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Kundenzentriertheit und Boni: Geht das wirklich auf?

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Kundenzentrierung ist das Schlagwort, das immer mehr in der Finanzindustrie die Runde macht. Man stellt Kundinnen und Kunden in den Fokus der unternehmerischen Wertschöpfung. Die Machtverhältnisse in einer digitalen Ära verschieben sich zwischen Anbietern und Nachfragern und die Konsumenten verfügen über mehr Macht, die Wechselhürden fallen.

(Source: sesame / iStock)
(Source: sesame / iStock)

Letztlich hat jedes Unternehmen das Ziel, Kunden langfristig an sich zu binden. Dafür braucht es ein tiefgreifendes Verständnis für die Kundenbedürfnisse entlang der ganzen Customer Journey. Kundenzentriertheit soll also nicht nur im Strategiepapier verankert sein, sie muss gelebt werden. Eigentlich ist die Kundenzentrierung ein alter Hut. Schon früh in der rund 25-jährigen Unternehmensgeschichte von Amazon formulierte Gründer Jeff Bezos seine Philosophie, an der bis heute nicht gerüttelt wurde: "We aim to be Earth's most customer centric ­company".

Die Mission ist einfach: Das Kundenerlebnis soll kontinuierlich höher gelegt werden, indem Technologie eingesetzt wird, um den Kunden zu helfen, alles zu finden und Neues zu entdecken. Es geht um die nachhaltige Entwicklung und Pflege einer Kundenbeziehung. Das Problem in unserer Hemisphäre: Technologie wird oft noch als Kostenfaktor statt als Weg in die Zukunft betrachtet.

Bezos lebte Kundenbesessenheit und ging so weit, dass er oft einen leeren Stuhl in Sitzungen rollte und die Mitarbeitenden daran erinnerte, dass "die wichtigste Person im Raum" der Kunde sei. Er scheute auch nicht, direkt Kunden anzugehen, um deren Bedürfnisse zu verstehen. Vor über 20 Jahren war Amazon lediglich ein Onlinehändler von Büchern und Videos. Bezos selbst wählte rund tausend Kunden aus und schickte ihnen eine kurze E-Mail mit der Frage: "Was möchten Sie ausser Büchern noch von uns erhalten?"

Statt irgendwelche interne Kreativmeetings in schön gestalteten Innovationslaboren abzuhalten oder den Mitarbeitenden einen "Innovation Friday" zu ermöglichen, macht Amazon das, was viele Firmen nicht konsequent genug tun: immer mit den Kunden reden, auf gleicher Augenhöhe. Die Gefahr, den Anschluss zu verpassen, ist eminent. Das Rad dreht sich immer schneller in einer vom Smartphone geprägten Welt.

Boni schaden der Flexibilität

Doch wie erkennt man frühzeitig diese Veränderungen? Diese Frage stellte ich kürzlich der Geschäftsleitung eines Finanzinstituts. Marktforschungen, Kundenumfragen und Feedbacks aus Beratungsgesprächen seien die richtigen Tools dafür. Das gehört zum Standardrepertoire, ganz klar. Doch in einer schnelllebigen Zeit helfen zwei einfache Hilfsmittel, um zu verstehen, wie und wo sich Menschen bewegen: Google Trends und App-Download-Statistiken. Diese zeigen emotionslos, was Konsumenten derzeit bewegt, was sie suchen und welche digitalen Hilfsmittel sie nutzen.

Damit echte Kundenzentrierung gelebt wird, müssen aber auch Anreiz- und Messsysteme überdacht werden. Wie kann ein Finanzinstitut kundenzentriert sein, wenn letztlich Berater mit knallharten Sales- und Umsatzzahlen gemessen werden und der Bonus schon fast ein integraler Bestandteil der Vergütung darstellt? Boni schaden der Flexibilität eines Unternehmens und genau diese ist in einer kundenzentrierten Welt unabdingbar. Netflix hat es vorgemacht. Das Unternehmen bietet Rockstar-Gehälter und verzichtet auf Boni. Nur so entfaltet sich Kreativität, die es eben in einer kundenzentrierten Welt braucht. Heute gilt: "There is only one boss. The customer."

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