Positionierungspotenziale für die Finanzindustrie

Die Bedeutung von Ecosystems – Ansatz für ein strukturiertes Vorgehen

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von Stefanie Auge-Dickhut, Head CC Ecosystems, Business Engineering Institute St. Gallen

Ecosystems versprechen Innovation und eine bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse durch branchenübergreifende, integrierte Dienstleistungen. Um funktionierende, wertsteigernde ­Ecosystems zu schaffen, braucht es jedoch nicht nur die richtige Strategie, sondern ein grund­legendes Verständnis über die Funktionsweise von Ecosystems.

Stefanie Auge-Dickhut, Head CC Ecosystems, Business Engineering Institute St. Gallen. (Source: _www.peterruggle.ch)
Stefanie Auge-Dickhut, Head CC Ecosystems, Business Engineering Institute St. Gallen. (Source: _www.peterruggle.ch)

Kunden wünschen sich eine Lösung ihrer Probleme und sind häufig nicht mehr primär am Besitz von Produkten interessiert. Trends wie "Everything-as-a-Service" gewinnen an Bedeutung – nicht nur für den B2B-Bereich (etwa bei Software- oder Infrastructure-as-a-Service), sondern auch im B2C-Bereich. Services werden dabei durch enge, kollaborative Zusammenarbeit von häufig branchenfremden Unternehmen in einem Netzwerk beziehungsweise Ecosystem angeboten.

Positionierungspotenziale für die Finanzindustrie

Aktuelle Herausforderungen der Finanzindustrie können durch das Engagement in Ecosystems zumindest in Teilen gelöst werden. Steigende Kundenanforderungen werden durch umfassendere und innovativere Lösungen befriedigt. Innovation entsteht dabei nicht nur durch die Bündelung und Adaption von Services, sondern auch durch die Analyse von Transaktionsdaten, um unter anderem Angebote zu personalisieren. Abgesehen von der gestiegenen Innovationsfähigkeit können vor allem auch immer diversere Kundenbedürfnisse effizient erfüllt werden. Es werden komplexe Services angeboten, ohne dass ein einzelner Anbieter alle einzelnen inkrementellen Services selbst "herstellen" oder komplexe Besitzstrukturen selbst aufbauen muss. Häufig entstehen auch für die Beteiligten neue Erlösmöglichkeiten durch Zugang zu einer breiteren Kundenbasis, eventuell auch durch die Entwicklung innovativer Erlösmodelle, beziehungsweise sie gewinnen weitere strategische Vorteile.

Wie entscheidet man nun aber, ob man sich an einem oder mehreren Ecosystems beteiligt oder selbst eines aufbaut und – noch viel herausfordernder – setzt diese Entscheidung dann auch noch erfolgreich in die Tat um? Zwingend notwendig ist ein Verständnis dafür, was ein Business-Ecosystem ausmacht, wie es funktioniert und welche Rollen es gibt. Davon ausgehend kann man dann in einem nächsten Schritt evaluieren, welche konkreten Netzwerke für das eigene Unternehmen interessant wären und welche Rollen man aufgrund der eigenen Fähigkeiten und denen der Konkurrenz realistischerweise einnehmen kann und möchte.

Systematischer Ansatz zur Analyse der Handlungsoptionen in Ecosystems

Ein Ecosystem lässt sich nicht exakt auf dem Reissbrett ent­wickeln, sondern entsteht iterativ, ausgehend von einem bestimmten Kernwerteversprechen mit zugehörigem Kernservice. Der Aufbau eines Ecosystems geht in Phasen vonstatten, die aber zum Teil revolvierend und überlappend durchlaufen werden. Ausgehend von einer Trendanalyse werden die veränderten Kundenbedürfnisse und deren Impact auf die Unternehmensstrategie analysiert. Mögliche Instrumente, um die Motive und Probleme der Kunden zu verstehen, können beispielweise mit Methoden aus dem Design-Thinking- oder auch dem Jobs-to-be-done-Ansatz gewonnen werden. Die konkretisierte Idee kann auch als Kernwerteversprechen formuliert werden (wie etwa bei der Wohneigentümer-Plattform Houzy "Wir machen Wohneigentum einfach"), um das sich die Teilnehmenden des Netzwerks dynamisch gruppieren.

Der nächste Schritt ist die Konkretisierung der zukünftig angebotenen Services: Was sind Kernservices, was sind ergänzende Services? Ergänzende Services können Services sein, die den Kernservice anreichern, etwa eine Nachlassplanung als Ergänzung der Vermögensplanung. Oder aber auch eine Anbindung vor- beziehungsweise nachgelagerter Services (z. B. nach erfolgter Hausfinanzierung).

Instrumente, um Services zu systematisieren, sind unter anderem das Circle-of-Influence-Modell, das Unternehmen hilft, Aktivitäten zu eruieren, die sie entweder selbst durchführen ­(Circle of Control) oder aber in Kooperation mit Dritten beeinflussen können (Circle of Influence). Gleichzeitig kann dieses Ins­trument auch genutzt werden, um zu verstehen, welche Aktivitäten der Kunde gegebenenfalls bisher durchführt und wo für ihn Entlastung im Sinne eines integrierten Service geschaffen werden kann. Hierbei ist die Auswahl der möglichen Kooperationspartner im Einklang mit dem vorgegebenen Anforderungsprofil notwendig. Entsprechend wichtig ist ein dezidiertes Partnermanagement. Interessanterweise werden spätestens an diesem Punkt (nach Aufnahme der ersten Gespräche mit potenziellen Partnern) die bisher eingeleiteten Schritte noch einmal durch den Input der Partner adjustiert. Abschliessend können dann die gewonnenen Ergebnisse aggregiert werden – etwa unter Zuhilfenahme des Ecosystem Business Canvas von Marc Burkhalter. Dieser dient dazu (wie der Business Model Canvas von Pigneur auf Geschäfts­modellebene), die wichtigsten Schlüsselfaktoren auf Ebene des Ecosystems strukturiert darzustellen.

Eine Kernfrage bei der Beschäftigung mit dem Engagement in Ecosystems ist der damit verbundene Business Case. Häufig ist dieser vorab nur schwer darstellbar, wichtig ist aber, dass neben rein monetären Ergebnissen auch das Thema der Gewinnung von Daten – häufig in Form von Customer Insights – und auch die Kundenbindung als relevante Erfolgsfaktoren berücksichtigt werden.

Verständnis der existierenden Business-Ecosystems

Häufig zeigt die Beschäftigung mit den Angeboten Dritter, dass diese Unternehmen bereits in Ecosystems aktiv sind. Hier kann eine systematische Analyse des Umfelds dieser Unternehmen helfen, zu eruieren, ob gegebenenfalls auch die angedachten Services des eigenen Unternehmens in den identifizierten Ecosystems der potenziellen Partner angeboten werden sollen. Ein Hilfsmittel hierfür ist der Ecosystemradar des Business Engineering Institute (BEI) St. Gallen, in dem für den deutschsprachigen Raum (unter Berücksichtigung wesentlicher internationale Einflüsse) Plattformen und auch Ecosystems gesammelt und beschrieben werden. Hierbei werden zehn – aus Kundensicht relevante – Bedürfnisbereiche differenziert.

Nachdem ein grundlegendes Verständnis gewonnen wurde, wie ein mögliches neues Business-Ecosystem grundsätzlich aussehen könnte, und auch, welche Ecosystems rund um die analysierten Services bereits existieren, kann nun der Entscheid getroffen werden, ob eher eine Build- oder eine Integrate-­Strategie (in bestehende Ecosystems) verfolgt werden soll. Wichtig ist beim Schritt in die Netzwerkwelt das Verständnis, dass sich Kunden immer stärkere industrieübergreifende integrierte Services wünschen. Dies führt zu einer Veränderung des Bankings: Netzwerk- und Kundenorientierung wird bedeutsamer als eine reine Unternehmenszentrierung. Statt "mein" Kunde steht im Ecosystem "unser" Kunde im Mittelpunkt. Silo-Systeme werden zugunsten gemeinsamer, verteilter Systeme aufgelöst, was gewisse Anforderungen auch an die Agilität des Unternehmens stellt. Statt einzelner Produkte, wie eine Hypothek, stehen Themenfelder wie Wohnen oder Gesundheit im Vordergrund. Es findet eine Entwicklung von einem Produkt-"Push" hin zu einem Service-Pull statt. Die Serviceerbringung erfolgt kollaborativ mit Partnern im Ecosystem. Solche Geschäftsmodelle sind noch für viele Finanz­institute Neuland und erfordern die Fähigkeit und den Willen, aus bestehenden Denkmustern auszubrechen – und zu lernen.

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