Logistik 4.0

Die Blockchain entrümpelt die Supply Chain

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von Yannick Chavanne, Tiago Pires, Übersetzung: Oliver Schneider

Die Blockchain verspricht, das Management von Lieferketten zu verbessern. Der Genfer Rohstoffhändler Trafigura setzt auf diese Technologie, um den Handel mit Rohöl zu ­digitalisieren. Der dänische Reeder Maersk will sie in der Frachtschifffahrt anwenden.

(Source: Nucleartist / Shutterstock.com)
(Source: Nucleartist / Shutterstock.com)

Eine Blockchain basiert auf dem Konzept eines offenen Netzwerks von Datenbanken, die ein Zahlenregister verteilt anbieten. Die Blockchain bietet damit das Potenzial für Innovationen in verschiedenen Branchen. Darunter auch für das Management von Logistik und Transport, jene Branche, die in der Schweiz laut einer neuen Studie von IBM am stärksten auf diese Technologie setzt. Wie die Blockchain-Experten Michael J. Casey und Pindar Wong im «Harvard Business Review»* schreiben, entstehen durch die Komplexität des Lieferketten-Managements auf globaler Ebene genau jene Schwierigkeiten, denen ein verteiltes Zahlenregister Abhilfe schaffen kann. Grundlage der Technologie sind digitale Währungen, ein «handelbares digitales Vermögen», das gewissermassen an die Stelle klassischer Zwischenhändler bei Transaktionen treten kann. Die Blockchain verspricht ausserdem, die Auftragsverfolgung zu verbessern, Betrug aufzudecken und auf diese Weise alle Vorgänge entlang der Versorgungskette transparent zu machen. Dies biete Unternehmen auch mehr Flexibilität, betonen die Experten, etwa um leichter in neue Märkte vorzustossen und auf die Preise Einfluss zu nehmen.

Blockchain soll den Rohölhandel modernisieren

Durch die Unterstützung, die das Unternehmen seinen Kunden bei der Entrümpelung ihrer Lieferkette mithilfe der Blockchain bietet, ist IBM in verschiedene innovative Projekte involviert. Als Partner des Genfer Rohstoffhändlers Trafigura und der französischen Bank Natixis testet IBM die Technologie insbesondere beim Handel mit amerikanischem Rohöl. Die Lösung stützt sich auf die Open-Source-Plattform Hyperledger, entwickelt von der Linux Founda­tion. Indem sie Käufer, Verkäufer und ihre jeweiligen Banken im selben Blockchain-Netzwerk zusammenbringt, ermöglicht es die Lösung, alle Dokumente einer Transaktion zusammenzufassen und zu teilen. Von der Validierung des Handels über die Kontrolle der Ware bis zur definitiven Lieferung und der Stornierung des Kreditbriefs.

Die grössten Vorteile dieser Lösung liegen in der Verkürzung der Liquiditätszyklen sowie in der Verbesserung der Effizienz, die durch die Verringerung der indirekten und durch Zwischenhändler entstehenden Kosten erreicht wird. Ausserdem beschleunigt der Prozess die Duplizierung der Dokumente und die Authentifizierung zwischen den Handelspartnern. Die Transparenz durch die Offenlegung und Protokollierung aller Dokumente in der Blockchain senkt nicht zuletzt auch die Gefahr von Fälschungen, Betrug und Cyberkriminalität. Der Genfer Rohstoffhändler und seine beiden Partner wollen auf diese Weise «den Handel der weltweiten Rohölindustrie modernisieren, der heute noch hauptsächlich durch manuelle und nicht digitale Prozesse betrieben wird».

Potenzial für die gesamte Rohstoffindustrie

Die zusammen mit Trafigura entwickelte Lösung soll bald ausgebaut werden, damit alle an einer Transaktion beteiligten Parteien, wie etwa Reeder oder Betreiber von Pipelines, Daten beisteuern können. Die drei Partner planen überdies, ihre Lösung für die ganze Rohstoffindustrie anzupassen. James Wallis, Vizepräsident der Abteilung Blockchain Markets and Engagements bei IBM, erklärt: «Unsere Herangehensweise mit der Blockchain-Technologie und der Plattform Hyperledger Fabric hat das Potenzial, die Rohölindustrie zu verändern, indem sie bei der Finanzierung des Handels Kohärenz schafft und die Transaktionen sowie die geteilten Informationen digitalisiert. Der Aufbau dieses Ökosystems wird zur Entwicklung eines völlig neuen Konzepts für das Management des weltweiten Handels mit Commoditys beitragen.»

Digitalisierung der Seefracht

Die mit Trafigura durchgeführten Tests belegen, dass die Blockchain bereit zum Einsatz in einem grossen Netzwerk ist. Dies bestätigt sich auch im Markt mit Seefracht. IBM arbeitet mit dem dänischen Reeder Maersk an der Nutzung der Blockchain, um die Seefracht zwischen verschiedenen Akteuren des Handels auf internationaler Ebene zu koordinieren: Versender, Spediteure, Verfrachter, Häfen und Zollbehörden. Gemäss den beiden Partnern nehmen 90 Prozent der von der globalen Logistikbranche beförderten Waren den Seeweg. Gleichzeitig werden die Kosten von Bearbeitung und Dokumentation des Handels auf ein Fünftel der Realkosten des Seetransports geschätzt, heisst es vonseiten IBM. Maersk verweist seinerseits auf eine Studie von 2014: Blumen auf dem Weg von Kenia in die Niederlande gingen durch die Hände von «beinahe 30 Organisationen», zwischen denen «mehr als 200 Interaktionen» zu verzeichnen waren.

Die Europäische Kommission unterstützt die Entwicklung einer API

Eine Blockchain-Lösung für das Management der Seefracht müsste den Verwaltungsaufwand reduzieren und die Nachverfolgung dutzender Millionen Container ermöglichen können, etwa indem sie alle Prozesse der Lieferkette digitalisiert. Dem Beispiel von Trafigura mit der Plattform Hyperledger folgend, verspricht die Technologie, jeder beteiligten Partei nach Massgabe ihrer Berechtigungsstufe Transparenz und globale Sichtbarkeit der transportierten Güter zu bieten. Ausserdem könne keiner der Beteiligten Register-Einträge ohne gegenseitiges Einverständnis modifizieren, löschen oder hinzufügen, betonen die Partner. Die Zentralisierung und Offenlegung der Informationen läuft über eine API, deren Entwicklung die Europäische Kommission im Rahmen eines Forschungsprojekts unterstützte.

Die am Projekt beteiligten Unternehmen erklären, dass die Blockchain zur Reduktion von Abfällen, Kosten, Betrug und Fehlern beitragen könne. Somit verkürze sie auch die Zeit, während der sich Waren im Transit und Versand befänden. Nicht zu vergessen sei ausserdem das Verbesserungspotenzial bei der Verwaltung von Lagerbeständen. Sollte sich die Lösung dereinst in grossem Massstab durchsetzen, könnte sie der Industrie die Einsparung von mehreren Milliarden US-Dollar ermöglichen. «Wir erwarten, dass die Verfahren, an denen wir mit IBM arbeiten, nicht nur die Waren für die Konsumenten verbilligen, sondern auch einer Vielzahl von Akteuren aus Schwellen- und Industrieländern mehr Zugang zum Welthandel ermöglichen», ergänzt Ibrahim Gokcen, Verantwortlicher für die Digitalisierung bei Maersk.

Hindernisse bleiben

Erhöhung von Effizienz und Transparenz, Reduktion der Kosten, Kampf gegen Betrug und Fälschung und nicht zuletzt die Entschlackung der administrativen Prozesse … Bis die Blockchain ihre Versprechen im Bereich von Logistik und Transport einlösen kann, müssen allerdings noch einige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Casey und Wong erwähnen in ihrem Artikel im «Harvard Business Review» denn auch die Herausforderungen beim Aufbau und bei der Regulierung von verteilten Datenbanken. Die Mitglieder der Aufsichtsgremien der privaten Initiativen könnten etwa versuchen, ihre Marktanteile und Vorteile zu schützen. Allerdings könnten diese Projekte den Unternehmen im Gegenzug Beständigkeit hinsichtlich Leistung und Zuverlässigkeit bieten. Ganz im Gegensatz zu den öffentlichen Blockchains (Bitcoin, Etherum), die aufgrund von Meinungsverschiedenheiten in ihren Entwickler-Communitys oft zu Verzögerungen bei Korrekturen und wichtigen Aktualisierungen tendieren. Diese Schwierigkeit, rasch einen Konsens zu finden, könnte darüber hinaus die Verknüpfung zwischen öffentlichen und privaten Plattformen erschweren.

Zweites wesentliches Hindernis: der juristische Aspekt. Die globale Logistikbranche untersteht verschiedenen Reglementen, Seerechten und Handelsgesetzen, die Besitz- und Eigentumsrechte entlang der globalen Lieferkette regeln. Die Experten sind sich bewusst: Es wird sehr schwierig sein, die Komplexität dieses rechtlichen Rahmenwerks mit der digitalen, virtualisierten, automatisierten und entstaatlichten Natur der Blockchain-Technologie in Einklang zu bringen.

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