Gemeinwohl-Atlas Schweiz

Doodle sticht Facebook aus

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von Carolin Hermann, Timo Meynhardt, Katarina Stanoevska-Slabeva, Universität St.Gallen

Eine Studie der Universität St. Gallen und der Handelshochschule Leipzig hat erstmals den Gemeinwohlbeitrag der ­Digitalwirtschaft unter die Lupe genommen. Dabei zeigte sich, dass Schweizer Digitalunternehmen einen grösseren Beitrag leisten als internationale Digitalunternehmen.

Die fortschreitende Digitalisierung bringt fundamentale Veränderungen mit sich und wirft Fragen auf gesellschaftlicher und politischer Ebene auf. Der Umgang mit personenbezogenen Daten, der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz und Algorithmen bei der Verarbeitung verhaltensbezogener Daten, schüren nicht nur Ängste bei Arbeitnehmern, sondern führen zu einer allgemeinen Verunsicherung in der Bevölkerung. Allerdings ist weder Fortschrittsfeindlichkeit noch Technikeuphorie angebracht. Um Transparenz und Vertrauen zu schaffen und der Benachteiligung gesellschaftlicher Gruppen entgegenzuwirken, müssen Politik und Gesellschaft mit einbezogen werden. Allen voran ist dies auch eine Aufgabe von meist noch relativ jungen Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen wie etwa Doodle oder Facebook. Die Diskussion dazu hat auch innerhalb der Branche begonnen: Stichwort: "Zuckerbergs Zweifel" ("Der Spiegel", 14/2017).

Hier kommt die Frage nach den Auswirkungen aufs Gemeinwohl ins Spiel. Dabei geht es um die allen gemeinsame Infrastruktur, die es dem Einzelnen ermöglicht, sein Leben zu gestalten, in Gruppen aktiv zu werden und sich dabei zu entwickeln. Das Gemeinwohl wird durch Unternehmen gefördert, wenn Menschen die Erfahrung machen, dass die Produkte und Dienstleistungen positiv auf die Gesellschaft einwirken und das Miteinander stärken. Die konsequente Ausrichtung am Gemeinwohl ist daher in einem zunehmend komplexer werdenden Umfeld, das von stärkerer Digitalisierung geprägt sein wird, ein wichtiger Wegweiser für die strategische Ausrichtung von Unternehmen.

Beitrag der Firmen fürs Gemeinwohl

Handlungen von Unternehmen müssen über die Interessen einzelner Stakeholdergruppen hinausgehen und die Gesellschaft als Ganzes involvieren, um gemeinsam nicht nur sozial verträgliche, sondern gemeinwohlförderliche Lösungen zu finden. Dies gilt mit Blick auf die Digitalwirtschaft ganz besonders, weil ein Mehr an Digitalität im Alltagsleben zu einer Veränderung von Lebensverhältnissen und damit der sozialen Infrastruktur führen kann. Doch wie sieht das die Bevölkerung selbst?

Der Gemeinwohl-Atlas, eine Studie zum Gemeinwohlbeitrag von Unternehmen und Organisationen in der Schweiz, versucht genau diesen Austausch zu fördern und schafft dafür eine Datenbasis. Die bevölkerungsrepräsentative Befragung, die im Zeitraum zwischen Mai und Juni 2017 in der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz mit 14 500 Befragten durchgeführt wurde, verfolgt das Ziel, den Gemeinwohlbeitrag von Unternehmen und Organisationen in der Schweiz aus Sicht der Bevölkerung transparent zu machen. Dabei wird der Gemeinwohlbeitrag einer Organisation anhand von vier Dimensionen ermittelt.

Auf einer Skala von 1 (lehne ab) bis 6 (stimme zu) wird dabei erfasst, inwieweit eine Organisation zum Gemeinwohl in vier Dimensionen beiträgt: Aufgabenerfüllung ("leistet im Kerngeschäft gute Arbeit"), Lebensqualität ("trägt zur Lebensqualität in der Schweiz bei"), Zusammenhalt ("trägt zum Zusammenhalt in der Schweiz bei") und Moral ("verhält sich anständig"). Diese vier Gemeinwohldimensionen bilden den Rahmen für die Bewertung. Dabei erfolgt keine Einschränkung dessen, was als gesellschaftlich wertvoll angesehen wird, um der Vielfalt der individuellen Erfahrungswelten gerecht zu werden. Das Urteil, wer zum Wohl der Gesellschaft beiträgt und wodurch, sollte allein von der Einschätzung der Bevölkerung abhängen.

Insgesamt machen die Ergebnisse der Gemeinwohl-Atlas-Studie deutlich, dass es multinationale Firmen wie Google, Facebook und IBM schwerer als Schweizer Digitalunternehmen haben, zum Gemeinwohl in der Schweiz beizutragen. So konnte zum Beispiel im Vergleich zu 2015 Facebook seinen Gemeinwohlbeitrag zwar deutlich steigern (+11 Prozent), insbesondere seinen Beitrag zum Zusammenhalt (+13,7 Prozent), bildet aber dennoch das Schlusslicht der digitalen Unternehmen. Auch Google konnte seinen Gemeinwohlbeitrag in den letzten Jahren erhöhen, wird jedoch wie Facebook und Microsoft insbesondere in der Dimension Anstand geringer als andere Unternehmen der Branche bewertet. Dies lässt sich über alle Altersgruppen hinweg beobachten. Hohe Bekanntheit und Präsenz im Alltag übersetzt sich demnach nicht unbedingt in Wertschätzung in der Bevölkerung.

Mehrheit um Gemeinwohl besorgt

Setzt man die Besten der Branche ins Verhältnis zu anderen Sektoren, NGOs und Vereinen, so erreichen deren Werte keine Spitzenergebnisse, aber sie finden sich im oberen Drittel. Generell differenziert die Bevölkerung sehr genau und misst dem Thema eine grosse Bedeutung bei.

Die Sorge um das Gemeinwohl ist hoch in der Bevölkerung und hat im Laufe der letzten Jahre zugenommen. 73 Prozent der Befragten geben an, dass sie besorgt seien, dass dem Gemeinwohl in der Schweiz zu wenig Beachtung geschenkt werde – dies sind 12 Prozent mehr als 2015.

Gleichzeitig sehen 92 Prozent der Befragten Unternehmen in der Verantwortung, zum Gemeinwohl beizutragen und dabei ein hohes Potenzial für digitale Unternehmen. (Gemeinwohlbeitrag IT: 4,51; Potenzial, das bei IT-Unternehmen gesehen wird, zum Gemeinwohl beizutragen: 4,81). In Anbetracht dieser Ergebnisse sollten Unternehmen mit digitalem Geschäftsmodell eine Vorreiterrolle einnehmen und sich aktiv in einen Dialog mit Politik und Gesellschaft einbringen, um Skepsis gegenüber digitalen Innovationen entgegenzutreten und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern.

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