Fachbeitrag

Von der Planlosigkeit zur Blockchain-Vision

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von Nicola Schlup, Managing Director, Nexum

Junge Technologien wie die Blockchain bieten viel Potenzial und sorgen für ebenso viel Verwirrung. Oftmals ist der Pionier-Wunsch stärker als die Vision. Vier simple Schritte helfen, die eigene Blockchain-Vision zu entwickeln und dem blinden Aktionismus vorzubeugen.

Nicola Schlup, Managing Director, Nexum (Source: zVG)
Nicola Schlup, Managing Director, Nexum (Source: zVG)

Bei Projektanfragen treffe ich immer wieder auf dieselben Technologietrends, die mittels einer bereits vom Kunden erarbeiteten Idee in der Praxis erprobt werden sollen. Auch wenn ich diese Macher-Mentalität durchaus unterstütze, so sollte doch hinter jeder Idee eine grössere Vision stecken. Gerade bei relativ neuen Technologien, wie der Blockchain, ist der Pionier-Wunsch in der Praxis oftmals stärker als die Vision.

Mit vier Schritten möchte ich aufzeigen, welche Fragen sich Unternehmen stellen sollten, um eine eigene Blockchain-Vision zu entwickeln und so ihren Produktideen die notwendige Weitsicht zu verleihen. Das Vorgehen ist übrigens auch für andere Technologien anwendbar – wir nutzen es regelmässig in unseren eigenen Beratungssituationen.

  1. Recherche: Was sind der erhoffte Nutzen der Technologie sowie aktuelle und kommende Herausforderungen unserer Branche?

  2. Einflussanalyse: Was sind die technologischen und unternehmerischen Einflussfaktoren und deren Einflussstärke untereinander?

  3. Trendprojektion: Welche Entwicklung der Einflussfaktoren wird in den kommenden Jahren erwartet?

  4. Implikation: Welche Szenarien ergeben sich aufgrund der Trendprojektion?

Das Ziel dieser vier Schritte ist es, das eigene Unternehmen für mögliche Szenarien rund um die junge Technologie zu sensibilisieren und sich dadurch den möglichen Langzeiteinflüssen bewusster zu werden. Erst unter diesen Gesichtspunkten kann das volle Ausmass der Möglichkeiten erahnt und die passende Produktidee entwickelt werden, die anschliessend als Minimum Viable Product (MVP) getestet wird.

Schritt 1 – Recherche: Insights zu Branche und Technologie sammeln

Es gilt, möglichst viele Insights zur Branche – die Sie womöglich aufgrund Ihrer langjährigen Tätigkeit in derselben bereits vorliegen haben – und zur Technologie zu sammeln und auszuwerten. Fokussieren Sie sich bei den Brancheninformationen nicht zu sehr auf operative Themen, sondern berücksichtigen Sie auch die strategische Ebene. Verschaffen Sie sich einen Überblick über das Spannungsumfeld, in dem sich Ihr Unternehmen und Ihre Branche befinden und welche Auswirkungen bereits spürbare Trends haben. Werfen Sie einen Blick in bereits stärker disruptierte Branchen und Länder, um Trendbewegungen, die auf Ihr Gebiet überschwappen könnten, besser erahnen zu können. Klassiker unter den Trends der vergangenen Jahre sind der Selfservice (Kunden scannen ihre Ware an der Kasse selbst, statt dies vom Kassenpersonal übernehmen zu lassen) und E-Commerce für jegliche Produktkategorien (Kunden kaufen mittlerweile auch teure und beratungsintensive Investitionsgüter online). Vergessen Sie nicht die regulatorische Sicht auf Ihre Branche und mögliche Tech-Start-ups, die versuchen, Marktanteile zu gewinnen.

Zur Gewinnung der Technologie-Insights, speziell für die Blockchain-Technologie, gibt es mittlerweile ausreichend Online-Literatur mit Fokus auf Einsatzgebiete und mögliche Geschäftsmodelle. Um zu erfahren, welche davon sich bewährt haben, ist es leider noch einige Jahre zu früh. Blockchain-Vorhaben zur Inspiration gibt es jedoch bereits in Hülle und Fülle, auch wenn diese noch in einem frühen Stadium stecken. Sie sollten während Ihrer Recherchen ein Verständnis für die Stärken und Limiten der Technologie entwickeln und sich nicht von der reinen Utopie blenden lassen. Bei Bedarf können sich Sie externe Unterstützung von einem Berater ins Haus holen, der die fehlende Expertise abdeckt.

Schritt 2 – Einflussanalyse: Einflussfaktoren und -stärken prüfen

Im zweiten Schritt geht es darum, die relevanten Einflussfaktoren der Blockchain-Technologie zu identifizieren, den Unternehmensfaktoren gegenüberzustellen und so die gegenseitigen Einflüsse und deren Einflussstärke zu bestimmen. Also welchen Einfluss die elementaren Eigenschaften oder Funktionen (sogenannte Deskriptoren) der Blockchain auf das eigene Unternehmen haben. Die technologischen Einflussfaktoren müssen dazu den prägenden Charakter oder Kern der Technologie beschreiben und nicht zu generisch gewählt sein, um später eine klare Abgrenzung zu erzielen. Im Falle der Blockchain könnten dies Kernfunktionen wie Smart Contracts, elektronische Identität sowie Eigenschaften wie Dezentralisierung, Nachverfolgbarkeit und Verschlüsselung sein.

Zur Bestimmung der Unternehmensfaktoren helfen bestehende Modelle, wie zum Beispiel das "Digital Maturity Model" der Universität St. Gallen. Bei Bedarf können die einzelnen Faktoren mittels Multiplikator gewichtet werden, beispielsweise um den regulatorischen Gegebenheiten eines Unternehmens mehr Gewicht zu verleihen.

Die technologischen Faktoren auf der Vertikalen, die unternehmerischen Faktoren auf der Diagonale ergeben die Matrix. Füllen Sie nun die einzelnen Felder mit Zahlen von 1 bis 5 aus und bestimmen Sie so den Einfluss der Technologiefaktoren auf die einzelnen Unternehmensfaktoren. Die Summen in der Horizontalen sowie der Vertikalen zeigen auf, wie stark ein Faktor Einfluss ausübt und beeinflusst wird. Sie dienen als Grundlage für die Projektion in die mittel- und langfristige Zukunft.

Schritt 3 – Trendprojektion: Weiterentwicklung der Einflussfaktoren betreiben

In der Trendprojektion erhalten die einzelnen Einflussfaktoren mehr Perspektive, indem pro Einflussfaktor jeweils mehrere mögliche Entwicklungen in beispielsweise fünf oder zehn Jahren beschrieben werden. Für den Einflussfaktor "Elektronische Identität" der Blockchain könnte die Entwicklung in fünf Jahren entweder dahin gehen, dass jeder Bürger mit einer E-ID ausgestattet sein wird, oder aber, dass aufgrund der Manipulationsgefahr die E-ID von den Stimmbürgern für offizielle Zwecke abgelehnt wird.

Die Trendprojektion pro Einflussfaktor und für unterschiedliche Zeithorizonte kostet zwar entsprechend Erarbeitungszeit und Fantasie, zeigt aber die Vielfalt der möglichen Entwicklungen. Gerade für die Trendprojektion auf zehn Jahre hinaus kann das Hinzuziehen von gesellschaftlichen Megatrends hilfreich sein.

Schritt 4 – Implikation: Szenarien bilden und priorisieren

Im letzten Schritt gilt es, die formulierten Trendprojektionen in sich schlüssige Szenarien zu verpacken und in Bezug zu Ihrer Branche zu stellen. Es empfiehlt sich, mindestens drei sehr unterschiedliche Szenarien zu kreieren und innerhalb eines Szenarios von ähnlichen Projektionsannahmen und Megatrends auszugehen, um den roten Faden nicht zu verlieren. Nutzen Sie Erzählelemente, um die Szenarien jedem Leser, auch ohne entsprechendes Vorwissen, bildlich näher zu bringen.

Die so entwickelten Szenarien bieten Ihnen die Basis, um zukünftige Bedürfnisse und Marktchancen zu antizipieren und daraus die mögliche Rolle abzuleiten, die Ihr Unternehmen mittels Blockchain-Technologie einnehmen kann. Ihre Blockchain-Vision ist geboren.

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