Saal war proppenvoll und natürlich waren hauptsächlich – aber nicht nur – Gegner der bestehenden Medienindustrie und der geltenden Urheberrechte anwesend. Vereinzelt waren eventuell auch einige generelle Kapitalismusgegner zu finden.

Wenngleich Doctorow gegenüber früher, als er noch Bomben auf die grossen Medienkonzerne schmeissen wollte (virtuelle, nehmen wir mal an) heute etwas konzilianter auftritt, trägt er seine Voten noch immer eloquent und scharf vor. Sein wichtigstes Votum: Urheberrechtsgesetze sind im Internetzeitalter völlig falsch, geplante staatliche Copyright-Gesetze in vielen westlichen Ländern sogar gefährlich.

Urheberrechte sind vernachlässigbar

Für Doctorow wird man einer Welt, in der jede Minute über 15 Stunden neues Videomaterial auf Youtube geladen wird und in der der allgegenwärtige Computer, der letztlich nichts anderes als eine Kopiermaschine ist, mit konventionellen Urheberrechten nicht gerecht.

Dabei gehe es nicht primär um die Frage, ob Copyright gut oder schlecht sei. Dass jeder von uns im Netz dauernd das Copyright verletzt, sei das eine. Die vielen anderen Dinge, die man mit dem Internet aber auch noch tun könne, seien aber so viel mehr wert, dass diese im Zentrum stehen sollten.

Doctorow verwies etwa auf die freie Meinungsäusserung, den "arabischen Frühling" und die Spendenaktionen für den chinesischen Künstler Ai Weiwei. Für ihn geht es um viel mehr als um das Urheberrecht. Es gehe  nämlich darum, das Internet als die Basis des Informationszeitalters zu sehen und die Gefahr, dass das gesamte Gefüge geschwächt werde, wenn selbst kleinste Elemente entfernt werden. Als Beispiel nannte Doctorow etwa das Server-Netzwerk Bittorrent und andere Filesharing-Plattform, gegen die etwa die grossen Hollywood-Filmstudios immer wieder vor Gericht ziehen. Bisher blieben sie meist ohne grossen Erfolg – weil man gegen Netzwerke nicht klagen kann. Aber nun drohen schwerere Geschütze.

Das übelste Gesetz aller Zeiten

Die Vereinten Nationen haben den freien Zugang zum Internet als ein Menschenrecht deklariert. Dies ist jedoch in vielen Staaten ein frommer Wunsch. Nicht nur in Diktaturen, auch im Westen.

So ist das geplante US-amerikanische Sopa-Gesetz (Stop Online Piracy Act) für Doctorow das schlimmste Internet-Gesetz in der amerikanischen Geschichte. Falsch und äusserst gefährlich an Sopa ist gemäss Doctorow eigentlich alles. So würde es das US-Justizministerium autorisieren, Sanktionen gegen Websites mit .com und .net-Domains zu verhängen, die Copyright-Verletzungen ermöglichen oder nur schon im Verdacht stehen, Urheberrechtsverletzungen zu erleichtern. Dies will die US-Justiz inner- und ausserhalb des Landes durchsetzen.

Es drohen Website-Betreibern – "uns allen", wie Doctorow betont - das Blockieren und permanente Filtern von DNS – und letztlich die Zensur aus geschäftlichen Interessen. "Die USA bringen somit immer weniger kreative Unterhaltungs-Produkte in die Welt, dafür immer mehr Unterhaltungs-Lobbyismus".

Annette Schindler, Expertin für Medienkunst und künstlerische Leiterin des Animationsfilm-Festivals Fantoche, gab in der anschliessenden Diskussionsrunde zu, vor solchen Entwicklungen Angst zu haben. So seien künftig Künstler, die Sampling-Kunst betreiben, stets mit einem Bein im Gefängnis. Schindler stellt jedoch auch die Frage, wer denn im Netz mit Hirnarbeit überhaupt noch Geld verdienen könne. Gerade Künstler seien angewiesen auf Klarheit bezüglich ihrer Einkünfte. Unterstützt wurde sie bei diesem Anliegen auch aus dem Publikum.

Doctorow reagierte ausweichend: Künstler sollen zumindest besser gestellt sein als die Verwertungsgesellschaften. Aber auch Autoren und andere Kreative könnten ihre eigenen Tantiemen nicht mit Kontrollen und Netzsperren retten. Allenfalls fördere ja der Gratis-Download sogar das analoge Geschäft – er sehe das bei seinen Büchern. Auch auf die Frage, ob gar keine Kontrolle wirklich sinnvoll sei, antwortet er mit einer Analogie: Die Polizei könne Autofahrern zwar den Führerschein wegnehmen, wenn sie zum x-ten Mal zu schnell gefahren sind. Aber niemandem käme es in den Sinn, deswegen die Autobahn zu schliessen.

Hierzu gilt es anzumerken: Doctorows Vergleich hinkt. Freies Fahren und Reisen schätzen wir alle. Doch auch Doctorow, Vater einer jungen Tochter, ist wohl froh, wenn auf Flughäfen die Sicherheitskontrollen einigermassen korrekt durchgeführt werden – selbst wenn dies mit einigen Unannehmlichkeiten verbunden ist. Da sollte er auch Verständnis dafür haben, dass es Leute gibt, die sich für den Schutz vor Pornografie und extremistischen Positionen einsetzen und dabei gewisse Einschränkungen zu akzeptieren bereit sind.

So ganz klar war es am Schluss nicht, ob Doctorow ein Kapitalismus-Häretiker ist oder ein Freiheitskämpfer. Der Kanadier ist zwar ein brillanter Redner, aber auf konkrete Fragen bleibt er oft etwas allgemein. Es dürfte noch einige Anstrengungen erfordern, dass Kreative, Inhalte-Produzenten, Rechteinhaber, Internet-Access-Provider und die Politik konzise Lösungen finden.