Kolumne

90 Prozent der unter 30-Jährigen wünschen sich E-Voting

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von Edy Portmann, Informatikprofessor

Informatikprofessor Edy Portmann über die technologischen Möglichkeiten, politische Partizipation neu zu gestalten.

Informatikprofessor Edy Portmann. (Source: zVg)
Informatikprofessor Edy Portmann. (Source: zVg)

Ist es Ihnen aufgefallen, dass das Büchlein für die Volksabstimmung im letzten Monat vom Bund in ein neues Gewand gesteckt wurde? Dieser hat dafür 80 000 Franken investiert. Jede einzelne Abstimmungsvorlage – also der Beschluss über die Velowege, wie auch die Initiativen über Fair-Food und die Ernährungssouveränität – wird darin in einer zweiseitigen Übersicht vorgestellt. Auch erhielten im neuen Büchlein das Referendums- sowie die zwei Initiativkomitees jeweils gleichviel Platz für ihre Argumente wie der Bundesrat. Indes hat das physische Abstimmungsbüchlein, laut einer Onlinestudie der Universität Bern, ein gravierendes Problem: Herr und Frau Schweizer nehmen dieses als viel zu kompliziert wahr. Anders sieht es laut dieser Studie bei Videoinformationen aus, welche als "ansprechend" und "hilfreich" empfunden werden.

Mein Doktorvater, Andreas Meier von der Universität Freiburg, beschäftigt sich mit online Partizipationssystemen, die von uns Bürgern zeit- und ortsunabhängig konsultiert werden können. Die Vorteile liegen etwa in der Beteiligung der Bürger schon in frühen Abklärungs- und Planungsphasen, in einer auf unsere Ansprüche zugeschnittenen Informations- und Diskussionspolitik, im barrierefreien Zugang für elektronisches Abstimmen und Wählen, in der Bildung von Communitys in unterschiedlichen öffentlichen Sektoren und für unterschiedliche gesellschaftliche Anliegen, in der vereinfachten Ausübung unserer bürgerlichen Rechte auf allen kommunalen Stufen, sowie in der Verbesserung des Politcontrollings durch smarte Archivierungs- und Dokumentationssysteme. Sollten also besser Videos an die Stelle des Abstimmungsbüchleins treten? Oder brauchen wir gar beides?

In ihrer Masterarbeit untersuchten meine Studenten Simone Franzelli und Ekrem Gündüz, die ich gemeinsam mit Andreas Ladner von der Universität Lausanne betreute, mit einer Umfrage bei Studierenden der Universitäten Bern und Freiburg, ob und wie sich deren politische Partizipation bereits von off- auf online verlagert hat und welche Aktivitäten dabei am beliebtesten sind. Den Studierenden wurde dazu ein System für Online-Partizipation vorgestellt, um damit herauszufinden, welche Funktionen sie für relevant halten und ob sie diese persönlich auch nutzen würden. Die (nicht repräsentative) Umfrage zeigte, dass die Mehrheit der Studierenden wünscht, sich zukünftig mehr online beteiligen zu können. Zu den Partizipationsmöglichkeiten mit der höchsten wahrgenommenen Relevanz und Nutzung gehört dabei elektronisches Abstimmen: 83 Prozent der 806 befragten Studierenden finden diese wichtig und 72 Prozent geben an, dass sie E-Voting gerne auch nutzen würden.

Dies bestätigt auch eine Studie des Zentrums für Demokratie Aarau, laut welcher sich 69 Prozent der Schweizer – und sogar 90 Prozent der unter 30-Jährigen! – für E-Voting aussprechen. Zu den Funktionen, die sich die meisten der Studierenden auf einer Partizipationsplattform zudem wünschten, gehören auch Erklärungsvideos, Foren, um diese miteinander zu diskutieren, sowie weitere Möglichkeiten zur Interaktion. Die Entscheidung, eine solche Plattform zu nutzen, hängt dabei weitgehend von ihrer Transparenz, Neutralität, Sicherheit und dem Schutz der Privatsphäre ab. Andreas Ladner schlägt deshalb vor, unsere Schweizer Demokratie weiterzudenken. Zusammen mit Andreas Meier wirbt er für eine Partizipationsplattform, in der sich zwei Optionen ergänzen: einerseits die Digitalisierung unserer Urnendemokratie auf der Basis des Konzepts "MyPolitics", das von persönlichen und individuellen Partizipationsrechten ausgeht, und andererseits die Digitalisierung der Versammlungsdemokratie auf der Basis des Konzepts "OurPolitics", das unsere kollektiven und deliberativen Teilnahmemöglichkeiten betrifft.

In MyPolitics könnten wir Bürger dazu etwa unsere politischen Präferenzen sowie unser politisches Profil ablegen. Daneben könnten wir auch eine persönliche politische Agenda aufstellen und für uns festlegen welche Programme wir verfolgen und welche wir aktiv mitgestalten möchten. Engagieren wir uns stärker für politische Anliegen, wählen wir OurPolitics. Darin hinterlegten wir unser Profil (halb-)offen, wobei wir jederzeit Änderungen oder Ergänzungen vornehmen könnten. Auf Basis der Offenlegung unseres Profils können wir Bürger uns gemeinsam auf der Partizipationsplattform treffen; mit künstlicher Intelligenz lassen sich ähnliche Profile eruieren und entsprechend interessierte Bürger zusammenführen. Beide Konzepte haben ihre Vor- und Nachteile. Wichtig bei der Nutzung solcher Plattformen ist, dass Sie als Bürger Ihr Konzept wählen können und nicht vom Staat gezwungen werden, geheim oder offen abzustimmen. Das Ergebnis könnten intelligente Partizipationssysteme sein, in denen Mensch und System eine Symbiose eingehen und gemeinsam das Ziel verfolgen, die demokratische Tradition der Schweiz in neue Sphären zu heben.

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