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Sichtbar im KI-Zeitalter – Strategien für Marken und Medien in der Schweiz

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von Sven Ruoss

KI verändert die Suche grundlegend: Google AI Overviews und Chatbots liefern Antworten direkt – oft ohne Verweis auf die ­ursprüngliche Quelle. Für Nutzerinnen und Nutzer ist das bequem, für Schweizer Marken und Medien jedoch riskant. Reichweite und Werbeeinnahmen geraten unter Druck, rechtliche Fragen bleiben offen. Wer künftig sichtbar bleiben will, muss ­Inhalte konsequent für generative KI optimieren und eigene Kundenbindungen stärken.

Sven Ruoss, Strategieberater für digitale Geschäftsentwicklung im ­Bereich Medien, Technologie und Entertainment. (Source: zVg)
Sven Ruoss, Strategieberater für digitale Geschäftsentwicklung im ­Bereich Medien, Technologie und Entertainment. (Source: zVg)

Stellen wir uns vor: Die grauen Herbsttage nahen und Sie möchten spontan eine Woche Badeferien in Europa buchen. Wie beginnen Sie die Suche? Wahrscheinlich wählen Sie eine dieser beiden Optionen: Sie tippen bei Google «Wo kann man im Herbst in Europa noch baden?» ein – oder Sie stellen dieselbe Frage direkt einem KI-Chatbot wie ChatGPT, Perplexity oder Copilot.

In beiden Fällen erscheint innert Sekunden eine präzise Antwort. Google blendet eine sogenannte AI Overview ein, die die besten Reiseziele zusammenfasst. Ein Chatbot erstellt gleich einen individuellen Text mit konkreten Vorschlägen. Das Klicken durch endlose Trefferlisten ist Vergangenheit. KI-Systeme verwandeln Suchmaschinen in Antwortmaschinen.

Für Reisende ist das komfortabel. Für Schweizer Marken, Medien und Tourismusportale bedeutet dies eine Zäsur. Die sorgfältig erarbeiteten Artikel und aufbereiteten Daten, auf denen diese KI-Antworten beruhen, werden kaum mehr direkt konsultiert. Sichtbarkeit und Traffic verlagern sich in die KI-generierten Overviews und Chatbot-Dialoge. Wer dort nicht erscheint, verliert Reichweite, Werbeeinnahmen und den direkten Kontakt zum Publikum – selbst, wenn seine Inhalte die Grundlage der Empfehlungen bilden.

Alarmierende Fakten und erste Folgen 

Die Warnsignale sind deutlich. Laut Digital Content Next verzeichnen Publisher seit der Einführung von Google AI Overviews bis zu 25 Prozent weniger Zugriffe aus der Google-Suche. Eine Studie des Pew Research Center zeigt, dass Nutzerinnen und Nutzer bei Suchresultaten mit KI-Zusammenfassung nur noch etwa halb so häufig klicken wie ohne. Einzelne internationale Medien berichten gar von bis zu 80 Prozent Rückgang der Klickrate bei betroffenen Keywords.

Das hat direkte Folgen: Business Insider entliess im Frühjahr 2025 21 Prozent der Belegschaft, weil der Suchmaschinen-Traffic «dramatisch und ausserhalb unserer Kontrolle» eingebrochen sei. Chegg, ein US-Edtech-Anbieter, baute 22 Prozent der Stellen ab, weil KI-Tools wie ChatGPT studentische Anfragen direkt beantworten.
In der Schweiz fehlen bislang belastbare Zahlen. Das liegt auch daran, dass Google AI Overviews hier erst Ende März 2025 eingeführt wurden. Inoffiziell berichten mehrere Publisher von Einbrüchen, insbesondere bei Service-Themen. Mit der Einführung von Googles AI Mode in der Schweiz rechnen sie mit weiter sinkenden Klickraten, da die Antwortmaschine noch immersiver arbeitet. Die internationalen Erfahrungen zeigen, was zu erwarten ist, sobald sich das neue Suchverhalten auch bei Schweizer Nutzerinnen und Nutzern etabliert. 

Rechtliche Grauzone: Wenn Inhalte abgeschöpft werden

Abgesehen von den wirtschaftlichen Folgen rückt auch eine juristische Dimension in den Fokus. Zahlreiche Inhaltsproduzenten – auch im deutschsprachigen Raum – kritisieren, dass KI-Systeme ihre Inhalte abschöpfen und neu kombinieren, ohne dass dies als zulässige Nutzung («Fair Use») gelten kann. Mehrere grosse Medienhäuser haben deshalb Klagen wegen Urheberrechtsverletzung eingereicht.

Schweizer Medienrechtler verweisen darauf, dass auch nach hiesigem Urheberrechtsgesetz eine unautorisierte systematische Übernahme von Texten nicht zulässig ist. Ob und wie sich Ansprüche in der Praxis durchsetzen lassen, wird in den nächsten Monaten oder Jahren zum wichtigen Präzedenzfall. Für Schweizer Redaktionen steht viel auf dem Spiel: Ihre Arbeit bildet den Rohstoff für KI-Antworten, meistens aktuell ohne angemessene Vergütung.

Von SEO zu LLMO und GenAIO

Vor diesem Hintergrund gewinnen neue Disziplinen an Bedeutung: Large Language Model Optimization (LLMO) und Generative AI Optimization (GenAIO). Beide verfolgen dasselbe Ziel – Inhalte so aufzubereiten, dass sie von KI-Systemen wie ChatGPT, Perplexity, Claude, Copilot oder den Google-AI-Overviews gefunden, verstanden und in Antworten eingebaut werden.

Ob man von LLMO oder GenAIO spricht, ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass SEO künftig viel breiter gedacht werden muss. Während sich Optimierung früher fast ausschliesslich auf das Quasi-Monopol von Google konzentrierte (weltweit rund 90 Prozent Marktanteil), verlangt das neue Ökosystem eine plattformübergreifende Strategie.
LLMO legt den Fokus auf Inhalte, die von grossen Sprachmodellen technisch und semantisch ideal verarbeitet werden können: saubere Datenstrukturen, verlässliche Quellenangaben und eindeutige Autorenschaft. Gen­AIO erweitert den Blick auf sämtliche generativen KI-Kanäle – von Chatbots über smarte Browser bis zu sprachgesteuerten Assistenten – und betont zusätzlich Reputation, digitale PR und gezielte Erwähnungen.

Fünf Handlungsfelder für Schweizer Marken und Medien

Wer im KI-geprägten Such- und Antwortumfeld sichtbar bleiben will, muss seine Content- und Distributionsstrategie neu ausrichten. 

  • Erstens braucht es Inhalte mit echtem Mehrwert – Service-, Ratgeber- und Vergleichsformate, die konkrete Fragen beantworten und regelmässig aktualisiert werden. Ein klarer Datumsvermerk signalisiert Aktualität, und die E-E-A-T-Kriterien (Experience, Expertise, Authoritativeness, Trust) sind wichtiger denn je: Jede Aussage soll mit Studien, Daten und vertrauenswürdigen Referenzen belegt sein.
  • Zweitens ist eine klare, semantisch saubere Struktur entscheidend. Prägnante Überschriften, kurze Absätze und Listen erleichtern es KI-Systemen, Inhalte zu erfassen. Schema.org-Markup für Produkte, FAQs oder How-to-Anleitungen sorgt dafür, dass Maschinen Informationen korrekt interpretieren.
  • Drittens müssen Marken und Medien ihre digitale Reputation stärken – durch sichtbare Autorinnen und Autoren, qualitativ hochwertige Gastbeiträge und gezielte digitale PR. 
  • Viertens braucht es eine technisch robuste Basis: schnelle Ladezeiten, mobile Optimierung und API-fähige Daten, kombiniert mit regelmässigen Tests, wie sich Inhalte in KI-Such- und Chatbots darstellen.
  • Fünftens schliesslich sollten Schweizer Unternehmen ihre direkte Kundenbindung ausbauen. Eigene Newsletter, Mitgliederbereiche oder personalisierte Apps schaffen Unabhängigkeit von globalen Technologieplattformen und festigen den Kontakt zur Community – ein besonders wichtiger Faktor in einem kleinen, aber hochdigitalisierten Markt wie der Schweiz.

Ausblick: Die Zukunft der digitalen Sichtbarkeit im KI-Zeitalter 

Zurück zum Ausgangsbeispiel: Wer heute spontan eine Herbstferien-Destination sucht, erhält innert Sekunden eine präzise Antwort von Google AI Overviews oder einem KI-Chatbot – ganz ohne sich durch blau markierte Links zu klicken. Für Reisende ist das ein Segen und bequem. Für Marken und Medien bedeutet es jedoch, dass ihre Inhalte zwar als Rohstoff dienen, im direkten Kundendialog aber unsichtbar bleiben können. Und sichtbar heisst noch lange nicht klickbar. Auch da benötigt es einen Paradigmenwechsel in der Art und Weise, wie über Erfolg nachgedacht wird: Sichtbarkeit wird eine zentrale Grösse. 

Die Zukunft der digitalen Sichtbarkeit entscheidet sich jetzt – auch in der Schweiz. Nur wer Inhalte so aufbereitet, dass sie für generative KI unverzichtbar sind, wer eigene Kundenbindungen aufbaut und technische wie inhaltliche Qualität laufend sichert, wird auch im Zeitalter von LLMO und GenAIO gefunden – nicht nur von Maschinen, sondern von den Menschen, die am Ende zählen.

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