Spitäler brauchen keinen millionenteuren Fax-Ersatz
Am E-Health-Kongress an den Infosocietydays haben Experten aus IT und Gesundheitswesen über das elektronische Patientendossier und dessen Folgen diskutiert. In einem Punkt waren sich alle einig: Es gibt noch viele Baustellen.
In Bern haben Experten aus den Bereichen Gesundheit und IT über das Bundesgesetz für die Umsetzung des elektronischen Patientendossiers (EPDG) und dessen Folgen diskutiert. Was bedeutet die Theorie des Gesetzes für die Praxis?
Trends wie Wearables und passende Fitness-Apps zeigen Patienten die Vorteile von elektronischen Gesundheitsdaten. Wer seine Fitnessinfos vom Fitbit über sein Smartphone in der Cloud speichert, hat schon einmal die grundlegende Technik des elektronischen Patientendossiers (EPD) verstanden.
Das hilft bei der Umsetzung des EPD. Denn Patienten dürften die Vorteile auf diese Weise rasch klar werden. Dennoch wird es Vorbehalte geben. Selbst ohne Patientendossier geben Ärzte oft Daten an Dritte, etwa Versicherer weiter, obwohl sie das gar nicht dürften. Da will man sich als Patient wohl nicht erst ausmalen, was passieren könnte, wenn man einem Arzt seine komplette Krankenakte anvertraut.
Auch ein anderer Aspekt bereitet Sorge und auch hierbei geht es um Vertrauen. Mit dem EPD sei nicht automatisch klar, welche Medikamente ein Patient nimmt, erklärte Marcel Mesnil, Generalsekretär des Apothekerverbands Pharma Suisse an einer Podiumsdiskussion am Forum.
Was verschweigt der Patient in seinem EPD?
Zwei Drittel aller verkauften Medikamente in der Schweiz würden durch Apotheken ausgegeben, sagte Mesnil. Apotheken haben dem Generalsekretär zufolge gut strukturierte Daten, die auch nach internationalen Standards gepflegt werden. Doch Daten seien nicht alles. Was ist mit der Compliance? Schlucken Patienen auch ihre Medikamente? Nennen sie ihrem Arzt gegenüber auch alle Medis, die sie nehmen sollten?
Patienten hätten etwa Hemmungen, zu sagen, was sie von einem Psychater erhalten haben, fügte der Arzt und Vorstandsmitglied von Medswiss, Andreas Schoepke, an. Das erschwere die Behandlung und könne neue Probleme erzeugen, wenn etwa bestimmte Wirkstoffe nicht miteinander kombiniert werden dürfen.
Leistungserbringer müssen zum Wohl des Patienten zusammenarbeiten
Man müsse die Patienten immer wieder motivieren, ihre Medikamente einzunehmen, schlug daher Mesnil vor. Das könnten die Apotheken aber nicht alleine schaffen. "Das muss im Team geschehen", apellierte Mesnil an die Vertreter aller Leistungserbringer. Zuerst müsse also eine Medikamentenplattform aufgebaut werden.
Erika Ziltener, Präsidentin Schweizerische Patientenstellen, schlug Aufklärung vor. Es sei wichtig, dass Patienten von Ärzten rechtsgültig aufgeklärt werden. Und zwar regelmässig. Denn Patienten seien sich nicht immer bewusst, was alles als Medikament gilt. Etwa bei Wirkstoffen aus der Komplementärmedizin.
Dokumentation ist zentral - für Patient und Arzt
Chronisch kranke Patienten würden Medikamente nach Jahren nicht mehr als solche wahrnehmen. Wichtig sei, dass Ärzte genau dokumentieren, was im Beratungsgespräch besprochen worden sei. Dies werde brisant bei vermuteten Behandlungsfehlern. Letztlich helfe das auch dem Arzt. Denn bei einer gut dokumentierten Beratung könne gegebenenfalls auch der Patient gerügt werden.
Eine weitere Herausforderung sei, dass jetzt die Kantone das EPD vorantreiben. Als Arzt habe Schoepke mit Patienten aus vier Kantonen zu tun. Das hiesse in der Praxis für ihn, mit vier verschiedenen Versionen des EPDs arbeiten zu müssen. Versorgungsregionen, die das gleiche EPD anböten, wären für seine Patienten und wohl auch diejenigen vieler anderer Ärzte praktischer.
Zweifel an interkantonaler Zusammenarbeit
Ein heeres Ziel, wie es scheint. "Ich persönlich zweifle stark daran, dass die Kantone beim EPD zusammenarbeiten", sagte Silvio Frey, Leiter Marketing und Verkauf Post CH, in einem Referat nach dem Podiumsgespräch. Er versuchte seine These mit den Strassenverkehrsämtern der Kantone zu belegen. Diese könnten zusammenarbeiten, täten es aber nicht.
Die Post bietet Angaben elektronische Plattformen für das EPD an. Derzeit arbeitet das Unternehmen nach eigenen Angaben mit den Leistungserbringern im Kanton Zürich zusammen.
Wer soll das bezahlen?
Der Post-Manager wies auf einen wunden Punkt hin. Wie wollen die Leistungserbringer eigentlich Geld verdienen? Frey schlägt eine Art EPD-Fünfer vor. Wenn jeder ein Mal pro Jahr fünf Franken bezahlen würde, wäre schon viel getan.
Die Chancen stehen nicht schlecht. Wie Lukas Golder, Mitglied der Geschäftsleitung GFS Bern, in seinem Referat aufzeigte. Einer Umfrage zufolge wären 36 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten bereit, für das EPD etwas zu bezahlen.
Jetzt muss man den Patienten das EPD nur noch vermitteln. Viele wüssten noch gar nicht, um was es eigentlich gehe, sagte Frey. Hier seien die Medien gefragt, die Menschen aufzuklären.
Vielleicht sollten aber besser die Hausärzte helfen. Denn laut Golder würden die Patienten ein EPD am ehesten bei ihrem Hausarzt eröffnen. Die nächste Baustelle. Denn nur wenige Hausärzte zeigen Interesse am EPD. Anders bei den Spitalärzten. Hier würden die meisten die Einführung des EPD begrüssen, sagte Golder. Wirklich die meisten?
EPD nicht ambitioniert genug
Gemäss Falk Schimmann, Leiter Medizinstrategie beim Inselspital und dem Spitalnetz Bern, seien Spitalärzte wenig beeindruckt vom EPD. Die durch das EPD versprochene integrierte Versorgung betrieben Ärzte schon heute. "Was ist denn neu?", fragte Schimmann.
Für ihn ist das EPD nicht ambitioniert genug. "Wir brauchen keinen Fax-Ersatz für mehrere Millionen", sagte Schimmann. Bei der Budgetplanung im Spital konkurriere ein System für den elektronischen Informationsaustausch mit neuen Geräten, etwa einem Computertomographen (CT). In so einem Fall entschieden sich Ärzte für den CT, das bringe mehr für die Behandlung.
Obwohl das EPDG verabschiedet wurde, gibt es noch viel zu tun. Jetzt, da es an die Realisierung des EPD geht, zeigen sich erst die zahlreichen Baustellen. Die ersten Leistungserbringer haben drei Jahre Zeit, robuste Systeme zu entwickeln. In einem waren sich die Referenten aber einig. Viel Zeit für die Umsetzung bleibt nicht mehr.