Interview mit Ivo Furrer, Präsident, Digitalswitzerland

So ist Digitalswitzerland nach der Fusion gestartet

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Seit dem 1. Januar ist die neue Digitalswitzerland am Start und will die Schweiz zum führenden Innovation Hub der Welt machen. Nach der Fusion von ICT-Switzerland mit Digitalswitzerland soll dies mit vereinten Kräften gelingen. Digitalswitzerland-Präsident Ivo Furrer spricht über Pläne und Herausforderungen – es gibt viel zu tun. Interview: Marc Landis

Ivo Furrer, Präsident, Digitalswitzerland. (Source: © KEYSTONE / GAETAN BALLY)
Ivo Furrer, Präsident, Digitalswitzerland. (Source: © KEYSTONE / GAETAN BALLY)

Digitalswitzerland hat am 1.1.2021 nach der Fusion mit ICT-Switzerland offiziell seinen Betrieb aufgenommen. Wie kam es zur Fusion?

Ivo Furrer: Wir haben uns zusammengeschlossen, weil beide Organisationen zum Schluss gekommen waren, dass wir unsere gemeinsame Vision, die Innovation in der Schweiz zu fördern, mit gebündelten Kräften besser erreichen können als alleine. Jeder der beiden Verbände hat seine eigenen Kernkompetenzen, die sich ideal ergänzen. Die Stärken von ICT-Switzerland liegen in der politischen Arbeit mit Lobbying, Aus- und Weiterbildung sowie Cybersecurity. Digitalswitzerland hingegen bringt die Agilität einer Bewegung mit, als die wir uns verstehen. Und wir sind von den Stakeholdern her breiter aufgestellt als ICT-Switzerland. Denn bei Digitalswitzerland sind Konzerne, Kantone und KMUs bis hin zu Hochschulen und NGOs vertreten – also Wirtschaft, Politik, Bildung und andere Institutionen –, deren Anliegen die Digitalisierung ist. Wir haben den solide organisierten und ebenso arbeitenden Verband ICT-Switzerland mit Digitalswitzerland vereint, mit einer Bewegung vereint. Mir gefällt der Begriff "joint forces": beide Organisationen haben immer versucht, das Maximum für die Schweiz herauszuholen. Mit dem Zusammenschluss können wir das nun besser, konzentrierter und fokussierter. Zusammen bringen wir die vereinte Power für eine digitalisierte Schweiz auf den Boden.

Was hat sich mit dem Zusammenschluss konkret verändert?

Durch die Fusion sind wir um rund 40 Mitglieder gewachsen und haben nun über 220 Mitglieder. Für die Führung des neuen Verbands schufen wir ein Exekutivkomitee, in dem die Exekutivkräfte beider Organisationen etwa gleichwertig vertreten sind. Zudem stellen wir im Rahmen unserer Governance sicher, dass alle Landesteile mit einbezogen werden können. Das war mir auch persönlich ein grosses Anliegen. Überdies änderte sich, dass zu unseren bestehenden Projektgruppen weitere Workstreams hinzukamen, in denen wir uns als Organisation engagieren möchten. Dazu gehören, ausser den bereits genannten Politik, Bildung, Cybersecurity, auch die Organisation der Digitaltage, die es bereits seit 2017 gibt, um die Bevölkerung in ihrem Verständnis für den digitalen Wandel zu unterstützen, und die Förderung einer digitalen Infrastruktur, etwa mit 5G, sowie der digitale Zugang zu Behördendiensten mit einer elektronischen Identität. Für Digitalswitzerland ist insbesondere das politische Engagement neu und dass wir eine "eigene Meinung" zu wichtigen politischen Themen rund um Digitalisierung und digitale Innovation in der Schweiz haben. Ich bin der Überzeugung, dass wir das auch müssen. Wir können nicht eine Digital-Organisation, ja eine digitale Bewegung sein und keine politische Meinung haben. Wir vertreten als Digitalswitzerland die innovative, moderne und digitalisierte Schweiz und deshalb sind wir Themen wie 5G, E-ID oder dem elektronischen Patientendossier gegenüber nicht neutral. Durch die Fusion mit ICT-Switzerland sind wir hinsichtlich unseres politischen Engagements konsistenter und klarer im Auftritt geworden.

Präsident und Geschäftsführer der neuen Organisation werden nach der Fusion beide von Digitalswitzerland gestellt. Und der neue Name der Organisation ist Ihr alter Name. Das erweckt den Eindruck einer Übernahme und nicht des Zusammengehens zweier gleichberechtigter Partner. Was sagen Sie dazu?

Ich würde das nicht als Übernahme bezeichnen. Dem widerspricht auch die Tatsache, dass die beiden Organisationen in etwa gleichberechtigt im Executive Committee vertreten sind. Zudem haben wir uns in einem Prozess, der 12 oder 18 Monate dauerte, intensiv miteinander auseinandergesetzt. Die Entscheidung für den Namen der neuen Organisation fiel zugunsten von Digitalswitzerland – weil "digital" attraktiver und einfacher zu verstehen ist als "ICT" und auch die Vision der neuen Organisation besser transportiert. Zudem verständigten wir uns darauf, dass die neue Organisation vom bisherigen Geschäftsführer Nicolas Bürer und von mir als bisherigem Präsidenten geführt wird. Aber es ist natürlich nicht in Stein gemeis­selt, dass dies auf alle Zeit so bleiben muss. Es spricht nichts dagegen, wenn ein ehemaliger ICT-Switzerland-Kollege Präsident würde, der aktuell im Executive Committee mit dabei ist.

Wie positioniert sich der fusionierte Verband 2021 konkret?

Wir machen heute nicht etwas komplett Anderes oder Neues als vor der Fusion, sondern haben Kompetenzen hinzugewonnen. Vision und Mission von Digitalswitzerland haben sich durch den Merger nicht verändert: Wir wollen weiterhin die Schweiz zu einem weltweit führenden Hub für digitale Innovation machen. Momentan steht die Schweiz auf Platz fünf im Global Competitiveness Index (GCI). Diese Position zu halten wird nicht einfach sein, denn der internationale Wettbewerb ist stark und andere holen auf. Wir sind aber zufrieden, wenn wir das schaffen. Es ist wichtig, dranzubleiben.

Wo sehen Sie für die Schweiz konkreten Nachholbedarf in diesem Rennen um die Wettbewerbsfähigkeit oder konkreter bei den Themen E-ID, MINT-Berufsbildung und Start-up-Ökosystem, die Digitalswitzerland aktiv bewirtschaftet?

Die Antwort ist uneinheitlich: Die E-ID ermöglicht E-Government, stellt also sicher, dass wir Behördendienste mit einer staatshoheitlich sanktionierten Identifikation beziehen können oder auch rechtsgültige Verträge im Internet abschliessen können. Die E-ID ist ein absolutes Must – es geht nicht ohne. Wer das nicht begreift, dem ist nicht zu helfen. Hier könnte die Schweiz wichtiges Terrain verlieren. Glücklicherweise haben einige clevere Menschen gemerkt, dass die Herausgabe der E-ID nicht durch den Staat erfolgen muss, sondern dieser lediglich sicherstellen muss, dass die Personendaten auf der E-ID korrekt sind. Der Aufbau einer E-ID-Infrastruktur erfolgt effizienter in den Händen der Privatwirtschaft. Hier finden sich Profis für die Umsetzung solcher Projekte und nicht in der öffentlichen Verwaltung. Diese Tatsache stützen auch die vielen in der Vergangenheit gescheiterten IT-Projekte der öffentlichen Hand. Wir sind weit im Hintertreffen, wenn man unser E-Government mit anderen Ländern vergleicht. Nicht zuletzt, weil eine sichere elektronische Identifikation fehlt. Besser sieht es bei der MINT-Ausbildung aus. Hier haben wir einen guten Standard – aber man kann nie genug machen. Und deshalb ist das bei Digitalswitzerland als Thema weit oben auf der Agenda. Auch die Frauen­förderung ist für uns in diesem Zusammenhang zentral. Hier müssen wir noch besser werden. Das Start-up-Ökosystem hierzulande können wir aus Sicht von Digitalswitzerland nur beschränkt beeinflussen, etwa durch Matchmaking-Plattformen. Wir unterstützen deshalb auch die Venture-Capital-Plattform "Noah" aus Deutschland in ihrem Bemühen, in der Schweiz optimal Fuss zu fassen. Denn wir haben hierzulande zu wenige Risikokapitalgeber. Zudem haben wir ein Problem bei den Rahmenbedingungen, etwa bei der steuerlichen Behandlung von Start-ups oder bei der Einwanderungspolitik, insbesondere wenn es darum geht, hochqualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten wie Indien etc. in die Schweiz zu holen. Das behindert den Markt – wir müssen also die entsprechenden Bedingungen schaffen, wenn wir hierzulande innovativ sein wollen und uns auf dem GCI-Rang fünf halten oder gar besser werden wollen. Hier haben wir einen ziemlichen Nachholbedarf.

Corona hat die Defizite in der Digitalisierung der öffentlichen ­Verwaltung offengelegt. Wie kann Digitalswitzerland helfen, die Digitalisierung der Verwaltung voranzutreiben, die eigentlich längst beschlossen, aber nicht umgesetzt ist?

Ja, man muss wirklich sagen, dass wir hier noch einen weiten Weg vor uns haben. Der ganze Austausch zwischen Hochschulen, Bund und Kantonen im Zusammenhang mit der Pandemie – etwa die Meldungen der Infektionszahlen, Todesfälle, Berechnungen von R-Wert etc. – hat weniger als nur dürftig funktioniert. Die durchgängige Digitalisierung in der Verwaltung scheint noch in weiter Ferne. Wenn das Bundesamt für Gesundheit eine kleine Ewigkeit braucht, um eine einfache Statistik zu erstellen, ist das aber nicht nur die Schuld des Bundesamtes, sondern das fängt schon bei den Kantonen an. Meine Feststellung ist, dass viele Digitalisierungs-Ideen an die Verwaltungen bei Bund und Kantonen kommuniziert werden, die dann mit den unterschiedlichsten Begründungen zurückgewiesen werden: keine Finanzen, keine Ressourcen, keine gesetzliche Grundlage, der politische Wille fehlt, oder "wir haben es im Griff". Wir sind aber mittlerweile so weit, dass die Probleme erkannt sind. Die Pandemie hat das offensichtlich gemacht. Wir stehen mit Digitalswitzerland staatlichen Stellen gerne unterstützend zur Verfügung.

Was sagen Sie dazu, dass es erst eine Pandemie brauchte, bis ­flächendeckend allen klar wurde, welche Vorteile die Digitalisierung mit sich bringt?

Ja, verrückt, nicht wahr? Die Pandemie war der beste Chief Digital Officer, den sich die Schweizer Wirtschaft hätte wünschen können. Vor der Pandemie gab es auf C-Level wahrscheinlich mehr Argumente gegen die Digitalisierung als dafür.

Welche Prognose geben Sie für die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz für 2021 ab?

Ich bin nicht berufen, eine solche Prognose zu machen. Da gibt es Experten, die das besser können als ich. Diese sagen – und ich neige dazu, ihnen zu glauben –, dass es einen schönen Aufschwung gibt, wenn es gelingt, die Pandemie in nützlicher Frist, also bis Ende des zweiten Quartals 2021, in den Griff zu bekommen. Dafür müssen aber bis Mitte des Jahres 60 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft sein. Wir rechnen mit einem "W", wenn wir die wirtschaftliche Entwicklung grafisch betrachten.

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