Editorial

Der Monopoly-Mann und die Krypto-Kunst

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Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Die Blockchain wühlt die Kunstwelt auf. Sogenannte Non-Fungible Tokens (NFTs) erzielen Rekordpreise für Dinge, die bisher völlig wertlos waren. Twitter-Gründer Jack Dorsey versteigerte beispielsweise eine digitale Kopie seines ersten Tweets vom 21. März 2006 für 2,9 Millionen US-Dollar. Die Kurznachricht bleibt allerdings weiterhin öffentlich lesbar. Der Käufer bekommt für den stattlichen Betrag nur ein blockchainbasiertes Zertifikat. Im Gegensatz zu einem Bitcoin lässt es sich jedoch nicht durch ein anderes austauschen – daher der Name "non fungible", auf Deutsch: nicht ersetzbar. Der Token soll also dafür sorgen, dass dieser bestimmte Tweet als Original gilt – und alle andere eben nur Kopien sind.

Den bisherigen Auktions-Rekord mit NFTs hält der Künstler Beeple, mit bürgerlichem Namen Mike Winkelmann. Er verband 5000 kleine Bilder, die es auf der Onlineplattform Tumblr gratis zum Download gibt, zu einer JPEG-Datei. Die Collage kam nach einer zweiwöchigen Versteigerung unter den Hammer – für über 69 Millionen Dollar.

Wie zum Teufel ist das möglich? Hat das überhaupt noch etwas mit Kunst zu tun oder ist das bloss Betrug, der noch nicht aufgeflogen ist? Vielleicht fragte sich das Walter Benjamin damals auch. 1935 verfasste der deutsche Philosoph den Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit". Benjamin hatte die damals neuen Medien Fotografie und Film auf dem Kieker. Seiner Ansicht nach hatten diese Kunstformen ein Manko gegenüber, sagen wir mal, einem Bild wie der "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci. Filme und Fotos lassen sich beliebig oft kopieren, wobei die Kopien kaum unterscheidbar sind vom Original. Bei der "Mona Lisa" funktioniert das nicht. Nur wer in den Louvre geht und nahe genug davorsteht, kann das Einzigartige, das Historische und das Schöne an diesem Bild erkennen – vorausgesetzt, man ist kein Kunstbanause wie ich. Jedenfalls fand Benjamin, dass die Kunst vor die Hunde geht. Und zwar deswegen, weil man Kunstwerke durch Technik massenhaft vervielfältigt und so ihre einzigartige "Aura" verkümmere.

Das veränderte auch die Wahrnehmung von Kunst. Die Leute gingen lieber ins Kino und verwandelten sich dort vom diskutierenden Publikum zu einem formlosen Blob, der nur nach Ablenkung sucht. Vorbei die Zeiten, als man sich noch kleidete wie der Monopoly-Mann und mit Monokel im Museum von Manet zu Monet mäanderte.

Der springende Punkt ist aber ein anderer. Benjamin zufolge kam der Kunst ihr kultureller Wert abhanden. Umso wichtiger wurde dafür der "Ausstellungswert", also der Marktwert von Kunstwerken. Und der ist umso höher, je mehr ein Objekt den Anschein erweckt, nicht nur begehrenswert, sondern auch limitiert, bestenfalls einmalig zu sein.

Genau diesen Anschein sollen NFTs heute in die digitale Welt übertragen. Sie erschaffen die Illusion, dass etwas einzigartig ist, obwohl es beliebig oft kopiert und geteilt wird. Das Absurde daran: Es geht noch nicht einmal um digitalen Besitz. Die Käufer erwerben in der Regel nicht die Urheberrechte, Markenrechte oder das Eigentum an dem, was sie da kaufen. Die Käufer, so formuliert es eine Redaktorin der "New York Times", kaufen nichts weiter als "Angeberrechte". Und den Glauben daran, dass ihre Kopie die "authentische" ist.

Immerhin haben es einige Künstler geschafft, diesen Irrsinn auf die Schippe zu nehmen – und damit auch noch Geld zu verdienen. Der US-amerikanische Dokumentarfilmer Alex Ramírez-Mallis hat gemäss der "New York Post" ein Jahr lang täglich in sein Smartphone gefurzt und aus den Aufnahmen eine 52-minütige "Master Collection" erstellt. Die Audiodatei steht nun inklusive NFT zur Auktion. Das Höchstgebot liegt zurzeit bei 183 Dollar. Er bietet aber auch Single-Auskopplungen an, für 85 Dollar pro Pups. Der Filmer verfolgt mit der Aktion drei Ziele: "Ich hoffe, dass diese NFT-Fürze gleichzeitig als Kritik an der Absurdität des Ganzen fungieren, die Leute zum Lachen bringen und mich reich machen."

Ob er das schafft? Wohl kaum. Aber seine Kritik am NFT-Hype in der Kunst ist berechtigt: Wer damit nur Geld verdienen will, ist kein Künstler, sondern Spekulant – wie der Monopoly-Mann, nur ohne Stil.

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