Wild Card von Urs Bucher

Die Geister, die wir riefen

Uhr

Wir kriegen uns ja kaum mehr ein vor lauter tollen Möglichkeiten, die sich mit künstlicher Intelligenz ergeben; wir hyperventilieren vor uns hin, wann denn dieses Ding klüger sein wird als wir Menschen ... 2030, 2035, irgendwann, gar nie? Wer weiss.

(Source: StockPhotoPro - stock.adobe.com)
(Source: StockPhotoPro - stock.adobe.com)

Wir warten gespannt darauf, wann die KI den Gipfel der überzogenen Erwartungen des Gartner Hype Cycles überschritten hat und ins Tal der Enttäuschungen abstürzt. Wobei der Gipfel ja eher ein Plateau ist, so lange wie der Hype mittlerweile schon anhält. Und der Absturz wird tief und steil sein, so sicher, wie man daran glauben will, dass KI das Beste seit geschnitten Brot ist. 

Wenden wir uns etwas leichterer Kost aus Absurdistan zu. Es geht ja auf den Sommer zu und da dürfen Kolumnen durchaus etwas weniger Tiefgang haben. Sommer, die Zeit des Jahres, in der man alles etwas ruhiger angeht und sich erlauben könnte, etwas früher Feierabend zu machen, sich an den See, den Fluss oder in die Badi zu legen. Da könnte man doch endlich mal wieder ein Buch lesen, sei’s auf Papier oder mit dem E-Reader – je nach Gusto. Bloss, was soll’s denn sein?

Hilfe naht! Pünktlich zum Frühsommer tauchen die beliebten Empfehlungslisten auf, recherchiert von fleis­sigen Redaktorinnen und Redaktoren. So auch in diesem Mai in der Beilage der "Chicago Sun-Times" in den USA. Eine Liste von 15 Büchern von notablen Autorinnen und Autoren wie etwa Isabel Allende. So weit, so gut.

Bloss, 10 dieser 15 Bücher gibt’s gar nicht. Keiner hat’s bemerkt, der Redaktor nicht, die Redaktion nicht, die Korrektoren nicht. Selbstverständlich sind alle Beteiligten sehr schuldbewusst; der Redaktor ist ausser sich (sinngemässe Entschuldigung: Ja, ich nutze KI für Hintergrundrecherche. Ja, normalerweise checke ich alle Fakten, bloss dieses Mal hab ich’s vergessen, oops). Die tatsächlich existierenden Autorinnen und Autoren der fiktiven Bücher sahen sich dann gezwungen, auf Social Media kundzutun, dass es diese Werke von ihnen schlicht und einfach nicht gibt. Isch no blöd. 

Was lernen wir daraus? "Don’t believe the hype." Nein, natürlich nicht, aber man sollte nicht alles für bare Münze nehmen, was einem dargeboten wird, auch bekannt als XMV ("Xsunde Menscheverstand"). Und ... immer und bei allem, was man selbst publizieren will, das Vieraugenprinzip, eine Korrektorin oder einen Korrektor – einen Freigabeprozess – einbauen. Absolute Sicherheit gibt’s nicht, aber man kann das Restrisiko doch minimieren. Der famose Holger Volland, Medien- und Digitalexperte, sprach kürzlich an einer TEDx-Veranstaltung über "die KI in ihrer Pubertät". Er hat auch einige Ideen, wie man sicher(er) sein kann, dass einem nichts vorgemacht wird. 

Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Menschheit brauchte keine KI, um zu halluzinieren. Erinnert sich noch jemand an die Hitler-Tagebücher anno 1983? Da war auch alles erstunken und erlogen. Der "Stern" fiel darauf rein und blamierte sich masslos. Die Chose damals war mit einem immensen Fälschungsaufwand verbunden, also gilt auch hier: Alles wird schneller, kleiner, billiger.

Geniessen Sie den Sommer! Zum Beispiel mit Büchern von Bill Gates’ "Summer 2025 Book List" (die existieren mit Sicherheit alle!), oder lesen Sie mal wieder die "Tales of the City"-Serie von Armistead Maupin. Dazu Musik von Barack Obamas "Summer Playlist", wenn sie’s denn gibt – das kommt gut.

Dank eines Linkedin-Posts des MAZ-Studienleiters und freien Journalisten Reto Vogt bin ich auf die Geschichte der "Chicago Sun-Times" aufmerksam geworden.

Webcode
BHUxu5i5