Gastbeitrag: Arbeitsplatzgestaltung

Der moderne Arbeitsplatz und die Suche nach der neuen Büroklammer

Uhr | Aktualisiert
von Christopher Müller

Wie sieht der IT-Arbeitsplatz der Zukunft aus? Welche der Dinge, die wir heute kennen, werden überleben? Welche nicht? Und wovon dürfen wir aus guten Gründen träumen?

Noch dürfte es eine Weile dauern bis der "moderne Arbeitsplatz" dereinst Realität sein wird, meint Christopher Müller in seinem Gastbeitrag.
Noch dürfte es eine Weile dauern bis der "moderne Arbeitsplatz" dereinst Realität sein wird, meint Christopher Müller in seinem Gastbeitrag.

Anmerkung der Redaktion: Der Gastautor Christopher Müller ist Inhaber und CEO von Die Ergonomen Usability AG.

Vor einiger Zeit wurden zwei ältere Damen, die ihr Leben lang in einem Büro gearbeitet hatten, bei "Talk Täglich" interviewt. Auf die Frage, was während ihrer Karriere die grösste Innovation gewesen sei, gab die eine zur Antwort: "Die Büroklammer." Ihre Kollegin pflichtete ihr bei.

Bevor Sie darüber schmunzeln, liebe Leser, überlegen Sie sich bitte kurz, ob die Dinge, die Sie als Innovation erlebt haben und erleben, für Sie wirklich den gleichen Stellenwert besitzen wie die Büroklammer für die beiden älteren Damen. Für diese brachte ein kleines Stück gebogener Draht Ordnung in ihren Alltag und damit eine wesentliche Arbeitserleichterung. Haben all die angeblichen Erleichterungen heute tatsächlich einen ebensolchen Stellenwert?

Wo das Wort Fortschritt angebracht ist

Viele technische Neuerungen der letzten Jahre sind auch im intensiven Alltagsgebrauch immer wieder von Neuem erfreulich – man denke beispielsweise an die Onlinekalender, die man mit anderen teilen kann und die uns ein hohes Mass an Koordinationsaufwand ersparen. Oder an die Touchscreen-Bedienung der Smartphones, an die wir uns alle so rasch und gern gewöhnt haben.

Es besteht kein Zweifel: Die Technik wird immer besser, die Bildschirme werden immer schärfer, die Speichermedien immer schneller und gleichzeitig kleiner, die Möglichkeiten immer erstaunlicher. Das Wort Fortschritt ist hier eindeutig angebracht, und es ist auch ein Fortschritt in eine gute Richtung. Er steigert die Effizienz und vereinfacht damit das moderne, komplexe Leben wesentlich.

Aus der Freizeit ist das "Freizeitchen" geworden

Genau in diesem modernen, komplexen Leben liegt jedoch mitunter ein Problem: Die Grenze zwischen Beruf und Freizeit, zwischen Arbeit und Privatleben ist vielerorts massiv verwischt, selbst für Handwerker. Früher, als Arbeit noch in der Fabrik oder auf dem Feld stattfand, war diese Grenze noch eindeutig: Die Maschine war schlichtweg in den Boden geschraubt, man konnte sein Arbeitsgerät nicht nach Hause nehmen.

Heute aber sind wir ständig und überall erreichbar, lesen unsere E-Mails noch im Bett, bevor wir überhaupt aufgestanden sind, und beantworten sie auch nach dem abendlichen Zähneputzen. Manager, die etwas auf sich halten oder auch einfach nur um ihren Job fürchten, sind selbst in ihren Ferien ständig erreichbar. Es gilt heute als Akt der Verwegenheit, einmal für eine Stunde sein Smartphone auszuschalten. Das Leben ist sehr schnell geworden, "offline" ein Wort für Abgeschnittenheit von der Welt. Aus der Freizeit ist ein "Freizeitchen" geworden; Minipausen zwischen den zahlreichen Ausübungspunkten des Jobs.

Die Folgen sind Stress, Burn-outs und – als häufiges Ergebnis davon – Langzeitausfälle, was den Effizienzgewinn durch die neue Technik und deren Einsatz in unserer sehr stark im Wandel befindlichen "Anwenderkultur" nicht nur zunichtemacht, sondern ins blanke Gegenteil verkehrt. Wie also sieht der IT-Arbeitsplatz der Zukunft aus? Dürfen wir uns auf eine Flut von technischen Innovationen freuen – oder müssen wir sie vielmehr fürchten? Betrachten wir doch einmal den heutigen Zustand.

Die Tastatur, die Königin der Eingabegeräte

Der typische Arbeitsplatz besteht, trotz allem Fortschritt der jüngeren Zeit, immer noch aus Bildschirm, Tastatur und Maus. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens kostet die Ausrüstung Geld. Wer eine Firma hat, kauft neue Computer nur selten zum Vergnügen, sondern am liebsten dann, wenn die alten kaputtgegangen sind. Zweitens sind gewisse Visionen, wie die Gedankensteuerung, wohl realistisch, aber noch weit davon entfernt, über militärische Anwendungen hinaus breit eingesetzt werden zu können. Andere sind ausgereifter, wie beispielsweise die Sprachsteuerung, bei der sich allerdings die Frage stellt, ob man wirklich mit einer Maschine sprechen will. Für viele Menschen ist diese Vorstellung nach wie vor befremdlich, und obwohl sie ein iPhone 4S mit der Sprachsteuerung „Siri“ besitzen, nutzen sie dieses Feature lieber nicht – obwohl es durchaus praktisch ist.

Einzig der Touchscreen hat das Zeug dazu, zur neuen Büroklammer zu werden. Es gibt wohl nur noch ganz wenige Schweizer, die noch nie eine Eingabe auf diese Weise getätigt haben, seit die SBB ihre Billettautomaten erneuert haben und kaum jemand mehr ein Handy ohne Touchscreen kauft. Der Touchscreen ist eine bemerkenswerte Neuerung: Die Eingabe erfolgt an dem Ort, wo sie angezeigt wird, nämlich auf dem Bildschirm. Es entfällt also die Übersetzung der Gedanken über eine mehr oder minder gewöhnungsbedürftige Tastatur.

Der Schreibtisch der Zukunft ist teuer

Der radikale Schritt bestünde denn auch im Touch-Arbeitsplatz, wie man ihn in Science-Fiction-Filmen immer wieder sieht: Der Schreibtisch der Zukunft ist ein riesiger, geneigter Touchscreen, in den Dimensionen so gestaltet, dass man sitzend oder stehend die Fläche mit dem Bewegungsraum der Arme abdecken kann. Elektronische Dokumente liegen dann wie Papiere auf dem Screen und können bearbeitet und gelöscht (vom Tisch gewischt) oder auf ein mobiles Gerät übermittelt werden. Zusatzfunktionen wie Videotelefonie, E-Mail und soziale Netze werden sich dann an einem Ort versammeln, (mit einer Leitung, versteht sich), und es entfiele dann auch das Kabelgewirr.

Zur stationären Touch-Arbeitsfläche gehört die ganze Bandbreite der mobilen Endgeräte, die den Arbeitsradius beliebig erweitern. Wesentlich ist, dass die Arbeitsgrundlage – die Information – immer und überall aus der Cloud abrufbar ist und Hardware oder Betriebssystem keine Hürde mehr darstellen. Diese Anwendung ist realistisch und greifbar. Bis zu ihrer flächendeckenden Umsetzung werden viele Jahre vergehen – nicht zuletzt aus Kostengründen.

Die Büroklammer muss also vorerst nicht um ihren Spitzenplatz fürchten. Dies auch, weil wir uns in einem ständigen Proof-of-Concept-Prozess befinden, also jeden Tag von Neuem bestimmen, welche Lösung den grössten Nutzwert beim geringsten Aufwand hat. Nur wenn eine Neuerung ein echtes Bedürfnis befriedigt und gleichzeitig für viele begehrenswert ist und nicht nur für ein paar Tech-Nerds, ist die Basis für eine kleine Revolution gegeben.

Unergonomisch: Der Zweieinhalb-Meter-Arbeitsplatz

Was den Arbeitsplatz anbelangt, müssen wir darauf wohl noch etwas warten. Bei der kürzlich umgesetzten Modernisierung einer Einsatzleitzentrale von Polizei, Feuerwehr und Sanität mussten die Monitore ersetzt werden. Die alten 19-Zoll-4:3-Geräte sollten dabei modernen 22-Zoll-Monitoren im Verhältnis 16:9 weichen. Doch fünf solche Screens nebeneinander hätten einen Zweieinhalb-Meter-Arbeitsplatz ergeben. Dafür benötigt man Chamäleonaugen und eine gute Nackenmuskulatur.

Eine wirklich radikale Lösung hätte in einem gebogenen Monitor mit einer Diagonalen von 43 Zoll bestanden, wie beispielsweise die Firma Ostendo zu jener Zeit im Angebot führte. Doch dafür waren die zuständigen Einkäufer nicht bereit, der Schritt war zu gross. Sie konnten dann überzeugt werden, zwei 24-Zoll-Monitore anzuschaffen und die anzuzeigenden Inhalte neu anzuordnen.
Vielleicht bedingt eine echte Modernisierung des IT-Arbeitsplatzes hin zu einer ergonomischen, effizienten Umgebung ja auch eine Modernisierung unseres Verständnisses davon.

Vielleicht bewegen wir uns ja auf eine Zeit zu, in der die vielen technischen Errungenschaften bewusst restriktiv eingesetzt werden, dem Menschen und seinem Bedürfnis nach Ruhe zuliebe. Die Mailserver der Unternehmen wären dann von 19 bis 7 Uhr für die Mitarbeiter nicht verfügbar – kein Empfangen, kein Senden. Für viele wäre das schon heute eine paradiesische Vorstellung – vielleicht sogar die neue Büroklammer.