Daniel Risch, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein, im Interview

So digital ist das Fürstentum Liechtenstein

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Das Fürstentum Liechtenstein ist der Schweiz in Bezug auf die Digitalisierung der Verwaltung in einigen Belangen voraus. Neidisch blicken Schweizer Gesundheitspolitiker etwa auf das elektronische Gesundheitsdossier der Liechtensteiner. Im Gespräch sagt Regierungs­chef Daniel Risch, was das Fürstentum bei der Digitalisierung besser oder zumindest anders macht als die Schweiz.

Daniel Risch, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein. (Source: zVg)
Daniel Risch, Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein. (Source: zVg)

Warum ist es als Regierungschef von Vorteil, einen Informatik-Hintergrund zu haben?

Daniel Risch: Es ist in vielen Bereichen hilfreich, ein vertieftes Verständnis von IT zu haben, nicht nur in Bezug auf die Anwendung von Systemen oder deren Funktionsweise, sondern auch bei der agilen Entwicklung von Projekten. "Fail fast, fail often", ist ja nicht unbedingt etwas, das man mit der Art und Weise verbindet, einen Staat zu regieren, aber die agilen Prinzipien können dennoch sehr nützlich sein, um einmal etwas auszuprobieren. Unsere Erfahrungen, etwa mit der Regulierung von Blockchain und der Einführung von Kryptowährungen, zeigen, dass es wichtig ist, mutig zu sein und neue Dinge auszuprobieren, auch wenn der Ausgang ungewiss ist. Das hilft, Dinge schneller voranzubringen.

Auch während der Pandemie? Da waren Sie ja ­bereits Regierungschef-Stellvertreter und Wirtschaftsminister …

Genau. Während meiner Zeit als Wirtschaftsminister brach die Pandemie aus. Da war es entscheidend, schnell und agil auf die wirtschaftlichen Herausforderungen zu reagieren. In dieser Situation brauchte ich niemanden, der mir erklärte, warum etwas nicht gehe, sondern es brauchte Leute, die mir erklären konnten, was sie brauchten, damit es funktionierte. 

Ist Ihre Wahl zum Regierungschef die logische Fortsetzung Ihrer bisherigen Laufbahn?

Logisch oder nicht – in Liechtenstein ist es nicht ungewöhnlich, dass der Stellvertreter später zum Regierungschef gewählt wird. Bei uns kommen viele Regierungsmitglieder aus der Privatwirtschaft und kehren auch meistens wieder in die Privatwirtschaft zurück, da es bei uns kein System der langen politischen Berufskarrieren gibt. 

Wie steht es aktuell um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und des Landes insgesamt?

Bei der Digitalisierung muss man auf verschiedene Aspekte achten, wie die Infrastruktur und die angebotenen Anwendungen, aber auch darauf, dass die Angebote von den Bürgern angenommen werden. Wir hatten eine Phase in den frühen 2000er-Jahren, in der wir sehr gut dastanden, dann aber auch aufgrund von Sparmassnahmen im Land andere Prioritäten setzen mussten. Ab 2017/18 haben wir dann den Turbo gezündet, eine digitale Agenda verabschiedet und mit Digital-Liechtenstein.li auch eine Initiative, welche die Digitalisierung von wirtschaftlicher Seite her unterstützt. Wir stehen heute ganz gut da, aber es gibt sicherlich noch viel Luft nach oben. Ein Beispiel für den Erfolg unserer Digitalisierungsbestrebungen ist etwa der Glasfaserausbau. Als wir 2016 beschlossen, Glasfaser flächendeckend auszubauen, rechneten erste Projekte mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Wir wollten es aber in der Hälfte der Zeit schaffen. Heute haben wir eine Take-Rate von über 80 Prozent und jedes Haus in Liechtenstein ist mit Glasfaser erschlossen. Gleichzeitig bauten wir die Kupfer- und Koax-Leitungen radikal zurück. Ähnlich radikal gingen wir vor, um die elektronische ID, die eID, einzuführen. Die Zertifikatspflicht während Corona war die Killerapplikation für die Einführung der eID und so integrierten wir die Zertifikate gleich mit der eID. Wir hatten dann die Schalter des zuständigen Amtes ins Impfzentrum verlegt, und so konnten sich alle, die sich impfen liessen, beim Rausgehen für die eID registrieren. So erreichten wir rasch eine Take-Rate von über 50 Prozent bei der elektronischen Identität. Das ist nicht schlecht, aber natürlich noch ausbaufähig. Vor zwei Jahren lancierten wir das elektronische Gesundheitsdossier – in der Opt-out-­Variante, die nun auch in einer Volksabstimmung bestätigt wurde. 

Welche langfristigen Ziele verfolgt das Land in ­Bezug auf die Digitalisierung?

Unser Ziel ist es, in allen Bereichen einen schlanken Staat zu haben, der das Notwendige liefert und dabei Unternehmen möglichst viel Freiheit lässt. Wir nehmen wenig, etwa in Bezug auf Steuern, geben aber auch wenig, etwa in Bezug auf Transferleistungen. Wichtig sind uns Sicherheit und Stabilität, etwa auch bei der Stromversorgung, die für eine funktionierende, digitalisierte Wirtschaft grundlegend sind. Und natürlich sollen auch unsere Behördendienstleistungen digital erbracht werden, und die Unternehmen sind verpflichtet, digital mit der Landesverwaltung zu kommunizieren. Dafür gibt es seit rund zehn Jahren ein entsprechendes Gesetz, dessen langjährige Übergangsfristen nun allmählich auslaufen. Insofern sehen wir uns nicht unbedingt als Vorreiter der Digitalisierung, ausser vielleicht, wenn wir den Glasfaserausbau betrachten, sondern verfolgen in der Breite eine Fast-Follower-Strategie. Das Blockchain-Gesetz und die Einführung einer elektronischen ID sind Beispiele, wo wir Vorreiter waren. Beim E-Voting etwa sind wir im Rückstand. 

Wie gehen die Ämter Ihrer Verwaltung mit der ­Digitalisierung um?

Wir haben dieselben Herausforderungen wie andere Verwaltungen auch. Digitalisierung kann nicht einfach einer Stabsstelle übergeben werden; sie muss Teil der DNA jedes Amtes, jeder Abteilung werden. Wir haben eine Digitalisierungskompetenzgruppe gegründet, die quer durch die Verwaltung arbeitet und nicht nur aus Amtsleitern besteht. Es geht darum, Begeisterung und Kompetenz zu fördern und diese dann in die Ämter zurückzubringen. Es ist entscheidend, dass ein frischer Wind durch die Verwaltung weht, und das geschieht nicht immer von oben nach unten. Eine erfolgreiche Digitalisierung benötigt Unterstützung von allen Seiten. Wenn der Chef nicht will, sind die Mitarbeitenden meist auch nicht motiviert, aber das Umgekehrte gilt ebenso. Es ist eine Frage der Kultur, wie man mit neuen Themen umgeht. Wir sehen Veränderung als Chance, obwohl die Geschwindigkeit der Umsetzung individuell variieren kann.

Wie gehen Sie mit Widerstand gegenüber ­Digitalisierungsprojekten um?

Harten Widerstand spüre ich selten. Herausforderungen in IT-Projekten sind normal, manchmal mangelt es eher am Willen als an der Machbarkeit. Berechtigte Bedenken müssen allerdings ernst genommen werden, besonders wenn traditionelle Vorlieben, etwa bei Juristen für Papier, ins Spiel kommen. Überzeugungsarbeit und manchmal auch gesetzliche Anpassungen sind nötig. Man muss auch lernen, dass politische und administrative Prozesse Zeit benötigen.

Ein bisschen neidisch sind wir in der Schweiz schon, wenn wir die Geschwindigkeit der Digitalisierung in Liechtenstein anschauen … Was ­machen Sie besser als wir?

Das lässt sich nicht so pauschal sagen und ich möchte auch keine Tipps geben. Ein Grund ist vielleicht, dass wir oft mutige und teilweise auch radikale Schritte unternehmen, wenn wir uns für etwas entscheiden. Die Grösse unseres Landes kann auch ein Faktor sein, allerdings kann man das auch nicht immer als ausschlaggebende Begründung anführen. Liechtenstein profitiert von weniger föderalen Strukturen und einem schnelleren Gesetzgebungsprozess als andere Länder. Wir können ein Gesetz innerhalb eines Jahres verabschieden, was auch im internationalen Vergleich sehr schnell ist.

Zusammengefasst und auf die Schweiz bezogen, heisst das also: Mutlosigkeit in Kombination mit Föderalismus behindert die Digitalisierung bei uns?

Das würde ich nicht so zusammenfassen. Ich kenne die Schweiz als meinen langjährigen Lebensmittelpunkt ja sehr gut – und insbesondere auch die Stärken der Schweiz. Mutige Entscheide, die in eine klare Richtung zeigen, sind sowohl in der Politik als auch in der Privatwirtschaft hilfreich und notwendig. Föderalismus und eine gewisse Vorsichtigkeit sorgen in der Schweiz für Stabilität, erschweren aber manchmal die Umsetzung digitaler Innovationen über die drei Staatsebenen. 

Welche Risiken bestehen für Liechtenstein im Zusammenhang mit seiner Digitalisierungspolitik?

Grosse Risiken durch einzelne Entscheidungen sehe ich nicht, solange man sich nicht strategisch verrennt. Wichtig ist es, agil und offen für neue Entwicklungen und Technologien zu bleiben. Es ist essenziell, sich neuen Technolo­gien zu stellen und diese praktisch zu erproben, anstatt sie zu meiden. Die Herausforderung liegt ausserdem nicht im Wollen, sondern in der effektiven Umsetzung. 

Welche Synergien gibt es zwischen Liechtenstein und der Schweiz im Bereich digitaler Innovation und Technologie?

Die Zusammenarbeit mit der Schweiz ist insgesamt sehr gut, besonders auf Bundesebene im Bereich der Cybersicherheit und im Austausch mit den Kantonen zu verschiedenen Dienstleistungen. Durch die Mitgliedschaft im EWR ist die Regulierung in Liechtenstein stark europäisch geprägt, was die Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen erschwert, insbesondere wenn es um Dienstleistungen geht, die nicht in Liechtenstein angeboten werden können.

Was bedeutet die Mitgliedschaft im EWR für Liechtenstein, besonders im Hinblick auf die ­Digitalisierung?

Die EWR-Mitgliedschaft führt dazu, dass EU-Rechtsakte in Liechtenstein übernommen werden müssen und sodann anwendbar sind, was in einigen Fällen Herausforderungen mit sich bringt, insbesondere im Bereich des Datenschutzes mit der EU-DSGVO. Obwohl solche Regulierungen gut gemeint sind, können sie manchmal hinderlich sein. Aus der Perspektive Liechtensteins können wir aber sagen, dass unsere EWR-Mitgliedschaft für uns grundsätzlich sehr vorteilhaft ist. Wir hoffen natürlich, dass die Schweiz ebenfalls optimale Lösungen in ihrer Beziehung zur EU findet.

Welches Potenzial sehen Sie in der künstlichen ­Intelligenz und in den neuesten Entwicklungen wie den Large Language Models rund um ChatGPT etc.?

Künstliche Intelligenz und Technologien wie Large Language Models sind ja nicht etwas komplett Neues, aber ihre Anwendungen treten nun stärker in den Vordergrund. Die Herausforderung besteht darin, das enorme Potenzial dieser Technologien zu erkennen und zu nutzen, während wir gleichzeitig lernen müssen, mit den damit verbundenen Risiken umzugehen. Beim Start des Internets 1993 konnten wir die Entwicklungen, die diese Technologie mit sich bringen würde, auch nicht abschätzen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten damals jemandem gesagt, dass das Internet das Geschäftsmodell der Videotheken obsolet machen werde. Das hätte 1995 wohl niemand verstanden. Ähnlich schätze ich das Potenzial der Blockchain-Technologie und der LLMs ein. Wir wissen noch nicht und können auch nicht abschätzen, was wir alles damit werden machen können. Ich bin aber hoffnungsvoll. Mit jeder neuen Technologie sind sowohl Chancen als auch Risiken verbunden. Unsere Aufgabe ist es, diese Entwicklungen sinnvoll zu nutzen und sicherzustellen, dass sie den Menschen insgesamt zugutekommen.

Was halten Sie vom AI Act, den die EU kürzlich verabschiedet hat? 

Über den AI Act bin ich auf den ersten Blick nicht besonders glücklich. Ich bin unsicher, ob die EU damit nicht übers Ziel hinausschiesst und die KI-Entwicklung abwürgt.

Und wie geht Liechtenstein mit KI und deren ­Einsatz um?

In Liechtenstein begrüssen wir den Einsatz von KI grundsätzlich, wobei in der Verwaltung Leitlinien für Transparenz und Überprüfung existieren, um einen verantwortungsvollen Umgang sicherzustellen.

Sie treten 2025 nicht zur Wiederwahl als Regierungschef des Fürstentums Liechtenstein an. Wie wird sich die Digitalisierung in Liechtenstein nach Ihrem Ausscheiden weiterentwickeln?

Digitalisierung ist ein Prozess, der über einzelne Regierungsmandate hinausgeht. Es war mir wichtig, eine Kultur und Struktur zu schaffen, die Digitalisierung auf allen Ebenen der Verwaltung verankert. Die Fortführung der Digitalisierungsagenda ist nicht von einer Einzelperson abhängig, sondern ein fortlaufender Prozess, der von der gesamten Verwaltung und der Bevölkerung getragen wird.


Zur Person
Daniel Risch ist seit 2021 Regierungschef und Minister für Präsidiales und Finanzen des Fürstentums Liechtenstein. Vorher war er während vier Jahren Regierungs­chef-Stellvertreter und Wirtschaftsminister. Risch studierte Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten St. Gallen, Zürich sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. An der Universität Zürich erwarb er den akademischen Abschluss mit dem Lizenziat der Wirtschaftswissenschaften (lic. oec. pub.). Im Anschluss daran absolvierte Daniel Risch an der Univer­sität Freiburg ein Doktoratsstudium in Wirtschaftsinformatik, wo er 2007 zum Dr. rer. pol. promovierte. Ab 2007 war Risch in verschiedenen leitenden Positionen bei der Unic AG, einem E-Business-Beratungsunternehmen, tätig, unter anderem als Head of Sales sowie Chief Marketing Officer der Unic-Gruppe. Ab 2015 bis zu seinem Regierungseintritt 2017 war er als Chief Marketing Officer bei der Liechtensteinischen Post AG beschäftigt und verantwortete die Bereiche Marketing & Vertrieb, IT und E-Business. Neben seiner beruflichen Tätigkeit war Risch seit 2009 Gründungs-, Organisationskomitee- und Patronatsmitglied beim Kunst-, Kultur- und Musikfestival FL1.LIFE in Schaan. Zudem war er in verschiedenen Verwaltungsrats- und Aufsichtsratspositionen in Liechtenstein, der Schweiz, Deutschland und Österreich tätig sowie Vorstandsmitglied beim IKT Forum Liechtenstein. Daniel Risch ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er wohnt mit seiner Familie in Triesen. 

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