KI in der Chemie

Wie KI bei der Medikamentenentwicklung hilft

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von Gisbert Schneider, Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich

Künstliche Intelligenz könnte auch die pharmazeutische Forschung ein gutes Stück weiterbringen, sagt Gisbert Schneider vom Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich. Mittelfristig könnten Computer sogar autonom Experimente durchführen.

(Source: Louis Reed / Unsplash)
(Source: Louis Reed / Unsplash)

Medikamente zu entwickeln ist eine komplexe und ehrgeizige Aufgabe: Es werden Wirkstoffe gesucht, welche die dringendsten Gesundheitsprobleme der Welt lösen, bei den Patienten jedoch keine oder nur geringe Nebenwirkungen auslösen.

Chemiker müssen dabei umfangreiche Wechselwirkungen berücksichtigen: Medikamente wechselwirken mit verschiedenen Zellen und Organen im menschlichen Körper auf unterschiedliche Weise, und auch von Patient zu Patient können sich die Wechselwirkungen stark unterscheiden. Viele Wirkstoffe werden heute mithilfe von schrittweise wiederholenden (iterativen) Tests im Labor entdeckt.

Allerdings stossen Chemiker dabei an die Grenzen ihrer Fähigkeit, neue Wirkstoffmoleküle zielgerichtet zu entwerfen und auszuwählen. Theoretische Schätzungen gehen von ungefähr 1060 wirkstoffartigen Molekülen aus, unter denen es die Besten zu identifizieren gilt. Um erfolgreich Medikamente entwickeln zu können, braucht es hochspezialisiertes Expertenwissen, dass sich Chemiker in vielen Jahren Berufserfahrung aneignen müssen.

Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen könnten daher Chemikern helfen, diese hochkomplexe Aufgabe besser zu lösen: KI kann sehr viel effizienter grosse Datenmengen analysieren als der Mensch, KI erzeugt reproduzierbare Ergebnisse und sie beschleunigt potenziell den Entdeckungsprozess, denn sie ist in der Lage, viele Forschungsziele gleichzeitig zu berücksichtigen.

Ein perfekter Partner?

Bessere Wirkstoffe, schneller entdeckt und entwickelt – KI ist auf den ersten Blick ein idealer Partner für Chemiker. In einigen Bereichen könnten chemiekundige KI-Systeme dereinst menschliche Chemiker tatsächlich übertreffen. Das dürfte vor allem in jenen Bereichen der Fall sein, in welchen der menschliche Geist an seine Grenzen stösst.

Im Wissen um die Vorteile der KI müssen die Erwartungen an sie dennoch auf einem realistischen Mass gehalten werden. KI ist in der Chemie kein Wundermittel. Man muss sich eingestehen, dass viele Krankheitsprozesse noch nicht vollständig verstanden werden. Eine Maschinenintelligenz wird nur dann ursächliche Zusammenhänge zwischen chemischen Strukturen und ihren Effekten lernen können, wenn die Chemiker sie mit den entsprechenden Daten füttern.

Chemiker brauchen sich im Übrigen nicht zu fürchten, dass sie dereinst von Computern ersetzt werden. Wenn man bei der Wirkstoffentwicklung weiterhin Fortschritte machen möchte, wird es in Zukunft tatsächlich nicht weniger, sondern mehr Medizinalchemiker brauchen. Der Einzug von KI in die Chemie wird jedoch die Arbeitsweise und das Aufgabenspektrum von Chemikern weiter verändern, so wie sich die Laborumgebung bereits in den letzten Jahren verändert hat durch den Einzug von Software und Laborrobotik, dank der heute chemische Eigenschaften mit hoher Genauigkeit viel schneller vorhergesagt werden können als in einem nicht-automatisierten klassischen Labor.

Automatisierung des Erkenntnisgewinns

Diese Automatisierung könnte noch weitergehen. In drei bis fünf Jahren könnte es soweit sein, dass Computer mithilfe von Robotik autonom und produktiv Experimente durchführen. An einigen Orten, wie an der ETH Zürich sowie in der Industrie, wird dies bereits getestet.

Von der KI ist zu erwarten, dass sie die Wirkung chemischer Substanzen schon in einem früheren Entwicklungsstadium besser voraussagen und neue Substanzen mit gewünschten Eigenschaften vorschlagen kann. Es kann daher spekuliert werden, dass weniger Substanzen getestet werden müssen, die sich bei den Tests als unwirksam herausstellen werden.

Auf lange Sicht kann die KI die Tür öffnen zu einer wirksameren und zugänglicheren personalisierten Medizin. Es braucht dazu nicht nur Investitionen in diesen Bereich, sondern auch ein neues interdisziplinäres Denken von Experten aus den Bereichen KI, Chemie, Pharma und Biotech.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei der ETH Zürich.

Machen Menschen eigentlich die gleichen Fehler wie KI? Diese Frage hat sich die Johns Hopkins Universität gestellt und getestet, ob Menschen sich bei einer Auswahl gleich wie Maschinen entscheiden. Zu welchen Ergebnissen die Forscher gelangten lesen Sie hier.

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