Live-Interview

"Dank unserer mobilen Büros haben unsere Manager mehr Zeit am POS"

Uhr | Aktualisiert
von Rodolphe Koller

Mobile Büros, Konvergenz des Online- und des stationären Handels, Modernisierung von 600 Applikationen – Jürg Bloch, Leiter der Informatik von Manor, gibt Einblicke in die IT-Projekte des Detailhändlers.

Jürg Bloch, CIO von Manor, ist überzeugt, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Manor gegenüber dem Fachhandel nicht zuletzt von spezifischen Werkzeugen abhängt.
Jürg Bloch, CIO von Manor, ist überzeugt, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Manor gegenüber dem Fachhandel nicht zuletzt von spezifischen Werkzeugen abhängt.

Herr Bloch, der Detailhandel hatte in den letzten Jahren in der Schweiz durchzogene Bilanzen. Hat diese Entwicklung Ihre Informatik beeinflusst?

In unserer Branche spielt der Kundenkontakt am Point of Sale eine zentrale Rolle. Auch in einem Sektor, der sich im Umbruch befindet, können Einsparungen gemacht und Ressourcen optimiert werden. Aber es gilt, darauf zu achten, dass die Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Denn ein verschärfter Wettbewerb bedeutet nicht, weniger Kunden oder weniger Transaktionen zu haben. Aus diesem Grund haben wir für die POS-Manager, die Abteilungsleiter unserer Warenhäuser, mobile Büros eingeführt. Ihre Arbeit ähnelt der eines KMU-Chefs, der 20 bis 30 Mitarbeiter beschäftigt und verantwortlich ist für den Umsatz. Auch sie müssen viele Aufgaben am Computer erledigen, was zu einem ständigen Hin und Her zwischen dem Point of Sale und dem Büro führt. Mit dem mobilen Büro wollen wir ihnen ermöglichen, im Verkauf und damit direkt beim Kunden bleiben zu können. So sind sie in der Lage, unseren Einkäufern Feedback zu geben und den Bedürfnissen und Erwartungen unserer Kundschaft am besten gerecht zu werden. Gegenwärtig sind fünf Pilot-Warenhäuser mit diesen «intelligenten Büros» ausgestattet. Wir planen sämtliche unserer Läden zwischen Ende 2013 und Anfang 2014 damit auszurüsten. Das Potenzial der Mobilgeräte ist in unserem Tätigkeitsbereich sehr gross.

Welche Aufgaben werden von diesen Geräten unterstützt?

Wir haben die Prozesse identifiziert, für die POS-Manager regelmässig PCs benötigen. Eine der wichtigsten Funktionen, die wir implementiert haben, ermöglicht ihnen, über einen lokalen Zugang zum Kassensystem die Entwicklung des Umsatzes in Echtzeit mitzuverfolgen. Zweitens erlaubt das mobile Büro, Bestellungen aufzugeben und quasi in Echtzeit den Lagerbestand von 800 000 bis zu einer Million in der zentralen Datenbank gespeicherten Artikeln einzusehen. Wenn beispielsweise ein Hemd in einer bestimmten Grösse nicht verfügbar ist, können sie überprüfen, ob sich ein passendes Hemd im eigenen Lager befindet. Oder sie können sehen, ob eine Bestellung offen ist und das Hemd demnächst eintreffen wird, oder auch, ob es in einem anderen Warenhaus der Gruppe verfügbar ist. Aber das ist noch nicht alles. Die Geräte verfügen alle über Verwaltungs- und Planungsfunktionen für das Personal. Die POS-Manager können damit grafisch mitverfolgen, wer zu welcher Zeit was arbeitet. Wenn das Wetter schön ist und es nicht so viel Personal braucht, können Mitarbeiter, die Überstunden gemacht haben, gefragt werden, ob sie früher in den Feierabend gehen möchten. Oder es können Korrekturen vorgenommen werden, wenn ein Mitarbeiter vergessen hat, seine Überstunden zu erfassen. Diese Aufgaben mussten früher im Büro am Computer erledigt werden. Ein anderes Beispiel: Die Verantwortlichen des Supermarkts können auf ihren Mobilgeräten in Echtzeit die Temperatur der Kühlschränke und der Tiefkühler kontrollieren, da die Geräte alle mit RFID-Transponder ausgestattet sind. Diese schlagen dann Alarm, wenn die festgelegten Grenzwerte überschritten werden. Wir werden zudem die Funktion implementieren, über die Plakate für die Gestaltung der Warenhausabteilungen bestellt werden können. Diesen spezifischen Funktionen werden allgemeinere Werkzeuge beigefügt, beispielsweise für die Synchronisierung der E-Mails oder den Versand von Druckaufträgen auf alle unsere Multifunktionsdrucker, ohne dass die Cloud eines externen Anbieters genutzt werden muss.

Welche Mobilgeräte werden benutzt? Werden die Dienstleistungen als Apps angeboten?

Wir benutzen Samsung-Galaxy-S3-Smartphones. Gewisse Funktionen werden als Webapplikationen in HTML5 mit Responsive Design angeboten. Andere sind echte Android- Applikationen mit einer lokalen Logik. Dem möchte 20/2013 © netzmedien ag 40 LIVE ich hinzufügen, dass durch die Ausstattung unserer POS-Manager mit mobilen Büros die Zahl der PCs bei der Erneuerung unseres Bestands reduziert werden konnte.

Stellen Sie eine Annäherung zwischen IT und Marketing bei der Datenanalyse fest?

Business Intelligence ist ein strategischer Bereich für Manor, und wir haben kürzlich beschlossen, ein Kompetenzzentrum für BI zu gründen. Wir gehen dabei von der Erfahrung anderer Unternehmen unserer Grösse aus. Die Idee dahinter ist, diesen Bereich von der IT zu lösen und ihn den Nutzern näherzubringen. Diese kennen eher die Bedürfnisse und können sagen, wie die Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen. Zudem wollen wir zusätzliche Spezialisten für die Datenanalyse rekrutieren. Wir stellen auch Überlegungen hinsichtlich der Entwicklung und der Kosten der Technologien an. Wir haben beispielsweise noch nie die Gesamtheit der Daten unserer Kassensysteme transferiert, zum einen aufgrund ihres Volumens, zum anderen aufgrund der Schwierigkeit, sie zu verarbeiten. Heute ist die Speicherung dieser Daten überhaupt kein Problem mehr. Dank bezahlbarer intelligenter Systeme können relevante Informationen mit Agilität identifiziert werden. Wir befinden uns hier in der Konzeptprüfungsphase.

Welche Kundendaten analysieren Sie?

Wir haben viele Daten über den Produktverkauf, aber wenige Informationen über unsere Kunden und ihre Erwartungen. Das ist eine Situation, die wir unbedingt verbessern wollen. Gegenwärtig können wir nur das Verhalten von Kunden, die eine Manor-Karte besitzen, in einem gewissen Masse erfassen. Diese stellen rund 15 Prozent der Kundschaft dar und machen rund 25 Prozent des Umsatzes aus. Wir erfassen ihre Einkäufe und können ihnen gezielte Angebote machen, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Bei den anderen Kunden können wir bis jetzt die Einkäufe, die sie beispielweise in der Papeterie und in der Kleiderabteilung tätigen, noch nicht miteinander in Verbindung bringen. Manor arbeitet daran, diese Art von Informationen eines Tages für die Gesamtheit ihrer Kundschaft zu nutzen. Um das erreichen zu können, muss der Kunde darin einen Vorteil erkennen.

Ist E-Commerce in diese Strategie integriert?

Auf jeden Fall. Auch wenn E-Commerce erst einen kleinen Teil unserer Verkäufe ausmacht, wächst der Bereich sehr schnell. Unsere Strategie geht klar in Richtung Omnichannel und Hybrid-Commerce, das heisst, wir zielen auf eine Konvergenz zwischen unseren Onlineaktivitäten und unseren Warenhäusern ab. Mittelfristig wollen wir, dass das gesamte Sortiment und die Lagerbestände online verfügbar sind. Ein Kunde sollte ein Kleidungsstück im Laden scannen und seine Grösse online bestellen können. Oder er sollte den Onlineshop besuchen und dann die Möglichkeit haben, das Kleidungsstück dort abzuholen, wo es verfügbar ist. Das ist schon bei rund 40 Prozent der auf unserem Webshop getätigten Bestellungen der Fall. Die beiden Aktivitäten in Übereinstimmung zu bringen heisst auch, dass die Kunden auf beiden Kanälen identifiziert werden und dass der Onlineshop und die stationären Läden dieselben Preise und Aktionen anbieten, was eine wahre Herausforderung ist. Wir sind überzeugt davon, dass der Anteil der Verkäufe, die hybrid getätigt werden, an Bedeutung gewinnen wird, und wir investieren entsprechend. Der E-Commerce wird im Übrigen nicht mehr wie eine Nebenaktivität gehandelt. Es ist ein Bereich, um den sich unser CEO persönlich kümmert.

Sie haben kürzlich ein grosses Modernisierungsprojekt von mehreren hundert Apps gestartet. Wieso haben Sie die Gelegenheit nicht genutzt, um auf Standardprogramme umzusteigen?

Wir fühlen uns weder dazu berufen, ein eigenes ERP-System zu entwickeln, noch etwas zu erfinden, das bereits existiert. Wir nutzen im Übrigen ein Standard-ERP für die Finanzen oder für den Personalbestand sowie für bestimmte Warenhäuser. Allerdings waren wir schon immer ein Unternehmen mit vielen Facetten. Wir führen ebenso gut Supermärkte mit Nahrungsmitteln, wie auch Papeterie- und Bijouterieabteilungen oder eine Textilmarke, die in der Schweiz entworfen, in China produziert und auch von Drittanbietern verkauft wird. In jedem Bereich stehen wir in Konkurrenz zu spezialisierten Geschäften, und wir benötigen spezifische Werkzeuge. Als wir in den 90er-Jahren ein ERP erwerben wollten, haben wir schnell gemerkt, dass kein Werkzeug existierte, das all unsere Bereiche mit all den erforderlichen Spezialisierungsabstufungen abdeckte – das heisst, ohne dass wir kostspielige Anpassungen hätten vornehmen müssen. Wir haben uns also für ein englisches Programm entschieden, das auf Textil spezialisiert ist, wohl wissend, dass es sich dabei um einen äusserst komplexen Bereich mit hoher Wertschöpfung handelt. Wir haben sichergestellt, dass wir Zugang zum Quellcode und zum Datenmodell dieser Lösung haben. Auf dieser Grundlage haben wir dann für die anderen Bereiche spezifische Programme entwickelt.

Gibt es immer noch keine überzeugende Standardlösung?

Die Situation hat sich noch nicht grundlegend geändert. Als es vor kurzem darum ging, eine modernere Technologie einzusetzen, haben wir erneut verschiedene Lösungen miteinander verglichen und geschaut, was andere Teile der Gruppe machen oder andere Ketten im Ausland. Die Nutzer der verschiedenen Bereiche haben verschiedene Standardprogramme bewertet und kamen zu dem Schluss, dass unsere Lösung in jedem Fall, mit Ausnahme der Benutzeroberfläche, die beste war. Wir haben ebenso überprüft, was die Anpassung einer Standardlösung, die Lizenzen und ihre Wartung kosten würden, im Vergleich zu Lösungen, die andere Ketten verwenden. Unser Fazit war, dass es besser ist, die bestehenden Anwendungen zu modernisieren und zu standardisieren und wir entschieden uns für die Oracle-Datenbanken und für .Net als Benutzeroberfläche. Das ermöglicht uns ausserdem, unseren Informatikern und Entwicklern interessante Projekte anzubieten. Sie schätzen es, Projekte von A bis Z führen zu können und nicht nur ein Rädchen in einem Uhrwerk zu sein. Das ist ein Aspekt, der angesichts des Fachkräftemangels in der IT nicht vernachlässigt werden sollte.

Welchen Teil der Migration werden Sie intern bewerkstelligen?

Am Anfang jedes Projekts stellt sich die Frage, ob ein externer Partner in der Lage wäre, die Dinge besser zu machen – vor allem in den weniger kritischen und standardisierten Bereichen unserer Informatik. Wir nehmen zum Beispiel die Hilfe eines spezialisierten Partners für alles, was den EDI-Teil betrifft, in Anspruch. Er kümmert sich um alle Formate, die von unseren Zulieferern verwendet werden. Was unser Modernisierungsprojekt für die Warenwirtschaft betrifft, haben wir festgestellt, dass 60 Prozent unserer Anwendungen weit von den Prozessen der einzelnen Bereiche entfernt sind. Wir haben die Migration Elca anvertraut. Die restlichen 40 Prozent werden unsere eigenen Entwickler und ein spezialisiertes Team in Zagreb übernehmen. Da geht es um Anwendungen, die vor allem die verschiedenen Bereichsprozesse betreffen, nicht zuletzt den Einkauf, der nicht nur umgestellt, sondern auch der Bedürfnisentwicklung angepasst werden muss. Es ist wichtig, dass diese Entwicklungen in unseren Händen liegen. Dadurch, dass wir sie intern bewerkstelligen, können wir in Zusammenarbeit mit den Nutzern sehr agil vorgehen. Das führt zu optimalen Resultaten.