Peter Fischer: "Das föderalistische System ist nicht immer förderlich"
Peter Fischer wacht über die IT der Bundesverwaltung und leitet die Informatikstrategie des Bundes. Im Interview spricht er über den Reiz seiner Aufgabe, den Nachholbedarf im Schweizer E-Government und über die Open-Source-Strategie des Bundes.
Als Leiter des Informatiksteuerungsorgan des Bundes (ISB) sind Sie gewissermassen der CIO der Bundesverwaltung. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Peter Fischer: Die Aufgabe eines Delegierten für die Informatiksteuerung ist spannend. Es gibt kaum eine Organisation in der Schweiz, die derart vielfältige Aufgaben und Geschäftsprozesse hat wie die Bundesverwaltung. Vom Hochschul- über Forschungs- bis zum Steuerveranlagungs- oder Frequenzmanagement – Informatik ist ein breites Spektrum. Hier Nutzen zu bewirken, indem wir die sinnvollen gemeinsamen Themen und Leistungen identifizieren und steuern sowie gleichzeitig die nötige Geschäftsnähe der Informatik sicherstellen, ist faszinierend. Und dies an der Schnittstelle von Technik, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Welches E-Government-Projekt hat für Sie persönlich die höchste Priorität – und warum?
Direkten Nutzen stiften die konkreten Leistungen wie E-Umzug, elektronische Steuerveranlagung oder die Geoinformationsdienste. Wichtig sind dabei Basisleistungen. Der Einsatz einer staatlich geprüften, anerkannten elektronischen Identität (E-ID) hat zum Beispiel sehr hohe Priorität. Sie bildet die Grundlage für medienbruchfreie E-Government-Anwendungen, vor allem aber auch für den Einsatz im E-Business. Es geht um einen Baustein der digitalen Infrastruktur unseres Landes. Im September 2019 verabschiedeten National- und Ständerat das E-ID-Gesetz. Die E-Government-Strategie 2020–2023 sieht vor, die E-ID bis Ende 2021 in den Beziehungen zur Verwaltung zu etablieren.
In internationalen E-Gov-Rankings hinkt die Schweiz anderen Ländern hinterher. Wie erklären Sie sich das?
Dass die Schweiz im europäischen Vergleich "nur" im Mittelfeld platziert ist, liegt vielleicht auch daran, dass sie traditionell eine bürgernahe Verwaltung hat. Das föderalistische System ist nicht immer förderlich: Zwar hat es den Vorteil von Wettbewerb und dezentraler Innovation, aber wir bekommen in den kleinräumigen Strukturen die Skaleneffekte kaum hin und die Leistungen nicht in die Breite. So existieren in der Schweiz noch nicht überall gemeinsame oder gemeinsam nutzbare Datenregister, weshalb durchgängige Prozesse erschwert sind. Vieles wird mehrfach entwickelt und Daten mehrfach erhoben sowie verwaltet. Gerade am Beispiel der noch fehlenden E-ID zeigt sich, dass insbesondere bei Basisinfrastrukturen die Skalierung, die Verbreitung entscheidend sind. Länder mit einer bereits bestehenden E-ID schneiden in Rankings insgesamt besser ab, darunter Estland, Dänemark und Schweden. Die Vergleiche geben uns Ansporn, den Kunden mehr Leistungen elektronisch und automatisiert verfügbar zu machen.
Welches Land hat Ihrer Meinung nach die Nase vorn, wenn es um E-Government geht? Und was kann die Schweiz davon lernen?
Gemäss dem E-Government-Benchmark-Bericht liegen Estland, Malta und Österreich in Bezug auf die Digitalisierung der Verwaltung vorn. Aber auch Dänemark gilt in internationalen E-Government-Rankings als digitaler Vorreiter. Die wichtigsten Grundlagen für ein fortgeschrittenes E-Government in Dänemark sind: die Gleichsetzung von papierbasierten und elektronischen Dokumenten und Unterschriften, die elektronische Identität sowie ein digitaler Postkasten. Im Gegensatz zur Schweiz kann Dänemark als ein zentral gesteuertes Land Grundlagen einfacher auf nationaler Ebene durchsetzen. Ein Blick auf das Nachbarland Österreich zeigt aber auch, dass der Fortschritt im Bereich E-Government nicht nur in zentral gesteuerten Staaten möglich ist. In Österreich ist E-Government bereits seit 2004 gesetzlich geregelt. Aktuell können dort viele Behördengänge online erledigt werden. Die Grundlage dafür bildet ein zentraler Zugang über ein Portal sowie die Handy-Signatur als rechtsgültige elektronische Unterschrift.
Vor einem Jahr forcierten die Bundeskanzlei und die Schweizerische Post ihre Pläne fürs E-Voting. Spätestens seit dem öffentlichen Intrusionstest des E-Voting-Systems der Post stossen diese Pläne jedoch auf harsche Kritik. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Nach langjährigem Versuchsbetrieb in den Kantonen hat der Bundesrat die Vernehmlassung zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) eröffnet, in der E-Voting als dritter ordentlicher Stimmkanal festgelegt werden sollte. Die Vernehmlassung zeigte, dass sich eine deutliche Mehrheit der Kantone und Parteien grundsätzlich für die Einführung von E-Voting aussprechen. Den Übergang in den ordentlichen Betrieb erachten aber insbesondere die meisten Parteien als verfrüht. Grund für diesen Rückschritt sind die Probleme bei den getesteten E-Voting-Systemen im Kanton Genf sowie der Schweizerischen Post. Daraufhin hat sich der Bundesrat im Juni 2019 dafür ausgesprochen, E-Voting im Versuchsbetrieb zu belassen und diesen bis Ende 2020 zusammen mit den Kantonen neu auszurichten. Ziel ist der Aufbau eines stabilen Betriebs mit vollständig verifizierbaren Systemen. Dazu gehören ein Ausbau der unabhängigen Kontrollen, die Stärkung von Transparenz und Vertrauen sowie der vermehrte Einbezug der Wissenschaft. Die Sicherheit hat immer Vorrang. Die Mängel müssen behoben werden, damit sich vollständig verifizierbare Systeme bilden.
Wie stehen Sie persönlich zum Thema E-Voting?
Ich bin überzeugt, dass einmal der Moment kommt, in dem E-Voting als normal betrachtet wird. In der Nationalen E-Government-Studie 2019 gaben bereits 47 Prozent der Bevölkerung an, dass sie häufiger an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen würden, wenn sie eine elektronische Urne nutzen könnten. Und nahezu 70 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass E-Voting allen Stimmberechtigten zur Verfügung stehen müsse. Aber die Bedingungen dafür müssen stimmen. Die politische Partizipation ist in der Schweiz ein hohes Gut und dank E-Voting soll das Wählen und Abstimmen für alle möglichst einfach zugänglich sein. Insbesondere Stimmberechtigte mit einer Behinderung oder Auslandschweizerinnen und -schweizer könnten dank E-Voting einfacher wählen und abstimmen.
Auch die Einführung der E-ID stösst auf Widerstand. Kritiker machten insbesondere datenschutzrechtliche Bedenken geltend. Was halten Sie als Jurist von diesem Vorbehalt?
Die Schweiz ist sich den datenschutzrechtlichen Gefahren beim Einsatz der E-ID durchaus bewusst. Aus diesem Grund sind die Vorschriften im neuen E-ID-Gesetz bezüglich des Datenschutzes strenger als das geltende Datenschutzrecht. Das E-ID-Gesetz sieht eine klare Aufgabenteilung zwischen Staat und Markt vor: Der Staat übernimmt die Identitätsprüfung, er garantiert die Identität. Von ihm offiziell zertifizierte private Anbieter vertreiben die elektronischen Träger dieser Identität, der E-ID. Bezüglich des Datenschutzes sieht das Gesetz vor, dass private Provider die Daten zu keinen anderen Zwecken als für die E-ID nutzen dürfen. Der Verkauf von Daten oder die Erstellung von Profilen ist untersagt. Vorgesehen sind zudem drei Sicherheitsniveaus: niedrig, substanziell und hoch. Ab Sicherheitsniveau substanziell braucht es eine Zwei-Faktor-Authentifizierung.
Im Gegensatz zum Thema E-Voting hält sich der Bund in puncto E-ID zurück. Woher kommt diese Vorsicht?
Bei E-Voting gilt Sicherheit vor Tempo. Und auch bei der E-ID hat die Sicherheit einen hohen Stellenwert. Abgestützt auf internationale und nationale Erfahrungen treibt der Bund letztere vorwärts. Zu beiden Projekten hat der Bundesrat klar kommuniziert.
Das ISB hat Anfang 2019 eine Strategie für die Einführung von Open-Source-Software (OSS) in der Bundesverwaltung publiziert. Was steckt hinter diesem Vorhaben? Anders gefragt: Warum fördert der Bund quelloffene Software?
Im Leitbild für das öffentliche Beschaffungswesen ist festgehalten, dass Chancengleichheit für alle Lieferanten gelten soll. Aufbauend auf diesem Leitbild sollen in der Bundesinformatik für den Einsatz von proprietärer Software wie auch Open-Source-Software gleich lange Spiesse geschaffen werden. Dies wollen wir mit dem strategischen Leitfaden "Open Source in der Bundesverwaltung" und dem Wissen dazu fördern. Die optimalen Lösungen sollen eingesetzt werden. Bei den Serverbetriebssystemen und bei Internetanwendungen ist OSS bereits seit Jahrzehnten im Einsatz und trägt zu tieferen Betriebskosten bei.
Wie läuft die Umsetzung der Strategie?
Die Umsetzung der Strategie ist auf gutem Weg. Der gemeinsam mit Vertretern aller Departemente erarbeitete strategische Leitfaden hat ausserdem dazu beigetragen, dass das Wissen um die Vor- und Nachteile und den Einsatz von OSS in der Bundesverwaltung stärker geteilt und verbreitet wird. Die Einsatzbedingungen werden verbessert.
Wo sehen Sie die grössten Vorteile von OSS gegenüber proprietären Lösungen?
Bei der ICT-Beschaffung stehen nicht bestimmte Markenprodukte oder Anbieter im Fokus. Es geht immer darum, eine möglichst wirtschaftliche Lösung zu finden. Weder bei proprietärer noch bei offener Software bestehen nur Vorteile. Daher ist es wichtig, die Kosten insgesamt über die volle Länge des Lebenszyklus einer Anwendung zu betrachten. Die relativ einfache Widerverwendbarkeit oder in gewissen Konstellationen die kostenlose Lizenzierung können ein Vorteil sein. Verbunden mit internem Wissen kann OSS die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten vermindern.
Mit was für Einschränkungen müsste man bei einer kompletten Umstellung auf OSS auf Bundesebene rechnen?
So wie bei zahlreichen Unternehmen, bestehen auch in der Bundesverwaltung gewisse Abhängigkeiten. Ein kompletter Umstieg auf OSS ist daher unrealistisch. Damit ist nicht primär eine Herstellerabhängigkeit zu verstehen, sondern Abhängigkeiten bei notwendigen, hochintegrierten Applikationen in Verbindung zu den verschiedenen Geschäftsprozessen. Die Kosten und Risiken, die mit einer vollständigen Umstellung auf OSS entstehen würden, wären nicht vertretbar. Es geht nicht um "alles oder nichts". Bei IKT-Beschaffungen gilt immer abzuwägen, was in einer bestimmten Konstellation die optimale Lösung ist.
Welche ICT-Schlüsselprojekte stehen 2020 an?
Zurzeit hat der Bundesrat 17 IKT-Schlüsselprojekte definiert. Zu den bekannteren Vorhaben zählen "GENOVA" - Realisierung und Einführung einer Geschäftsverwaltung auf Bundesebene, "SUPERB23 & ERP SYSTEME V/ar" - Migration und Harmonisierung der Supportprozesse auf die neue SAP-Plattform sowie das Transformationsprogramm "DaziT". Die Liste der aktuellen IKT-Schlüsselprojekte ist publiziert unter: https://www.isb.admin.ch/isb/de/home/themen/programme_projekte/ikt-schluesselprojekte/liste_der_ikt_schluesselprojekte.html
Auf welches Projekt freuen Sie sich besonders - und warum?
Die digitale Transformation ist omnipräsent und betrifft alle unsere Lebensbereiche. Auch vor der Verwaltung macht sie nicht Halt. Es ist eine spannende Herausforderung als Delegierter des Informatiksteuerungsorgan des Bundes die digitale Transformation der Bundesverwaltung mitgestalten zu können. Darauf freue ich mich.
Zur Person
Seit dem 1. Mai 2007 leitet Peter Fischer das Informatiksteuerungsorgan des Bundes (ISB). Zum ISB gehört auch die Melde- und Analysestelle für die Informationssicherung Melani. Das ISB koordiniert die Umsetzung der nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken. Peter Fischer studierte Rechtswissenschaften an der Universität Genf und absolvierte nach seinem Abschluss als lic. iur. das Fürsprecherexamen am Obergericht Bern. 1992 nahm er die Arbeit als Vizedirektor im Bundesamt für Kommunikation auf. 1994 übernahm er die Funktion des stellvertretenden Direktors und Leiters der Abteilung Telekomdienste. Neben seiner beruflichen Tätigkeit dozierte er von 1999 bis 2007 an der Universität Freiburg. Im Januar 2007 hat der Bundesrat Peter Fischer zum Delegierten für die Informatikstrategie Bund und im Dezember 2011 zum Delegierten für die Informatiksteuerung des Bundes ernannt.