Pontine-Event im Viadukt

Warum es nicht reicht, bloss auf Container zu setzen

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Wer agil sein will, spricht oft von Containern, Microservices und DevOps. Eines geht dabei aber oft vergessen: der Mensch. Denn wer ein Unternehmen wirklich transformieren will, muss sich auch mit der Kultur beschäftigen. Das hat ein Event von Pontine einmal mehr deutlich gezeigt.

Screenshot aus einer Präsentation von Reto Schmid von den SBB
Screenshot aus einer Präsentation von Reto Schmid von den SBB

Pontine hat zum zweiten Mal ins Viadukt im Zürcher Kreis 5 geladen. Der Event zeigte einmal mehr, dass die digitale Transformation mehr braucht als bloss neue Technologien. Wer Themen wie Organisation, neue Modelle der Zusammenarbeit und Unternehmenskultur vernachlässigt, wird keinen Erfolg haben.

Menschen, nicht Technologien

Alex Lichtenberger von Pontine referierte zuerst. "Tech is the fun part, people are the hard part", begann er seinen Vortrag. Die grösste Herausforderung für Unternehmen sei heute der Mensch – und nicht die Technologie. "Das Management kann die genialsten Pläne und Ideen haben", sagte Lichtenberger. "Sie bringen aber überhaupt nichts, wenn die Mitarbeiter nicht mitmachen."

Alex Lichtenberger von Pontine.

Viele Mitarbeiter müssten nun lernen, agil zu sein und neue Rollen auszufüllen. Das sei nicht einfach, sagte Lichtenberger – auch nicht für das Management. Obwohl Menschen grundsätzlich offen für Veränderungen seien. Aber eben nur, wenn sie diese auch aktiv mitgestalten könnten. Dann fühle es sich oft so an, als ob eine Veränderung die eigene Idee gewesen sei. Und plötzlich sei die Motivation da.

Veränderung beginnt im Kleinen

Das traditionelle Management – befehlen und überwachen – stosse an Grenzen. Leader müssten heute die Vision vorleben, die richtigen Fragen stellen und den strategischen Fokus vorgeben. Und loslassen können. Nur so seien moderne Arbeitsmodelle mit mehr Selbstorganisation überhaupt erst möglich.

Unternehmen sollten wieder mehr experimentieren und Veränderungen in kleinen Projekten starten, sagte Lichtenberger. Oft helfe es, alles als Experiment zu betrachten – auch die digitale Transformation.

Einfach mal loslegen

Die SBB haben ein solches Experiment gestartet. Das Unternehmen setzt neu im IT-Service-Desk auf weniger Hierarchien und mehr Selbstorganisation. Darüber referierte Reto Schmid, der Leiter der Abteilung. Seine These: "Wenn es im IT-Service-Desk funktioniert, funktioniert es überall."

Reto Schmid von den SBB (links) und Ralf Winter von Pontine.

Schmid startete die Initiative im Juni 2016. Mit rund 60 Mitarbeitern und ohne externe Hilfe. Die Geschäftsleitung informierte er zu Beginn nicht. Nun ist sie mit im Boot – das neue Arbeitsmodell ist seit Juli 2017 im Einsatz. "Es ging alles sehr schnell", sagt Schmid heute. "Wir sagten den Mitarbeitern, was für Fähigkeiten sie brauchen, führten einfache Trainings und ein paar Übungen durch und starteten im Dezember einen ersten Pilot." Die Resonanz sei schon fast überwältigend gewesen.

Wer Rollen im Team verteilt, schafft Akzeptanz

Laut Schmid kamen die SBB im Service-Desk mit dem alten, auf Hierarchie beruhenden "Command-and-Control-System" nicht mehr weiter. Es sei fast unmöglich gewesen, die Mitarbeiter aus der Komfortzone zu reissen. Schmid reagierte und begann, auf Soziokratie und mehr Selbstorganisation zu setzen.

Es gab neue Teams, die selbst Rollen definierten. Zum Beispiel die des Mediators, der Konflikte lösen soll. Dieses Vorgehen schaffe Akzeptanz und legitimiere Autorität, sagte Schmid. Die neue Organisation beruhe auf dem Prinzip SELF: Selbstorganisation, Eigenverantwortung, Leidenschaft, Flexibilität.

Screenshot aus einer Präsentation von Reto Schmid von den SBB.

Auch Selbstorganisation braucht Regeln

Doch nicht alles lief gleich perfekt. Schmid musste gegen Mythen ankämpfen und den Mitarbeitern beibringen, dass Selbstorganisation nicht heisst, dass jeder machen kann, was er will. Im Gegenteil: Ohne gemeinsam definierte Regeln könne man nicht zusammenarbeiten. Den Führungskräften musste Schmid aufzeigen, dass es befreiend sein kann, Kontrolle abzugeben und nicht mehr Chef zu sein.

Die grösste Herausforderung sei aber die Sinnfrage. Schmid stellte sie bewusst: Was machen wir hier eigentlich? Warum? Und lohnt es sich, dafür aufzustehen? Das habe viele gute Diskussionen ausgelöst. Es lohne sich, den Mitarbeitern bewusst zu machen, warum sie eigentlich hier seien, sagte Schmid.

Aus Fehlern lernen

Viele Mitarbeiter seien gar nicht mehr daran gewöhnt, ihren Tag selbst zu gestalten. "Sie wollen Ruhe und Eigenbestimmtheit", sagte Schmid. "Aber wenn sie das haben, wissen sie nicht, was tun."

Und es gab noch ein Problem: Die Schweiz hat keine Fehlerkultur. "Wie sollen Mitarbeiter Verantwortung tragen, wenn sie keine Fehler machen dürfen?", fragte Schmid. Auch er habe lernen müssen, andere einfach machen zu lassen. Schliesslich gehöre es zum Menschsein, auch mal auf Granit zu beissen oder auf die Nase zu fallen. "Wenn es weh tut, macht man es beim nächsten Mal besser."

Konflikte werden plötzlich ausgetragen

Die Mitarbeiter hätten die Veränderungen mehrheitlich positiv aufgenommen, sagte Schmid. Nur eine einzige Person sei noch als "Saboteur" einzustufen. Das neue System habe aber auch dazu geführt, dass es viel mehr Konflikte gebe. Wobei es wohl nicht wirklich mehr seien, präzisierte Schmid. Im Gegensatz zu früher würden Konflikte nun aber offen ausgetragen. "Darauf waren wir überhaupt nicht vorbereitet." Darum sei es umso wichtiger, dass der Change-Prozess immer aktiv begleitet werde.

Schmid selbst fungiert auch als Schnittstelle zur klassischen Linienorganisation, die bei den SBB nach wie vor die Normalität ist. Das Interesse der anderen Abteilungen sei riesig. Ob diese auch einmal auf mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung setzen würden, stehe allerdings noch in den Sternen.

Eine gemeinsame Sprache sprechen

Akshobhya Mann, Senior Consultant bei Swiss Re, stellte folgende Frage: Wie kann ein Unternehmen den Wert Eigenverantwortung skalieren? Das funktioniere nur, wenn in der Firma die Kultur stimme, sagte Mann. Ein Teil davon sei die Gestaltung der Arbeitsplätze. Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter aus den Cubicles in den Grossraumbüros befreien und die Arbeitsplätze stattdessen offener gestalten.

Akshobhya Mann von Swiss Re.

Ein Team müsse die gleichen Prinzipien teilen und eine gemeinsame Sprache sprechen. Gerade Manager sollten aufpassen, welche Wörter sie nutzen, sagte Mann. Anstatt von Ressourcen, Allokation und Kapazitäten sollten sie über Teams, Herausforderungen und Fehler reden. Wolle man ein Unternehmen transformieren, ändere man am besten die Art und Weise, wie man Menschen behandle, sagte Mann.

Es reicht nicht, bloss auf Container zu setzen

Auch Martin Thalmann, Head of DevOps bei Swisscom, hielt ein Referat. Swisscom sei seit gut drei Jahren dabei, sich von der klassischen Wasserfall-Organisation zu lösen. Dabei gehe es auch um Tools und Technologien. "Container können deine kaputte Unternehmenskultur aber nicht reparieren", sagte Thalmann in Anlehnung an Bridget Kromhout von Pivotal.

Swisscom habe gemerkt, dass die IT-Entwicklung zu langsam sei und Projekte zu lange dauerten. Also habe das Unternehmen 2015 begonnen, agile Prinzipien anzuwenden. Anstatt gleich ein grosses Change-Programm im ganzen Konzern zu machen, begann Swisscom mit kleinen Teams. Der Telko formte selbstorganisierte Communitys of Practice, die sich untereinander austauschten. Daraus entstanden die DevOps Days, die dem Austausch und der Vernetzung von Swisscom dienen.

Und plötzlich war alles agil

Swisscom orientierte sich an Modellen von Zalando und IBM und setzte ab 2016 auf eine bimodale IT. Die neue Art der Zusammenarbeit erfordere eine neue Kultur im Unternehmen. Swisscom habe deshalb eine DevOps-Charta geschaffen, sagte Thalmann. Sie beleuchte die drei Ebenen Individuum, Team und Leadership.

Swisscoms DevOps-Charta (Source: Präsentation von Martin Thalmann, Head of DevOps bei Swisscom)

Erste Ergebnisse gab es 2016. Swisscoms Teams lieferten Software nicht nur schneller, sondern auch in einer höheren Qualität. Ähnlich wie Spotify setzte Swisscom auf Squads und Tribes und begann, das Scaled Agile Frameworks (SAFe) zu implementieren. Und plötzlich sei alles agil gewesen und alle redeten von agilen Methoden. Auch auf den Folien des Managements sei überall das Wort agil vorgekommen. Aber war man wirklich agil? Vieles sei am Anfang Etikettenschwindel gewesen, sagte Thalmann.

Squads und Tribes bei Swisscom (Source: Präsentation von Martin Thalmann, Head of DevOps bei Swisscom)

Veränderung schafft neue Job-Profile

Ende 2016 habe man gemerkt, dass das mit der bimodalen IT doch nicht so gut funktioniere. Sie habe zu einer Zweiklassengesellschaft geführt. "Mitte 2018 wird das vorbei sein", sagte Thalmann. Swisscom wolle die interne IT bis dann komplett umstellen und den Management-Overhead um 50 Prozent reduzieren. "Jede zweite Führungskraft wird bald einen massiv anderen Job haben."

So oder so brauche die "Agilisierung" eines Unternehmens aber Zeit. Es sei darum wichtig, positive Beispiele hervorzuheben. "Wir sollten die Leuchtturmprojekte abfeiern." Das könne in einem Unternehmen viel Energie freisetzen. "Die digitale Transformation wird uns auch noch die nächsten vier bis fünf Jahre beschäftigen", sagte Thalmann. Langweilig dürfte es ihm also nicht werden.

Martin Thalmann von Swisscom.

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