So schafft eine KI-gestützte Content Supply Chain Mehrwert in regulierten Branchen wie dem Gesundheitswesens
Die Digitalisierung des Marketings in der Pharmaindustrie schreitet voran, ist aber mit spezifischen Hürden konfrontiert. Regulatorische Anforderungen, Systeminkompatibilitäten und langwierige Freigabeprozesse limitieren die Agilität. Im Gespräch erklärt Nicolai Schöppenthau, Director Digital Experience Platforms bei der Digitalagentur Merkle DACH, wie eine KI gestützte Content Supply Chain den aktuellen Anforderungen im Marketing von Pharmaunternehmen gerecht wird.

Was bedeutet der Begriff «KI-gestützte Content Supply Chain» und welches zentrale Problem traditioneller Marketing-Workflows im Gesundheitswesen und in der Life-Sciences-Branche wird damit adressiert?
Nicolai Schöppenthau: Als KI-gestützte Content Supply Chain bezeichnen wir die durch künstliche Intelligenz unterstützte End-to-End-Orchestrierung von Content-Erstellung, -Management, -Freigabe und -Ausspielung. In der Gesundheits- und Life-Sciences-Branche sind die entsprechenden Workflows oft stark fragmentiert, weitgehend manuell und nicht miteinander verknüpft. Das führt zu insgesamt hohen Betriebskosten sowie zu Ineffizienzen und langwierigen Freigabezyklen. Wir sehen viele Kunden, bei denen die Freigabe von Inhalten im Schnitt mehr als zwei Wochen dauert. KI begegnet diesen Herausforderungen durch Automatisierung von Content-Prozessen, effizientere Compliance-Prüfungen in medizinischen, rechtlichen und regulatorischen Reviews (MLR) sowie durch innovative Möglichkeiten zur Wiederverwendung modularer Inhalte. Ziel ist dabei eine einheitliche, orchestrierte Sicht auf Inhalte über Systeme und Kanäle hinweg. Der Fokus liegt darauf, Compliance, Geschwindigkeit und Personalisierung in einem skalierbaren Massstab zu ermöglichen.
Welche konkreten Vorteile bietet die Einführung einer KI-gestützten Content Supply Chain insbesondere für die Gesundheits- und Life-Sciences-Branche?
Die Vorteile sind sowohl strategischer als auch operativer Natur. KI kann die Markteinführungszeit für neue Inhalte verkürzen, indem sie die Prozesse im Content-Lebenszyklus sowie die finale Freigabe beschleunigt. Beispielsweise kann KI in MLR-Reviews eingesetzt werden, um risikoarme Inhalte erst einmal einer Vorprüfung zu unterziehen und Assets danach effizient an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Sie hilft auch dabei, Marken- und regulatorische Konsistenz sicherzustellen, sowohl in integrierten Plattformen wie Veeva Promomats als auch in DAM-Systemen wie den Adobe Experience Manager Assets oder Aprimo. Eine Investition in KI-Unterstützung steigert Effizienz und senkt Kosten. Durch die Integration von KI mit einer massgeschneiderten Automatisierung lassen sich manuelle Arbeiten und Content-Duplikate minimieren, was letztlich zu geringeren Produktions- und Compliance-Kosten führt.
Wie stellt man in sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitswesen sicher, dass KI-generierte Inhalte fehlerfrei und frei von «Halluzinationen» sind? Wo liegt die Verantwortung zwischen Mensch und Maschine?
Das ist häufig auch eine der ersten Fragen, die uns unsere Kunden stellen. Bei Merkle setzen wir auf ein «Human-in-the-Loop»-Governance-Modell. KI unterstützt, ersetzt aber nicht die menschliche Kontrolle. So kann KI die Inhalte entwerfen oder vorab prüfen, aber die finale Validierung bleibt bei den medizinischen und juristischen menschlichen Experten. Zur Vermeidung von Halluzinationen nutzen wir domänenspezifische KI-Modelle, die mit validierten medizinischen Daten trainiert wurden, und integrieren diese in gesicherte Plattformen mit strikter Versionskontrolle und Audit-Trails. Letztlich gilt auch hier, dass die Verantwortung klar geregelt sein muss: KI beschleunigt und unterstützt, aber der Mensch bleibt verantwortlich für Compliance und Genauigkeit.
Wie verändert KI den kreativen Prozess selbst – etwa bei der Ideenfindung oder der Kampagnenerstellung zu komplexen medizinischen Themen?
KI kann den kreativen Prozess grundlegend verändern, indem sie als eine Art strategischer Copilot dient und die Skalierbarkeit von kreativer Produktion deutlich steigert. Kreativität wird dann iterativ statt linear. Kreativteams starten nicht mehr mit einem leeren Blatt, sondern mit KI-generierten Insights, Prompts oder Content-Varianten, die die Ideenfindung beschleunigen und Verzögerungen reduzieren. Die KI unterstützt während der Ideenfindung durch die Analyse von Markttrends, Wettbewerbsbotschaften und Zielgruppenverhalten; um Kampagnenansätze vorzuschlagen. Bei der Content-Erstellung erleichtert sie den modularen Aufbau von Inhalten, sodass schneller kanaloptimierte Assets entstehen. Für komplexe Themen hilft KI, wissenschaftliche Sprache in zielgruppengerechte Botschaften zu übersetzen und Inhalte in Echtzeit zu personalisieren, etwa für Segmente von Health Care Professionals (HCP) oder auch verschiedene Gruppen von Patienten und Angehörigen.
Welche Investitionen (strategisch, kulturell, technologisch, organisatorisch) sind notwendig, um eine KI-gestützte Content Supply Chain zu implementieren? Und was ist der primäre Return on Investment?
Die Implementierung erfordert eine strategische Ausrichtung im Sinne der digitalen Transformation. Eine erfolgreiche Implementierung startet nicht mit der Technologie. Zunächst muss das Governance-Framework angepasst werden, um KI zu integrieren, inklusive neuer Rollen und Berechtigungen. Zudem braucht es ein kulturelles Umdenken: Content muss als strategisches, zentral verwaltetes Asset verstanden und agile, funktionsübergreifende Zusammenarbeit gefördert werden. Auf technologischer Ebene müssen dann Datenmanagement und die Verbindung von Systemen wie CMS, DAM und CRM über eine Integrationsschicht und mittels KI-Tools sichergestellt werden. In der Umsetzung kommen dann die zuvor definierten Rollen, Prozesse und Compliance-Checkpoints. Als zentralen ROI sehen wir eine schnellere Markteinführung für neue Inhalte, geringere Betriebskosten, bessere Compliance und eine stärkere Bindung zu HCPs und Patienten.
Was sind die grössten Hürden bei der Umsetzung – sowohl technologisch als auch im Change-Management?
Technologisch ist die Integration in die vorhandenen fragmentierten Legacy-IT-Systeme eine zentrale grosse Herausforderung. Viele Systeme arbeiten isoliert, Prozesse sind manuell und nicht unmittelbar nachvollziehbar, was Ineffizienzen und gerade in dieser Industrie regulatorische Risiken birgt. Unser Ansatz bei Merkle: Start mit einem Minimum Viable Product (MVP), das sofortigen Mehrwert liefert. So lassen sich frühzeitig Erfolge aufzeigen, Vertrauen aufbauen und vor allem Stakeholder für die langfristige Transformation gewinnen. Eine solche «Veränderungsresistenz» ist hier ein wesentlicher Stolperstein, insbesondere bei isolierten Teams, die an bestehenden Prozessen und auch Systemen festhalten. Selbst bei einem vorhandenen Governance-Framework können fehlendes Training und mangelnde Anbindung der Nutzer den Erfolg gefährden. Deshalb setzen wir auf die frühzeitige Einbindung von Usern und eine kontinuierliche Begleitung eines solchen «Wandels».
Welchen ersten, pragmatischen Schritt empfehlen Sie Marketern in der Life-Sciences-Branche, die nicht wissen, wo sie mit KI im Content-Prozess anfangen sollen?
Kurz gesagt: mit einem Status-quo-Assessment starten, also bestehende Content-Systeme, Workflows und «Pain Points» erfassen. Dann ein MVP definieren, das sofortigen Mehrwert für eine kleine, aufgeschlossene Nutzergruppe liefert. Diese Gruppe kann durch ihre Mitwirkung als interner Botschafter fungieren. Ein Beispiel: Automatisierung repetitiver Aufgaben im MLR-Prozess oder der Aufbau modularer Inhalte zum «Pre-Approval» für eine Hyper-Personalisierung. Von dort aus dann iterativ skalieren, marktweise. Fokus auf wertorientierte Use Cases, die den Nutzen von KI zeigen, ohne die Organisation zu überfordern. Und vor allem: mit Partnern wie Merkle zusammenarbeiten, die sowohl Technologie als auch regulatorisches Umfeld verstehen.

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