Leila Summa von der Migros im Interview

"Wir hoffen, dass viele Unternehmen auf Social Media setzen"

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Mit Migipedia holten sich Migros, Jung von Matt und Liip den Master of Swiss Web 2011 . Ein Gespräch mit Leila Summa, Leiterin Digital Marketing bei Migros - über Erfolgsfaktoren, Erfahrungen und Hausaufgaben, die die Branche noch zu machen hat.

Frau Summa, Migipedia hat sich mit überwältigendem Vorsprung den Master of Swiss Web geholt und auch sonst viele Auszeichnungen eingeheimst. Haben Sie den Erfolg in diesem Ausmass erwartet?

Erhofft vielleicht schon, aber sicher nicht erwartet. Deshalb haben wir uns umso mehr gefreut – das konnte man dem ganzen Team am Event ja auch ansehen.

Ich nehme an, dank des Erfolgs wird auch die Geschäftsleitung leichter für neue Investitionen in Webprojekte zu gewinnen sein.

Die Auszeichnungen beim Best of Swiss Web sind sicher eine sehr gute Sache – einerseits fürs Migros-Team, aber auch für die involvierten Agenturen Jung von Matt und die Liip AG. Wir sehen dies auch als eine Art Anerkennung unserer Arbeit durch die Branche. Für die Geschäftsleitung zählt aber natürlich vor allen, ob neue vorgeschlagene Projekte in die Onlinestrategie passen, ob es einen Mehrwert für den Kunden bietet und uns letztlich darin unterstützt, unsere Produkte zu verkaufen.

Gab es auch Reaktionen von Nutzerseite?

Wir haben aus der Core-Community einige Feedbacks bekommen – zwei haben sogar angerufen. Aber für die Nutzer selbst ist diese Auszeichnung gar nicht so wichtig. Viel mehr Gewicht hat sie bei Migros intern und in der Onlinebranche. Von dort bekamen wir bereits am Abend viele positive Reaktionen. Besonders gefreut hat mich, dass unter den Hunderten von Tweets kein einziger Nasenrümpfer war, was unseren Master-Titel anbelangt.

Wir haben Migipedia in der Netzwoche 16 vom letzten Jahr schon vorgestellt – was hat sich in der Zwischenzeit geändert?

An der Plattform selbst haben wir nicht viel verändert, wohl aber an den Prozessen und der Organisation dahinter. So konnten wir die Social Media Maturity – die Reife im Umgang mit dieser Web-2.0-Plattform also – sowohl bei unserer Kundschaft als auch bei der Migros steigern. Wir haben im Lauf des letzten halben Jahres drei Phasen durchlaufen. Erstens: zuhören, zweitens: zuhören und reagieren und drittens: zuhören, reagieren und involvieren.

Unmittelbar nach der Lancierung ging es primär darum, Migipedia als Social-Media-Plattform zu positionieren, die von und für Kunden gemacht sein soll. Dort sollen die Kunden ihre Ideen, Anliegen und Kritik mit der Community teilen können. Gleichzeitig sollen sie auch einen direkten Draht zu Migros-Mitarbeitern bekommen, die ihnen Fragen möglichst schnell und kompetent beantworten und ihre Anliegen entgegennehmen. Intern haben wir uns in dieser Phase vorwiegend dem Aufbau der Prozesse und des interdisziplinären Social-Media-Teams gewidmet. Das öffentliche Beantworten von Kundenanfragen auf Social-Media-Kanälen war für uns ja neu. Damit das funktioniert, muss die Zusammenarbeit mit sehr unterschiedlichen Abteilungen wie der M-Infoline, den Corporate Communications, Customer & Web Intelligence und Digital Marketing gut koordiniert sein.

Im November gingen wir mit dem Involvement einen Schritt weiter. Wir fragten die Nutzer im Rahmen eines Wettbewerbs, welche Produkte sie sich in den Migros-Regalen wünschten. Binnen rund dreier Wochen haben wir 2200 Ideen für Produkte erhalten.

Wie viele dieser Ideen waren brauchbar, wie viele Ramsch?

Das ist schwierig zu sagen. Viele Ideen wurden in ähnlicher Form mehrfach eingereicht. Grob geschätzt würde ich sagen, zwischen 30 und 50 Ideen waren interessant, davon werden rund ein Dutzend weiterverfolgt und auf ihre Machbarkeit hin geprüft.

Was bringen Ihnen solche Aktionen?

Solche Inputs und das Engagement unserer Kundschaft sind für uns in verschiedener Hinsicht interessant. Die eingereichten Ideen zeigten uns etwa, dass wir mit dem Sortiment auf dem richtigen Weg sind. Viele der gewünschten Produkte hatten wir bereits im Angebot oder befanden sich bei uns in der Planungs- oder Entwicklungsphase. Und wenn die Leute bereits vorhandene Produkte nicht wahrnehmen, ist das auch eine interessante Botschaft.

Eine wichtige Erkenntnis für unser langfristig ausgerichtetes Social-Media-Engagement ist: Unsere Community möchte mit uns zusammen neue Produkte entwickeln. Deshalb haben wir die Nutzer als Nächstes aufgefordert, Vorschläge für eine neue Konfitüre zu machen. Nach unserem Aufruf erreichten uns binnen 24 Stunden 500 Vorschläge, 1102 waren es insgesamt. 17 davon wurden in der Versuchsküche produziert und können nun von Vertretern aus der Community, der Migros und der Industrie degustiert werden. Die fünf besten werden danach wiederum der Community zur Abstimmung vorgelegt. Ziel ist es, dass die Gewinnerkonfitüre im Herbst in den Migros-Regalen steht.

Im Gegensatz zu den ersten Aktionen haben wir hier nicht mehr mit monetären Anreizen zum Crowdsourcing aufgerufen, sondern mit ideellen. Wir haben in Aussicht gestellt, dass die Gewinner den ganzen Entwicklungsprozess von der Ideensammlung und -verdichtung bis hin zu Degustation und Verkauf begleiten dürfen. Das wirkte sich positiv auf die Qualität der eingereichten Ideen aus.

Im letzten Herbst waren es noch 4600 Produkte, die durch die Nutzer bewertet und kommentiert werden konnten – wie viele sind es heute?

Aktuell sind es rund 6000 Produkte, es werden aber laufend mehr.

Wie haben sich die Nutzerzahlen entwickelt?

Die haben sich zufriedenstellend entwickelt, wenn man bedenkt, dass wir erst wenige Monate online sind. Uns ging es aber in letzter Zeit auch nicht in erster Linie darum, möglichst viele Nutzer zu generieren, sondern eine Basis-Community zu bilden, die sich langfristig engagieren will. Eine Plattform aufzubauen geht relativ schnell, diese bei den Konsumenten zu etablieren braucht Zeit.

Das Portal ist immer noch im Beta-Status. Warum und wie lange noch?

Die Plattform ist immer noch im Beta-Status, weil wir noch immer im Experimentier-Modus sind. Wie lange das noch so bleibt, kann ich momentan nicht genau sagen. Klar, wir haben mittlerweile vieles gelernt, aber wir sehen auch täglich, wo wir uns noch verbessern müssen. Zum Beispiel gibt es bei den internen Prozessen noch einiges zu tun. Ausserdem ist die Einbettung in die ganze Onlinelandschaft der Migros noch nicht abgeschlossen. Und dann gibt es noch die Diskussion um die Einbettung der Cumulus-Daten. Solange solche Themen noch nicht abgeschlossen sind, wird die Plattform noch beta bleiben. Aber das nehmen ohnehin nur die Insider wahr, dem durchschnittlichen Nutzer ist es egal, solange die Plattform funktioniert und er sich einbringen kann.

Migros hat ja nicht nur den Master of Swiss Web gewonnen, sondern auch bei den einzelnen Kategorien tüchtig abgeräumt. Was ist das Geheimnis hinter diesem Erfolg?

Es gibt drei grundlegende Faktoren für unseren Erfolg: Erstens verfolgt die Migros seit 2009 eine konsequente Onlinestrategie mit Fokus auf einer integrierten Markenkommunikation. Zweitens steht die Geschäftsleitung voll dahinter, und drittens wurden dementsprechend auch die notwendigen internen Strukturen geschaffen und die nötigen Teams aufgebaut.

Wie geht man bei Migros mit den Fragen um Aufwand und Ertrag von Social-Media-Projekten um?

In der Anfangsphase gibt es ja die Ziele, die einem Projekt zugrunde liegen. Die sind formuliert und lassen sich entsprechend messen. Im Jahr 2009 bekamen wir den Auftrag, eine Social-Media-Strategie zu definieren. Das hiess, schrittweise Facebook, Twitter und Youtube als neue Kommunikationskanäle zu etablieren und zudem mit Migipedia die Dialogplattform der Migros zu kreieren. Dies sollte auch ein Zeichen sein, dass die Migros auf Online setzt.

In diesem Zusammenhang steht auch die öffentliche Wahrnehmung unserer Aktivitäten, die sich beispielsweise in der Berichterstattung durch die Medien niederschlägt. Aktuell werden wir daran gemessen, wie weit wir dazu beitragen, die Marketing- und Kommunikationsziele der Migros zu erreichen.

Gibt es schon Ansätze, die es erlauben, Social-Media-Massnahmen zu monetarisieren?

Ja, es gibt einige. Der wohl aktuellste Ansatz ist Social Commerce. Durch die Verschmelzung von E-Commerce und Social Media erhoffen sich die Firmen ein Payback. Entscheidend ist hier jedoch: Wir müssen zuerst eine Community haben, bevor wir an die Monetarisierung denken können. Und hier zählen neben der Monetarisierung auch andere Kriterien wie die Qualität der User, das heisst die Relevanz der generierten Inhalte und das nachhaltige Engagement der Kunden.

Sind die mangelnde Messbarkeit und die eher langfristige Wirksamkeit von Social-Media-Investitionen die Gründe dafür, dass sich nur wenige Unternehmen hier ernsthaft engagieren?

Ja, vermutlich ist ein wesentlicher Punkt, dass wir andere Kennwerte und Messgrössen definieren und messen müssen als bei Offlinemassnahmen. Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, um On- und Offlineaktivitäten in irgendeiner Form vergleichbar und das Potenzial sichtbarer zu machen. Zudem gilt es die Awareness zu schaffen, dass sich mit Social Media, trotzdem sie ein schnelllebiges Medium sind, oft keine kurzfristigen Erfolge verbuchen lassen – ausser vielleicht einen Imagegewinn.

Hemmend wirkt auch, wenn ein Unternehmen nicht dialogorientiert oder nicht partizipativ geführt wird, wenn die notwendige Innovations-, Schreib- und Kooperationskompetenz oder wenn Entscheidungskompetenz fehlen. Auch fehlendes interdisziplinäres Denken, mangelnde Offenheit gegenüber Neuem oder die Angst, bestehende Prozesse zu hinterfragen mögen hier hineinspielen. Oft wird auch die Relevanz der Feedbacks einzelner Kunden angezweifelt. Und schliesslich ist es auch ein Problem, dass noch niemand so genau herausgefunden hat, wie wir durch Social Media bedingte Erfolge erkennen, messen und ausweisen können.

Wie unterscheidet sich ein Projekt wie Migipedia in der Realisierung von anderen IT-Projekten?

Aus meiner Sicht bringt man ein Social-Media-Projekt mit den üblichen Projektmanagement-Methoden wie etwa dem Wasserfallmodell nicht zum Funktionieren. Eine Plattform wie Migipedia ist ja auch kein Projekt im üblichen Sinn, weil sie streng genommen ja gar nie fertig wird. Zentral ist es, sehr rasch und flexibel auf Kundenwünsche eingehen zu können und das schafft man nur mit einer agilen Entwicklungsmethodik. In unserem Fall ist das Scrum, mit dem Liip arbeitet. So waren wir beispielsweise in der Lage, schon innerhalb von 36 Stunden neue Funktionen aufzuspielen, die von Nutzerseite gewünscht waren.

Viele Unternehmen operieren erfolgreich im Web und sind auch auf Social-Media-Portalen wie Facebook präsent. Oft scheint es aber, dass beides nicht wirklich zusammenpasst und keine wirkliche Community existiert. Glauben Sie, Migipedia wird auch bei anderen zu einem Umdenken führen?

Das Problem dieser Firmen könnte sein, dass sie eine Facebook-Page gründen, ohne zuvor eine Social-Media-Strategie definiert zu haben. Vielleicht fehlt ihnen auch einfach eine schlüssige Strategie, die die übergeordneten Ziele im Onlinebereich festlegt. Ohne eine solche Strategie ist es schwer, eine funktionierende Community aufzubauen. Wir haben schon einige Feedbacks von anderen Firmen bekommen, die unseren Umgang mit Social Media sehr spannend finden. Das freut uns natürlich. Und wir wünschen uns, dass viele Unternehmen Social Media als Teil ihrer langfristigen Kommunikationsstrategie einplanen. Wenn viele dies tun, können wir alle gegenseitig voneinander lernen, und dies fördert letztlich die Qualität.