Editorial

Vernetzt, versetzt

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René Jaun, Redaktor Netzmedien. (Source: Netzmedien)
René Jaun, Redaktor Netzmedien. (Source: Netzmedien)

Meine erste bewusste Begegnung mit vernetzten Dingen hatte ich in den frühen Neunzigerjahren, irgendwann kurz vor dem Stimmbruch. Mein Vater brachte damals einen Kasten nach Hause – ähnlich gross und viermal so schwer wie ein heute übliches Notebook. Im Kasten war eine SIM-Karte verbaut, und aus ihm lugten ein paar Drähte. Zweck der Maschine sollte es sein, die Heizung unseres Ferienhauses "schlau" zu machen. Wir sollten sie aus der Ferne ein- und ausschalten können, und die Heizung ihrerseits sollte uns gelegentlich Statusberichte zukommen lassen. Die Installation war für meinen Vater – von Beruf Elektroinge­nieur – nicht nur kein Problem, sondern eine wahre Freude. Da das Handy-Netz – damals noch "Natel D" genannt – in der Region miserabel war, montierte er gar eine zusätzliche ­Antenne auf dem Dach des Hauses.

Doch bei aller Mühe: Soweit ich mich erinnere, hat das System nie zuverlässig funktioniert. Oft fanden wir unser Haus frostig kalt vor – entgegen eines zuvor geschickten Einschaltbefehls. Gelegentlich überraschte uns die Heizung auch mit Statusberichten, die akuten Klimawandel vermuten liessen. Nicht selten mussten Teile ausgewechselt oder die Antenne neu gerichtet werden.

Im Grunde finde ich die Idee vernetzter Geräte faszinierend. Aber in meinem Alltag begegne ich unangenehm häufig Situationen, in ­denen ein vermeintlich intelligentes System ausgesprochen dumme Dinge tut. Ein Freund verpasste unlängst ein Vorstellungsgespräch, weil sein smarter Lautsprecher nach einem nächtlichen Firmware-Update den gestellten Wecker vergessen hatte. Die Notfalluhr einer älteren Frau aus meinem Bekanntenkreis liess mein Handy (zum Glück nur für einen Testanruf) klingeln, stellte dann aber die Sprechverbindung nicht her. Und meine eigene Smart­home-Zentrale behauptet seit Stunden, ich sei nicht zuhause. Kurz: Wir haben zwar alle Dinge vernetzt, werden nun aber vom System versetzt.

Im Themenschwerpunkt dieser Netzwoche lesen Sie, dass laut IDC im letzten Jahr weltweit mehr als 700 Milliarden US-Dollar für Internet of Things ausgegeben wurden. Bin ich ein Schelm, wenn ich vermute, dass ein beträchtlicher Anteil dieses Betrags für Wartungsarbeiten draufging?

Doch genug des Pessimismus. In dieser Ausgabe lesen Sie auch, wie das IoT den Medikamententransport, die Landwirtschaft oder den Hafenbetrieb verändert oder verändern könnte – guter Netzempfang vorausgesetzt. Im Porträt lernen Sie Flavio Bezzola und Muharem Zenkic, Gründer von Joylab, kennen. Und im Live-Interview sagt Emineo-CEO Aleardo Chiabotti, warum Spitäler nicht nur einen Partner bei der Digitalisierung brauchen.

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