Ludicious 2019

Was Schweizer Spiele für den grossen Durchbruch brauchen

Uhr | Aktualisiert

An der Messe Ludicious 2019 konnten Start-ups wertvolle Tipps für kreatives Spieldesign und Unternehmensstrategien einholen. Bei der Award-Show wurden Schweizer Spiele ausgezeichnet. Und im Panel "SwissGames 2029" erklärten Redner, was sich in der Schweiz tun muss, damit die Szene den internationalen Durchbruch schaffen kann.

Volles Haus bei der Ludicious 2019. (Source: Netzmedien)
Volles Haus bei der Ludicious 2019. (Source: Netzmedien)

An der Ludicious 2019 luden die Veranstalter vom 31. Januar bis zum 3. Februar zu diversen Vorträgen, Apéros und einer von der Swiss Game Developers Association (SGDA) gehosteten Award-Show. Augenmerk der Messe in der alten Kaserne in Zürich: Games und Entwicklung. Ludicious bot auch dieses Jahr wieder Wettbewerbe sowie eine Plattform, um die Schweizer Szene international zu präsentieren und zu vernetzen. Das Festival will innovative neue Spiele von jungen Studios und Nachwuchstalenten fördern. "Ludicious verbindet Kunst, Design und Business", sagte ein Sprecher der Veranstaltung dazu.

Namhafte Personen aus der internationalen Spieleszene, etwa Saku Lehtinen von Remedy Entertainment, Richard Lemarchand, ehemals Game Designer bei Naughty Dog und die Kritikerin Anita Sarkeesian gesellten sich zu einer breiten Auswahl an Schweizer Experten und Spielmacher an der Messe. In der Exhibition Hall boten Entwickler aus der Schweiz und anderen Ländern ihre Games zum Ausprobieren an und in Workshops konnten sich Besucher praktisch mit der Spielentwicklung auseinandersetzen.

In der Exhibition Hall konnten Besucher die Spiele von teilnehmenden Entwickler vor Ort anspielen. (Source: Netzmedien)

Gängige Geschäftsmethoden sollten nicht vor Start-ups haltmachen

Thema einiger Vorträge war die Beziehung zwischen Business und Spieleentwicklern. Gerade für aufstrebende Studios und Indie-Entwickler dürften diese Keynotes interessant sein. Astrid Refstrup, CEO von Triple Topping Games, sprach etwa über Arbeitsumgebungen und Geschäftsmethoden. Sie erzählte von der typischen Perspektive eines Start-ups - blauäugig, unerfahren und die Entwicklung eines coolen Spiels als einzige Absicht – und sprach dabei aus persönlicher Erfahrung.

Refstrup plädierte für faire Löhne, klare Richtlinien bei Arbeitszeiten und Absenzen und empfahl gezielt bei den Mitarbeitern nach Feedback zu fragen. Was in anderen Unternehmen vielleicht als selbstverständliche Praktiken betrachtet werden, würden Start-ups schnell ausser Acht lassen, vor allem wenn sie mit Freunden und Familie professionell zusammenspannen, um sich kreativ auszutoben. Auf Anfrage sagte sie, dass sie bei Triple Topping Games erst drei Monate nach Firmenstart mit solchen Methoden begonnen hätten – die Steigerung der Arbeitsqualität sei verblüffend gewesen. Momentan arbeite das Unternehmen simultan an 7 Projekten.

Astrid Refstrup, CEO von Triple Topping Games. (Source: Netzmedien)

Die Wahl des richtigen Finanzierungsplans

Keizac Lee, Portfolio Manager bei Kowloon Nights, gab Entwicklern Tipps zum Thema Finanzierung, indem er die Unterschiede zwischen verschiedenen Optionen beleuchtete und Entwicklern zur vorsichtigen Wahl riet. Namhafte internationale Publishers hätten viel Geld zu bieten, könnten aber gerade kleinere Studios schlimmstenfalls kreativ einschränken. Deals mit Onlineplattformen wie den Stores von Sony, Microsoft, oder Nintendo würden viel Marketing-Power bieten, aber zwängen Plattform-gebundene Exklusivität auf, was nicht im Interesse des eigenen Unternehmens stünde. Schlussendlich gäbe es auch Crowdfunding, was viel Freiheit erlaube und frühe Nachfrage sowie Hype generiere, doch heutzutage auch Star-Entwickler vorweisen müsse, um überhaupt die nötigen finanziellen Mittel zu gewinnen.

Auf Anfrage bot Lee einige Do's and Don'ts, die ihm und seinem Unternehmen auffallen. Sein Team wolle vor allem gute Prototypen anspielen. Design-Dokumente und Pläne fänden sie nicht sehr aussagekräftig und nur wenige Projekte, die sie finanzierten, existierten bei der anfänglichen Präsentation bloss auf Papier – Entwickler sollten Zeit in gute Tech-Demos investieren, um Investoren zu begeistern. Was Entwickler unbedingt vermeiden sollten, sei schlechtes Management. Ein zu hoch angesetztes Budget oder offensichtlich fürs Projekt ungeeignete Teams würden ein Finanzierungsunternehmen wie Kowloon Nights eher abschrecken.

Keizac Lee, Portfolio Manager bei Kowloon Nights. (Source: Netzmedien)

Kreativität und die Politur eines Spiels

Im Vortrag "Mechanical Motifs" erklärte Ben Myres, Mitgründer und Creative Director von Nyamakop, wie Spieldesigner das Problem der ludonarrativen Dissonanz vermeiden können. Mehr noch: Er beleuchtete, wie Spieldesigner Story und Spielmechanik verbinden können, um Spieler emotional zu packen. Dazu pries Myres verschiedene Titel wie "The Last of Us", "Brothers: A Tale of Two Sons" oder "Florence" an und benutzte sie, um diese Techniken zu veranschaulichen. Bei "Brothers" etwa würde der Spieler mit jeweils einer Hälfte des gleichen Controllers die beiden titelgebenden Brüder gleichzeitig steuern - als im späteren Spielverlauf einer der beiden verloren geht, bekommt der Spieler dessen Absenz körperlich zu spüren, weil eine Hälfte des Controllers nicht mehr zu gebrauchen ist.

Richard Lemarchand, Associate Professor im USC Games Program und Mitentwickler der ersten drei Uncharted-Spiele, hielt einen Vortrag zur Qualitätssteigerung eines finalen Spiels. Wie ihm ein Kollege mal gesagt habe: "Verbringe soviel Zeit damit, ein Spiel zu polieren, wie du mit der Entwicklung verbracht hast." Das Perfektionieren eines Spiels sei für die Langlebigkeit des Produkts und den Namen des Studios bedeutend. Man solle auch schon in einer frühen Phase der Entwicklung damit beginnen, unfertige Prototypen zu erstellen und konstant zu testen, während man das Spiel weiterentwickelt. Auf die Politur käme es an: Konsumenten würden sich an allfällige Mängel schmerzhaft erinnern, was jegliche Qualitäten eines Spiels überschatten könne. "Die Entwicklung des Entwicklungsprozesses ist Game Design", so Lemarchand. Dazu empfahl er, klare kreative Richtlinien zu bestimmen, sich selber Zeitrahmen für individuelle Schritte zu geben, alles akribisch zu dokumentieren und viel Raum fürs Testen einzuplanen.

Die in der Conference Hall gehaltenen Vorträge waren wirkungsvoll in Szene gesetzt. Hier: Richard Lemarchand, Associate Professor im USC Games Program. (Source: Netzmedien)

Schweizer Entwickler und die Zukunft

An der Panel-Diskussion "SwissGames 2029: A Future of Opportunities and Challenges" unterhielten sich sechs Teilnehmer über Gegenwart und Zukunft der Schweizer Spieleszene. Sylvain Gardel, Head of Special Focus "Culture and Business" von Pro Helvetia, verzeichnete 100 Start-ups in der Schweizer Spieleszene und kommentierte: "Wir befinden uns im Boom. Aber erwartet keine Eile unsererseits, denn wir sind die Schweiz." Philomena Schwab, Mitgründerin des Game-Studios Stray Fawn und Vorstandsmitglied der SGDA, pflichtete ihm bei und sagte, dass die Schweiz zum globalen Durchbruch noch genug zu tun hätte.

Mehr zur letzten Generalversammlung der SGDA und Philomena Schwabs Ernennung zur Vizepräsidentin lesen Sie hier.

Maike Thies, wissenschaftliche Mitarbeiterin für die BA-Vertiefung der Fachrichtung Game Design an der ZHdK, nannte einige Stärken der Szene, beispielsweise das gute Gleichgewicht bei den Geschlechtern oder ein hohes Mass an Kreativität. Sie monierte jedoch auch den Mangel an Kulturförderung für Spiele. Sophie Lamparter, Mitgründerin des Testlabors und Inkubators DART, fügte dem hinzu: "Es ist beeindruckend, wie sehr die Schweiz schon gewachsen ist. Aber in anderen Ländern wie den USA steht es ausser Frage, dass die Spieleindustrie eine Industrie ist. Die Schweizer Bildung leistet schon einiges, doch es bleibt schwierig, das ganze als Business zu fördern."

In der Panel-Diskussion: Maike Thies (l.), Sylvain Gardel, Sophie Lamparter, Philomena Schwab, Koopee Hiltunen, Jason della Rocca. (Source: Netzmedien)

Koopee Hiltunen, Director of Neogames Finland Association, blickte auf die finnische Game-Geschichte zurück und verglich sie mit der Schweiz. Vor 2004 war die finnische Spieleindustrie noch klein und unscheinbar; es steckten weniger als 100 Millionen US-Dollar drin. Dann sei die Disruption in Form von "Angry Birds" passiert. Investoren sahen die Unsummen, die das kleine Spiel generierte; internationale Publisher witterten noch mehr Geld und stiegen darauf ein. Heutzutage steckten über 300 Milliarden Dollar in der finnischen Game-Industrie. "Die Schweiz steht momentan am gleichen Punkt, wie Finnland vor dem Boom," sagte Hiltunen. "Es fehlt nur noch dieser Moment der Disruption."

Thies entgegnete, dass Spiele aus Schweizer Schmieden eher für originelles Design und künstlerischen Ausdruck bekannt wären. Für eine Disruption, wie sie Hiltunen beschrieb, fehle die Bereitschaft, grosse finanzielle Risiken auf sich zu nehmen. Jason della Rocca, Mitgründer von Execution Labs und ehemaliger Executive Director des International Game Developers Association, moderierte das ganze Gespräch und stimmte Thies zu. Seiner Erfahrung im kanadischen Markt nach zu urteilen würden künstlerisch ausgerichtete Spieleentwickler es anfangs schwer haben, Geld zu machen. "Investoren scheren sich nicht um dein Spiel, aber wohl um dein Spielgeschäft", sagte Hiltunen dazu. "Ihr müsst über die Entwicklung eures Spielgeschäfts nachdenken."

Wie Schweizer Spiele sich im globalen Markt positionieren können

In der zweiten Hälfte der Panel-Diskussion gaben sich die Gesprächspartner zuversichtlich über den zukünftigen Erfolg von Schweizer Spielen. Jason della Rocca wies darauf hin, dass sich künstlerische Spiele und Business-Erfolge nicht gegenseitig ausschliessen. In Kanada hätten Minister irgendwann auch verstanden, dass "art for art's sake" (Englisch: Kunst um der Kunst willen) auch Arbeitsplätze und Geld schafft. Selbst kleine Indie-Spiele mit künstlerischem Tiefgang hätten weltweit grosse Erfolge feiern können. Hiltunen wies darauf hin, dass es Kulturförderung wie auch Geld aus Privatwirtschaft brauche. Es brauche Spiele mit As-a-Service-Geschäftsmodellen und Sequel-trächtiger Massentauglichkeit genauso wie es künstlerisch anspruchsvolle Titel bedarf. Er warnte auch: "Wenn die Spieleentwicklung nicht über die Grenzen des eigenen Landes hinausgeht, erschafft man jedoch einen zu sicheren Ort, an dem Entwickler vor Risiken zurückscheuen."

Im Vergleich mit anderen Ländern müsse die Schweiz für den richtigen Durchbruch immer noch gewisse Herausforderungen überwinden – darin waren sich die Gesprächsteilnehmer einig. "Wenn du in der Schweiz versagst, ist das eine grosse Sache, aber du kannst nicht gewinnen, wenn du nicht versagen darfst", sagte Schwab. Gardel meinte, dass die breite Schweizer Wahrnehmung von Spielen sich zunächst verschieben müsse: "Politiker sind eher alt und haben eine verzerrte Vorstellung von Games." Leute aus der Szene müssten älteren Generationen Spiele näher bringen, um irgendwann mal auch die Regierung zu erreichen, so Schwab dazu. Lamparter empfahl hiesigen Entwicklern: ins Ausland gehen, sich bei Accelerators anschliessen, bei grossen Firmen anheuern und Know-how fürs internationale Spiele-Business aufbauen.

Inkubatoren würden auch nicht schaden, hiess es von mehreren Seiten. "Hierzulande haben wir immer noch einige Hausaufgaben zu erledigen", sagte Gardel. In der Schweiz seien bisher noch keine Spiele-Publisher ansässig, keine bedeutenden Fördergelder für grosse Entwicklungen vorhanden und noch keine bombastischen Erfolge erzielt worden, die Grossinvestoren angezogen hätten. Die Brücke zwischen Regierung und Privatwirtschaft müsse für die Schweizer Spieleindustrie erst noch gebaut werden. "Wir haben aber noch 10 Jahre Zeit bis 2029," so Gardel.

Lesen Sie hier, welche Schweizer Spiele im Ausland schon Aufsehen erregt haben.

Die Halle der Ludicious & SDGA Awards war randvoll besetzt. (Source: SGDA)

Gewinner an den Ludicious & SGDA Awards

Am Freitag Abend fand im Verlauf der Messe eine Award-Gala mit Auszeichnungen statt. In der randvollen Halle trafen sich Besucher zur Award-Show der Swiss Game Awards und zum Dinner. Der Schweizer Branchen-Preis wird seit 2013 verliehen. Neben der Vergabe der Jurypreise wurde das Publikum am Abend dazu eingeladen, die Gewinner des Audience Choice Awards zu küren. Die nominierten Spiele:

  • Anshar Online, OZWE Games (Lausanne)

  • FAR: Lone Sails, Okomotive (Zürich)

  • Octahedron, Demimonde Games (Winterthur)

  • Persephone, Momo-π (Bulle)

  • Toddo Land, Dreipol (Zürich)

Das Spiel "FAR: Lone Sails" überzeugte Jury und Publikum gleichermassen und räumte sowohl den Hauptpreis wie auch den Audience Choice Award. Das Puzzle-Spiel "Persephone" gewann den "Excellence in Gameplay"-Preis für seine clevere Spielmechanik rund um Extra-Leben.

Okomotives Spiel begann als Bachelorarbeit und wurde schliesslich vom Münchner Verlag Mixtvision aufgegriffen. Dass ein Schweizer Spiel über die Landesgrenze hinaus finanziert wurde, sei damals noch Neuland gewesen, so Don Schmocker, Mitgründer und Lead Artist von Okomotive. Auf Steam alleine habe sich das Spiel mittlerweile über 100'000 Käufer gefunden, Anfang 2019 soll das Spiel auch für andere Plattformen wie die Playstation oder Switch erscheinen.

Das Team von Okomotive, das "FAR: Lone Sails" entwickelt hat. (Source: SGDA)

Nicht nur die Schweizer Spieleentwicklung könnte vor dem Boom stehen: Die Entwicklung von Augmented- und Virtual-Reality-Lösungen steht immer mehr im Fokus. Lesen Sie hier mehr dazu.

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