Digitales Bauen

Die gläserne Immobilie

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von Astrid Tomzcak, ETH Zürich

Die "umfangreichste Architekturanalyse weltweit": Nichts weniger als das verspricht das ETH-Spin-off Archilyse auf seiner Website. Damit stossen die Jungunternehmer insbesondere im Immobiliensektor auf grosses Interesse.

(Source: Scott Blake/unsplash.com)
(Source: Scott Blake/unsplash.com)

Ist die 4-Zimmer-Wohnung familientauglich oder doch eher für ein Paar geeignet? Wie können Büroflächen optimal aufgeteilt werden, damit sich die Nutzerinnen und Nutzer wohl fühlen? Mit Hilfe von "Archilyse" können solche Fragen beantwortet werden. Auf der Basis von Adressinformationen, Grundrissen und 3D-Modellen liefert die Plattform des ETH-Spin-offs verschiedene Simulationen und Analysen einer Immobilie und stellt diese Informationen über eine Schnittstelle Projektentwicklern, Architekten und Immobiliengesellschaften zur Verfügung.

"Als Jungfamilie interessiert mich beispielsweise die akustische Trennung zwischen Kinderzimmer und Wohnraum, ob ich vom Wohnraum auf den Spielplatz sehen kann oder ob die Kinderzimmer hell genug sind, um die kognitiven Leistungsfähigkeiten der Sprösslinge nicht zu beeinträchtigen", erklärt Archilyse-Gründer Matthias Standfest.

Der Schlüssel für die Architekturanalyse ist die Verknüpfung möglichst vieler verfügbarer Daten. Dazu wird der Plan eines Gebäudes in Bezug zu einem geografischen Raum gesetzt und in ein virtuelles Modell verwandelt. Anschliessend wird dieses Objekt in ein Modell der Umgebung gesetzt. So kann das Archilyse-Team nicht nur für jeden Quadratzentimeter berechnen, wieviel See oder welche Bergspitze man sehen kann, sondern auch ermitteln, wie die Raumwahrnehmung ist. "Wir können feststellen, welche Typen sich in diesen räumlichen Konfigurationen wohl fühlen", sagt Standfest.

Nicht zuletzt dieser Punkt ist für potenzielle Kunden interessant: "Die Relevanz solcher Faktoren wird zum Beispiel in der aktuellen Immobilienstudie der Credit Suisse mit unserer Hilfe aufgearbeitet."

Die Informationen, die Archilyse liefert, sind zwar nicht neu. Aber bis anhin war es viel aufwändiger, zu den Informationen zu kommen, weil sie zusammengetragen werden mussten. Dank maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz können Architektinnen, Einrichter und Berater nun schneller und effizienter planen und sich der kreativen Arbeit statt Routinetätigkeiten widmen.

Dünne Datenlage

Die Idee für den ETH Spin-off hatte Matthias Standfest während seines Doktorats: In seiner Dissertation an der ETH untersuchte er, wie man architektonische Geometrien durch maschinelles Lernen erkennen und auswerten kann. Für seine Forschung war er unter anderem am Future Cities Laboratory in Singapur.

"Dort habe ich beobachtet, wie dünn die architekturrelevante Datenlage ist", erzählt er. Diese Erkenntnis war die Initialzündung für Archilyse. Danach ging es schnell: "Ich konnte mit meiner Doktorarbeit zeigen, dass es heute schnell und mit wenig Aufwand möglich ist, Architekturqualität vollumfänglich zu messen. So werden Risiken oder Chancen frühzeitig sichtbar." Ein Potenzial, das Investoren früh erkannten: "Ich konnte die erste Finanzierungsrunde noch vor der Verteidigung meiner Dissertation sichern" sagt Standfest. Heute besteht Archilyse aus einem neunköpfigen Team aus den Disziplinen Informatik, Astrophysik, Architektur, Elektrotechnik, Betriebswirtschaft und Kulturwissenschaften.

In finanzieller Hinsicht ist das Unternehmen denn auch eher ein atypisches Startup. "Wir können alle von der Arbeit in der Firma leben. Wir zahlen normale Löhne und haben normale Arbeitszeiten", so Standfest. Das dürfte auch daran liegen, dass das Kundensegment von Archilyse finanzstark ist. Dazu gehören Pensionsversicherungen, Bewirtschafter, Immobilienportale und -entwickler sowie Konzerne mit eigener Immobilienverwaltung. "Unsere Zielgruppe bewegt sich zum grössten Teil im Multimilliarden-Segment", so der Gründer.

Internationale Ausrichtung

Und es sieht alles danach aus, dass Archilyse zu einem international tätigen Unternehmen wird. "Wir unterzeichnen gerade grosse Projekte und prüfen die Markteinführung in Deutschland, Skandinavien und Asien", verrät Standfest. Zudem tüfteln die Jungunternehmer laufend an neuen Produkten: "Im Mai bringen wir zum Beispiel ein Werkzeug zur automatischen Überprüfung der Schweizer Bauzonenordnung auf den Markt."

Jetzt sind die Jungunternehmer für den Pionierpreis der Zürcher Kantonalbank nominiert. "Die Nominierung ist eine schöne Anerkennung, die uns auf unserem Kurs bestätigt", sagt Standfest.

Dieser Artikel erschien erstmals bei ETH-News.

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