Editorial

Schweizer Finanzindustrie im Open-Banking-Kriechgang

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Marc Landis, Chefredaktor, Netzmedien. (Source: Netzmedien)
Marc Landis, Chefredaktor, Netzmedien. (Source: Netzmedien)

Die Schweizer Finanzbranche hat den Ruf, träge und wenig innovativ zu sein. Zudem hat man hierzulande Open Banking verschlafen und es auf politischer Ebene verpasst, mit den nötigen Gesetzen Rechtssicherheit für die Digitalisierung der Finanz­industrie zu schaffen.

Dies führt zu einem noch zaghaften, abwartenden Verhalten der Industrie als Ganzes. Allerdings gibt es Unterschiede. Während einige Universalbanken begriffen haben, dass sie die Kundschaft über digitale Interfaces mit smarten Services betreuen können, hinken die Privatbanken bei der Digitalisierung ihrer Kundenbeziehungen hinterher. Aber die Digitalisierung der Kundenbeziehung ist insbesondere für sie der Schlüssel für Kundengewinnung und -bindung.

Laut einer Studie von Columbus Consulting besteht für Privatbanken die Herausforderung darin, innovativere, fortschrittlichere Funktionen zu entwickeln und anspruchsvolle und relevante Inhalte zu kreieren, die regelmässig veröffentlicht werden. Aber die Studie legt offen, dass sie hinsichtlich Webpräsenz, mobilen Anwendungen, digitalem Marketing und ihrem Auftritt in sozialen Netzwerken Nachholbedarf haben. Das gilt auch für Retail-Banken hierzulande – obwohl sie in puncto Digitalisierung weiter sind als die Privatbanken.

Die Entwicklung hin zur digitalisierten Kundenbeziehung dürfte sich wohl nur dann beschleunigen, wenn die Banken Open-Banking-Strukturen übernähmen, welche die Verbindung zu Mehrwert-Anwendungen und -Diensten auf digitalen Plattformen ermöglichten. Wie ein Blick in den EU-Raum zeigt, ist dort die Digitalisierung der Finanzindustrie insbesondere im Retail-Geschäft bereits fortgeschritten, da sie mit der Rechtsnorm PSD2 gezwungen ist, standardisierte Schnittstellen bereitzustellen und auf Wunsch der Kundschaft für Dritte zu öffnen. Dasselbe gilt für Grossbritannien. Dies stützt auch das Bain-Benchmarking vom Januar 2021 unter 50 führenden Retail-Banken in Europa. Es zeigt, dass im europäischen Vergleich Banken aus der Schweiz fast durchgehend schlechter abschneiden als ihre Wettbewerber und sich vorwiegend im hinteren Drittel des Feldes tummeln.

Aufgrund des Fehlens einer verpflichtenden Open-Banking-Richtlinie kochen hierzulande einige Marktteilnehmer ihr eigenes Süppchen. Allerdings haben auch sie gemerkt, dass man nicht alles alleine machen kann, und sie überlegen sich, in welchen Rollen sie in digitalen Ökosystemen auftreten können beziehungsweise möchten. Liefern sie einfach eine Dienstleistung für eine digitale Plattform, orchestrieren sie die Plattform oder betreiben sie sie? Dazu schmieden sie Allianzen: Banken mit Versicherungen, Banken mit Immobilienportalen, Versicherungen mit Autoportalen oder auch Software­anbieter mit ihren Bank- beziehungsweise Versicherungskunden.

Wie viel schneller das wohl gehen würde, wenn es eine gesetzliche Regelung für Open Banking gäbe? Sogar in der Hochburg des Liberalismus, den USA, sind entsprechende Vorstösse der Regierung hängig.

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