Score 2024

Was den Onlinehandel umtreibt

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von Joël Orizet und lpe

Der Schweizer Onlinehandel gerät zunehmend unter Druck. Die Konsumflaute, Finanzierungsprobleme und die Konkurrenz aus China belasten das Geschäft. Mögliche Antworten auf diese und weitere Herausforderungen gab es an der E-Commerce-Konferenz Score.

Handelsexperte Malte Polzin und Gastgeberin Alexandra Scherrer begrüssten die Gäste an der Score 2024. (Source: Netzmedien)
Handelsexperte Malte Polzin und Gastgeberin Alexandra Scherrer begrüssten die Gäste an der Score 2024. (Source: Netzmedien)

Gedämpfte Kauflust, Kostendruck und Konkurrenz aus China: Der Schweizer Onlinehandel sieht sich in einer schwierigen Lage. Nachdem das Geschäft im Zuge der Coronapandemie geboomt hatte, folgte das böse Erwachen. Und nun stellt sich die Branche die Frage: Was tun? Zittern oder Zuversicht vermitteln? Im Zweifel wohl eher Letzteres. Zumindest auf der Bühne der diesjährigen Swiss Conference for Retail and E-Commerce (Score) zeigten sich die Referentinnen und Referenten vorsichtig optimistisch - mit einigen Ausnahmen. 

Ein Foto von Alexandra Scherrer, Meret Mügeli und Jochen Krisch

Alexandra Scherrer (l.), Meret Mügeli und Jochen Krisch diskutierten aktuelle Herausforderungen für den Schweizer Onlinehandel. (Source: Netzmedien)

Eine der aktuell grössten Herausforderungen für hiesige Onlinehändler ist der schwierige Zugang zu Kapital, wie Jochen Krisch, Gründer der K5 Future Retail Conference, sagte. Davon betroffen war beispielsweise der Elektronikhändler Steg, der seinen Betrieb im vergangenen Jahr aufgrund fehlender Finanzierung einstellen musste. Das Problem mit der Liquidität betrifft allerdings längst nicht alle Player gleichermassen. "Der Schweizer Onlinehandel steckt zwar in einer Krise - allerdings gab es noch nie so viele profitable Onlinehändler wie heute."

Auch die aktuellen Kennzahlen zum Konsum zeigen ein durchzogenes Bild. Einerseits verlangsame sich die Inflation im Detailhandel und der robuste Arbeitsmarkt in der Schweiz stütze den privaten Konsum, sagte Meret Mügeli, Ökonomin und Detailhandelsexpertin im Chief Investment Office der UBS. Andererseits drückten die überdurchschnittlich steigenden Krankenkassenprämien und die schwachen Reallohnsteigerungen die Kaufkraft der Haushalte. "Wir rechnen damit, dass die Detailhandelsumsätze im Non-Food-Bereich stagnieren", sagte Mügeli. 

Ein Foto von Meret Mügeli

Meret Mügeli, Ökonomin und Detailhandelsexpertin im Chief Investment Office der UBS. (Source: Netzmedien)

Die Kleinen haben ausgejubelt

Die Zurückhaltung bei den Ausgaben der Schweizerinnen und Schweizer mache den hiesigen Onlinehändlern schon seit einiger Zeit zu schaffen, sagte Alexandra Scherrer, CEO von Carpathia und Gastgeberin der Veranstaltung. 2022 setzte eine Konsolidierung ein - jüngste Beispiele dafür sind die Migros, die ihren Elektronikhändler Melectronics verkaufte und mit dem Abbau von 1500 Stellen begann, und Coop mit der Zusammenlegung von Microspot und Interdiscount.  

Für den letzteren der beiden Detailhandelsriesen scheint es damit aber noch nicht getan zu sein. Was mit den untereinander konkurrierenden Coop-Töchtern Fust, Nettoshop und Interdiscount passiere, sei noch völlig offen, sagte Scherrer und ergänzte: "Wir gehen davon aus, dass eine weitere Konsolidierung stattfinden wird." 

Ein Foto von Alexandra Scherrer.

Alexandra Scherrer, CEO von Carpathia. (Source: Netzmedien)
 

Das aktuell schwierige Umfeld würden jedoch vor allem die kleinen Anbieter spüren. "Das Geld sitzt weniger locker - und die Jubeljahre der Start-ups sind vorbei", sagte Scherrer. So sei hierzulande beispielsweise der Quick-Commerce-Ansatz gescheitert, was sich am kürzlich erfolgten Verkauf des Kurierdienstes Stash an das österreichische Unternehmen Alfies zeige. 

Diese Entwicklungen stimmen nicht optimistisch, wie Scherrer sagte. Doch zumindest für gewisse Anbieter böten sich attraktive Aussichten, insbesondere in den Bereichen B2B-E-Commerce, E-Food, das heisst für Lebensmittelhändler mit digitalen Vertriebskanälen, und für das Geschäft mit Marktplätzen. 

Wer hat Angst vor China?

Wer jedoch so etwas wie exponentielles Wachstum sucht, muss nach China blicken. Insbesondere der rasante Aufstieg von Temu sorgt für Aufregung - und erhitzt auch hierzulande die Gemüter. Der Verband der Schweizer Detailhandelsunternehmen, die Swiss Retail Federation, wirft dem Onlinehändler unlautere Geschäftspraktiken vor und reichte beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine entsprechende Beschwerde ein. 

Um das Geschäftsmodell des Onlinehändlers kursieren allerdings einige Mythen, die Ed Sander, China-Kenner und Mitgründer von ChinaTalk, an der Score ausräumen wollte. Zu diesen Mythen zählte er beispielsweise die Behauptung, wonach Temu respektive dessen Mutterkonzern Pinduoduo auf Kinderarbeit setze. Ebenfalls falsch seien die Annahmen, dass der Onlinehändler Daten verkaufe oder der chinesischen Regierung zur Überwachung diene. 

Ein Foto von Ed Sander.

Ed Sander, China Digital Tech Researcher und Co-Founder von ChinaTalk. (Source: Netzmedien)

Solche falschen Vorstellungen würden über tatsächliche Probleme hinwegtäuschen. Temu habe beispielsweise bewusst die Aspekte Compliance und Produktsicherheit vernachlässigt. Konsumentenschutzorganisationen würden ausserdem zu Recht die manipulativen Marketingtechniken des Konzerns kritisieren, sagte Sander, wandte jedoch ein: Man solle Unternehmen wie Temu nicht nur deswegen regulieren, weil sie chinesisch sind. Und bezüglich der vielfach mangelhaften Produktqualität gelte es ein Stück weit auch, Selbstkritik zu üben. Wer sich über Billigware beschwere, müsse sich auch selbst bei der Nase nehmen - "schliesslich sind wir es ja, die diesen ganzen Mist kaufen". 

Die Erfahrungen sollen es richten

Jan Niclas Brandt, seit April 2024 CEO von Media Markt Schweiz & Österreich, sprach zum Schluss der Konferenz darüber, wie er den Elektronikhändler durch turbulente Zeiten steuern will. Durch die Digitalisierung sei das Unternehmen unter Druck geraten. Und nun stelle sich die Frage, wie das Unternehmen hierzulande relevant bleiben könne. Für einen "Legacy-Konzern" sei dies kein einfaches Unterfangen, sagte Brandt. Zu lange hätten sich Media Markt und Saturn auf marktschreierische Slogans à la "Geiz ist geil" verlassen - heute sei jedoch klar, dass solche Claims aus der Zeit gefallen seien.  

Ein Foto von Jan Niclas Brandt.

Jan Niclas Brandt, seit April 2024 CEO von Media Markt Schweiz & Österreich. (Source: Netzmedien)

Eine neue Strategie soll jedoch Abhilfe schaffen. Im kommenden Jahr will Media Markt in der Schweiz ein Marktplatz-Angebot schaffen - in Österreich ging man damit schon vor anderthalb Jahren an den Start. Viel wichtiger für den Fahrplan scheint jedoch das Zauberwort "Experience" zu sein. "Wir haben die Customer Experience zu lange vernachlässigt", sagte Brandt. 

Doch damit nicht genug. Das neue Leitbild sieht vier sogenannte "Experience-Felder" vor: Die Employee Experience soll Mitarbeitende nicht nur motivieren, sondern ihnen auch mehr Dienstleistungsorientierung vermitteln. Die Shopping Experience der Kundschaft soll über den stationären Bereich hinauswachsen. Unter dem Schlagwort Usage Experience will Media Markt vermehrt Services wie etwa Finanzierungsangebote oder Versicherungen anbieten. Und als Impact Experience bezeichnete Brandt sein Vorhaben, Kreislaufwirtschaft und ESG-Themen zu pushen. 

Fest steht, dass Media Markt auch hierzulande überproportional online wachsen muss. Aktuell liege der Anteil des Onlinegeschäfts am Gesamtumsatz bei rund 30 Prozent, sagte Brandt. Trotz herausforderndem Umfeld gab er sich jedoch zuversichtlich. "Wir sind davon überzeugt, dass wir die richtige Strategie haben - jetzt müssen wir sie nur noch umsetzen."
 

Den Abschluss der Score bildete die Verleihung des Digital Commerce Awards - Qoqa setzte sich gegen 164 Bewerber durch. Mehr darüber erfahren Sie hier.  

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