Jon Fanzun zieht Bilanz zu seinem ersten Swico-Jahr
Nach knapp einem Jahr als CEO des Digitalverbands Swico zieht Jon Fanzun eine erste Bilanz. Der ehemalige FDP-Generalsekretär spricht über Herausforderungen, Erfolge und seine Vision für den Verband.

Bald ist Ihr erstes Jahr als CEO des Digitalverbands Swico vorüber. Wo stehen Sie?
Jon Fanzun: Da ich am 1. August 2024 angefangen habe, sind es jetzt genau zehn Monate – und ich ziehe ein positives Fazit. Die Leitung eines Verbands ist für mich neu und inspirierend: Die Kombination aus Digitalisierung und Recycling könnte spannender nicht sein. Die Kennenlern- und Aufwärmphase ist abgeschlossen, wir sind als Team zusammengewachsen und haben Fahrt aufgenommen.
Was hat Sie persönlich im ersten Jahr am meisten überrascht – positiv wie negativ?
Gefreut hat mich, dass ich mit offenen Armen empfangen wurde. Beeindruckt haben mich die Kompetenz und Vielfalt der Mitglieder sowie die enorme Innovationskraft der Branche. Von meinem Naturell her lasse ich mich eher nicht negativ überraschen. Ich fokussiere lieber auf die Herausforderungen und Chancen. Und da zeigt sich: Die Notwendigkeit, die Interessen der Branche geeint zu vertreten, ist riesig. Wir haben enormes Potenzial und müssen fokussierter agieren, um den Standort Schweiz zu stärken.
Haben Sie Ihre Entscheidung jemals bereut, diese Aufgabe übernommen zu haben?
Keine Sekunde – im Gegenteil. Ich fühle mich bei Swico pudelwohl.
Was hat sich bei Swico seit Ihrem Start verändert?
Das müssten Sie eigentlich meine Mitarbeitenden oder die Mitglieder fragen. Auf jeden Fall wird mehr Rätoromanisch gesprochen und mehr Nusstorte gegessen. Aber im Ernst: Swico ist ein starker Verband mit hoher Glaubwürdigkeit – das möchte ich zusammen mit dem Team weiterführen und weiterentwickeln. Natürlich habe ich meinen eigenen Stil und meinen eigenen Kopf. Aber ich funktioniere nach dem Prinzip: luege – lose – loufe. Das heisst, ich habe nicht alles auf den Kopf gestellt und verändert. Vielmehr habe ich versucht zuzuhören und zu verstehen und dann punktuell Dinge verändert. Mir ist der Teamgedanke wichtig und ich lege Wert auf Selbstverantwortung und Eigeninitiative.
Und wo setzen Sie aktuell die Akzente?
Mir ist wichtig, dass die Interessen der Mitglieder im Zentrum stehen – vom Start-up bis zum Grossunternehmen. Die Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen Verbänden wie Economiesuisse haben wir verstärkt. Im Fokus stehen dabei wirtschaftliche Freiheit, Selbstverantwortung, klare, einfache Regeln und möglichst wenig Bürokratie. Im Weiteren arbeiten wir kontinuierlich daran, die strategischen Ziele von Swico zu schärfen, die Schlagkraft des Verbands zu erhöhen und die Mitgliederbasis zu verbreitern.
Welche Ziele haben Sie bereits erreicht – und welche streben Sie an?
Swico wird in relevanten Bereichen der Digitalisierung und im Bereich Recycling anerkannt und von unseren Mitgliedern geschätzt. Darauf können wir aufbauen. Was wir anstreben? Wir wollen Themen frühzeitig erkennen, proaktiv Themen setzen und lancieren. Hier sehe ich ungenutztes Potenzial. Darum bauen wir unser Team in diesem Bereich auch aus. Ein Technology-Trends- und Market-Analyst sollte IT-Themen und zukünftige Trends sowie die Aktivitäten von Marktteilnehmern und Stakeholdern beobachten. Er oder sie wird Projekte zu ICT-Themen unterstützen und nutzenorientierte Dienstleistungen entwickeln.
Was möchten Sie als Nächstes anstossen oder erreichen?
Mir ist es ein Anliegen, die Position von Swico gegenüber Politik und Verwaltung weiter zu stärken. Wenn es in Bern Fragen zur IT-Branche gibt, soll man im Parlament und in Amtsstuben an Swico denken und uns anrufen. Unsere Mitglieder haben unglaublich viel Know-how, das es zu nutzen gilt: Mit unseren zwölf Interessengruppen, den sieben Circles und den vier Kommissionen sind wir dafür bestens aufgestellt. Ebenso gibt es Herausforderungen im Bereich des Recyclings. Hier wird es darum gehen, das bestens etablierte nationale Recyclingsystem weiterzuentwickeln, etwa mit Angeboten im Bereich Re-Use. Schliesslich gibt es hier Herausforderungen im Zusammenhang mit neuen Anbietern wie den Plattformen Temu oder Shein, die sich bisher noch nicht unserem System angeschlossen haben.
Welche politischen Themen stehen derzeit auf der Agenda des Swico?
Aktuell stehen einige wichtige politische Themen an, die für unsere Branche wichtig sind: Zu nennen sind hier etwa die E-ID, über die wir voraussichtlich im Herbst abstimmen werden, die KI-Regulierung, das EU-Dossier oder auch die aktuellen aussenwirtschaftspolitischen Herausforderungen. Positiv ist, dass die USA die Aufhebung des «Framework for Artificial Intelligence Diffusion» bekannt gegeben haben. Das hätte den Zugang der Schweiz zu KI-Chips beschränkt. Wir müssen die Entwicklungen in diesem Bereich aber weiter eng verfolgen und zusammen mit den Behörden unsere Interessen verteidigen, denn eine neue Regulierung ist angekündigt. Die Geopolitik, die auch und vor allem eine digitale Dimension hat, wird uns weiter beschäftigen.
Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die grössten Herausforderungen für die ICT-Branche?
Die beschleunigten Veränderungen – und damit verbunden der Wandel zu Serviceleistungen und Abomodellen. Daneben gibt es viele weitere Herausforderungen: die zunehmende Bürokratie, der Kampf um Talente, für den wir die Berufsbildung stärken müssen, das regulatorische Umfeld und natürlich der rasante Wandel der Technologie. Eine Herausforderung in der Schweiz und in Europa ist, dass wir viele gute Köpfe und somit gute Ideen haben. Wir haben aber Mühe, Innovation in Markterfolg umzusetzen. Sprich: Wir haben weniger ein Innovationsproblem als vielmehr ein Skalierungsproblem. Das hat mit fehlendem Risikokapital zu tun, aber auch und vor allem mit einem Dschungel an Regulierungen. Während es in den USA oder in China eine einzige Regulierung oder einen Standard gibt, kämpfen unsere Firmen mit etwa 30 verschiedenen Regulierungen.
Sie haben es angesprochen: Die Wirtschaft steht vor herausfordernden Zeiten. Wie schätzen Sie die Risiken – aber auch die Chancen – für Ihre Mitglieder ein?
Die Schweiz ist als Standort grundsätzlich gut positioniert. Die liberale Wirtschaftsordnung, die auf Selbstverantwortung setzt, ist eine Stärke. Sorge bereiten innenpolitisch die Herausforderungen im Bereich der Sozialwerke. Da wird Geld auf Kosten kommender Generationen ausgegeben und die Wirtschaft belastet. International beobachte ich die Entwicklung mit Sorgen: Einerseits tobt seit drei Jahren ein Krieg mitten in Europa. Andererseits erleben wir gerade, wie die internationale Rechtsordnung zerschlagen wird und das Recht des Stärkeren zurückkehrt. Das kann uns weder als Land noch als Branche egal sein. Im Gegenteil. Als Chancen sehe ich drei wesentliche Bereiche: erstens den stärkeren Fokus auf Re-Use und Nachhaltigkeit – hier sind wir dank unseres Recyclingsystems hervorragend aufgestellt. Zweitens den Bereich Business Development durch KI-Integration und drittens die zunehmende Vernetzung und Konvergenz verschiedener Technologien, die neue Geschäftsfelder eröffnet. Ich setze grosses Vertrauen in die Unternehmen und in die Fachleute – und vor allem auch in jene Mitglieder, die sich in unseren Fachgremien engagieren.
Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz (KI) aus Sicht von Swico für die Branche – und wie positioniert sich Swico dazu?
Wir unterstützen den aktuellen Kurs des Bundesrats, der auf eine technologieneutrale Regulierung und auf Selbstverantwortung setzt. Ebenfalls unterstützen wir die Ratifizierung der KI-Europaratskonvention, sofern diese mit Augenmass und pragmatisch umgesetzt wird. Innovation braucht Freiheit. Klare Spielregeln, ja – aber keine überbordende Bürokratie. Swico steht für eine dynamische Digitalwirtschaft und einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort Schweiz. Klar ist: KI wird weder alle Weltprobleme lösen noch uns in den Abgrund ziehen. Aber sie verändert die Arbeitswelt bereits jetzt fundamental und rasend schnell.
KI erhöht auch den Preisdruck in der Digitalbranche. Wie unterstützen Sie Ihre Mitglieder in diesem Zusammenhang?
Viele Kundinnen und Kunden arbeiten selbst mit KI und erwarten deshalb, dass bestimmte Arbeiten schneller erledigt werden. Das sollte sich, ihrer Meinung nach, kostensenkend auswirken. Dabei wird oft übersehen, dass einerseits rund um KI Kosten entstehen, andererseits damit auch ein Mehrwert generiert werden kann. Erste Agenturen überdenken deshalb bereits ihre Honorarmodelle und arbeiten in gewissen Bereichen mit Pauschalen. Wir fördern die Diskussion unter den betroffenen Mitgliedern und begleiten die Transformation aktiv.
Als ehemaliger Generalsekretär der FDP und ehemaliger Sondergesandter für Cyberdiplomatie – wie hilft Ihnen diese Erfahrung bei Swico?
Ich bin seit über 20 Jahren im politischen Bern unterwegs. Das hilft, Dinge einzuschätzen. Zudem habe ich in all den Jahren ein breites Netzwerk aufgebaut. In den zehn Jahren im Aussenministerium – davon rund drei als Cyber-Sondergesandter – habe ich überdies auch internationale Erfahrungen sammeln können. Das ist wertvoll, wenn es um die Positionierung der Schweiz im europäischen Kontext geht.
Vor einem Jahr haben wir Sie gefragt, ob wir 2027 mit Ihrer Kandidatur für einen Sitz im Parlament rechnen dürfen – damals haben Sie das verneint. Wie sieht es heute aus?
Ich bin und bleibe ein politischer Mensch. Aber ein Sitz im Parlament in Bern ist kein Thema für mich und steht nicht auf meiner Bucket List. Ich engagiere mich aber gesellschaftlich und politisch in meiner Heimatregion, dem Unterengadin.
Zur Person
Der gebürtige Engadiner Jon Fanzun ist seit August 2024 Geschäftsführer des Branchenverbands Swico. Mit über 20 Jahren Führungserfahrung in der nationalen und internationalen Politik verfügt er über ein breites Netzwerk in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Als Sondergesandter für Cyberdiplomatie vertrat er die digitalen Interessen der Schweiz auf internationaler Ebene. Davor arbeitete er als persönlicher Mitarbeiter für zwei Bundesräte und war zuletzt Generalsekretär der FDP Schweiz. Jon Fanzun promovierte an der HSG in Staatswissenschaften mit seiner Dissertation «Die Grenzen der Solidarität: Schweizerische Menschenrechtspolitik im Kalten Krieg».

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