Valérie Vuillerat im Interview

Die neue CEO von Nine über ihre Pläne fürs Cloud-Geschäft

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Sie ist die neue starke Frau bei Nine. Als CEO will Valérie Vuillerat das Unternehmen neu positionieren und von einem technologiegetriebenen Unternehmen zu einer Experience Driven Company machen. Was sie genau vorhat, erklärt sie im Gespräch.

Valérie Vuillerat, CEO bei Nine. (Source: zVg)
Valérie Vuillerat, CEO bei Nine. (Source: zVg)

Sie sind seit Mai 2020 Mitglied im Verwaltungsrat von Nine und seit November deren CEO. Wie ist es Ihnen in den ersten Monaten in der neuen Funktion ergangen?

Valérie Vuillerat: Die Zeit ist sehr schnell vergangen und die neuen Herausforderungen machen mir grossen Spass. Ich fühle mich ein bisschen wie auf einer Entdeckungsreise. Die Arbeit ist sehr vielseitig, aber auch herausfordernd. Ich kann sehr viel lernen. Zugute kommen mir natürlich meine rund 20 Jahre Erfahrung als Unternehmerin und als Geschäftsführerin der Digitalagentur Ginetta. Die Herausforderungen sind aber natürlich andere hier bei Nine und auch das Geschäftsmodell ist ein anderes als das einer Digitalagentur. Aber das ergänzt sich sehr gut. Ginetta entwickelt Applikationen und bei Nine bieten wir den technischen Rahmen für die Entwicklung, den eine App braucht, und das finde ich sehr spannend.

Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?

Nine-Gründer Thomas Hug hat mit meiner Berufung zur CEO ja nicht zuletzt auch die Weichen für seine Nachfolgeregelung und die Neuausrichtung von Nine gestellt. Und ich habe eine Vision für das Unternehmen. Das reizt mich und motiviert mich an der neuen Herausforderung. Auch haben wir im Verwaltungsrat erkannt, dass sich das Unternehmen am Anfang einer Transformation befindet und der Kundenfokus zu wenig ausgeprägt ist. Im Verwaltungsrat sind wir nun dabei, die neue Strategie im Detail auszuarbeiten, die Nine braucht, um das Unternehmen für die Zukunft zu positionieren. Wir werden stark auf die Entwicklung neuer Cloud-Angebote fokussieren und eine Selfservice-Plattform für die Kunden aufbauen.

Was werden Sie anders machen als die beziehungsweise der Firmengründer?

Das Unternehmen steht heute an einem ganz anderen Ort als bei der Gründung oder als vor ein paar Jahren. Früher war Nine eine rare Anbieterin von Infrastrukturlösungen im Hostingbereich. Betrieb und Hardware standen im Vordergrund. Heute stehen wir vor anderen Herausforderungen. Es gibt viel Konkurrenz – grosse und kleine Unternehmen, die etwas Ähnliches machen. Die Differenzierung über die Technologie ist schwieriger geworden. Gleichzeitig ist die Nachfrage von Unternehmen nach Cloud-Angeboten stark gestiegen und wird weiter steigen. Das wollen wir nicht verpassen. Aber wir wollen uns auch von den anderen unterscheiden und befinden uns deshalb mitten in der Transformation von einer Betriebs- in eine Entwicklungsfirma. Statt dass wir uns auf den Betrieb und die Hardware konzentrieren, will ich mich mit meinem Team auf Automatisierung, Kundenorientierung und damit auf das Kundenerlebnis konzentrieren. Meine Vision ist es, die Kunden und deren Bedürfnisse in den Fokus zu stellen, denn der Kundenfokus wird künftig unser Wachstums- und Erfolgstreiber sein.

Welche neuen Angebote werden Sie für Kunden schnüren?

Ein wichtiges Thema ist die Kostentransparenz mit Pay-as-you-go-Cloud-Angeboten. Damit wird es für die Kunden einfach, ihren "Cloud-Verbrauch" exakt und minutengenau abzurechnen. Ein konkretes neues Produkt ab Q2 ist, dass wir unseren Kunden Object Storage über eine S3-Schnittstelle mit Standort Schweiz anbieten werden. Das wird unsere Kunden bei der Transformation in die Cloud mittels eines hochverfügbaren Datenclusters unterstützen. Dieses Produkt werden wir im Pay-as-you-go-Modell anbieten und der Kunde kann seinen Bedarf und Verbrauch über ein eigenes Cockpit aktiv steuern, das wir zur Verfügung stellen. So kann er seine Kosten beeinflussen und sieht nicht erst auf der Monatsrechnung, was er an Services bezogen hat. Ab Q3 werden wir dann auch Kubernetes aus unserer Cloud on Premise in der Schweiz als verwaltete Container-Plattform anbieten. Auch spüren wir, dass sich viele unserer Kundinnen und Kunden auch eine Entwicklerin oder einen Entwickler auf Abruf wünschen. Damit möchten sie Expertise für Migrationen/Architektur und auch zum Betrieb in der eigenen technischen Abteilung aufbauen. Dafür werden wir das Beratungsangebot mit Workshops stark ausbauen.

Wie Sie beim Stellenantritt sagten, möchten Sie Nine von einem "technikgetriebenen" Unternehmen in eine "Experience-driven-Company" transformieren. Was heisst das konkret?

Wie bereits erwähnt ist die Differenzierung gegenüber dem Mitbewerb durch Technologie und Produkte schwieriger geworden. Bleibt die Differenzierung über den Preis – aber das ist schwierig und das möchte ich auch nicht. Also muss die Differenzierung vor allem über den Service stattfinden. Wir wollen den Kundinnen und Kunden das Leben einfacher machen, und sie sollen eine nachhaltige Erfahrung bei uns machen, die einen Mehrwert generiert. Hier gibt es viel Potenzial bezüglich Produktentwicklung und der Interaktion mit unseren Kundinnen und Kunden. Das bedeutet, dass wir sie in den Mittelpunkt stellen und Entscheidungen bezüglich neuer Angebote anhand ihrer Bedürfnisse fällen. Das erfordert, dass wir unsere Hausaufgaben bezüglich Kundenbedürfnis-Analyse regelmässig erledigen, aber auch die Organisation als solches umzubauen. Dafür haben wir etwa bereits ein Customer-Success-Team gegründet, in das auch der Service Desk integriert wurde, mit dem Ziel, die Customer Journeys neu zu gestalten und zu implementieren.

Wie ist das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm angelaufen, das Gründer Thomas Hug angekündigt hat?

Das Programm ist gut gestartet und läuft nach Plan. Wir haben bereits einige Mitarbeitende als Aktionärinnen und Aktionäre über alle Stufen gewinnen können. Auch ich und der ganze Verwaltungsrat und GL-Mitglieder haben investiert. Wir freuen uns auch schon auf die nächste Generalversammlung, wo wir die neuen Aktionärinnen und Aktionäre begrüssen werden. Es ist für mich auch ein Vertrauensbeweis, dass unterschiedlichste Mitarbeitende Aktien des Unternehmens gekauft haben.

Welche Trends erkennen Sie im Markt und wie möchten Sie darauf reagieren?

Die Kundinnen und Kunden möchten selbstständig und unabhängig und nach Bedarf agieren können. So wie wir heute Applikationen beziehen, als Software-as-a-Service, wollen heute Kundinnen und Kunden Plattformen beziehen. Unser Ziel ist es, die Benutzerinnen und Benutzer mit einem zentralen Cockpit zu befähigen, in dem sie selbst Produkte beziehen können sowie das Down- und Upgraden möglich wird. Damit zusammen hängen natürlich auch Pay-as-you-go-Modelle, automatische Verrechnung etc., was unsererseits einen starken Fokus auf Automatisierung erfordert. Für viele unserer Kundinnen und Kunden sind auch Swissness und Security wichtige Themen.

Wie schätzen Sie den Einfluss von Corona auf die ICT-Branche im Allgemeinen und auf Provider von Managed-Cloud- und Container-Lösungen, zu denen sich Nine zählt, im Speziellen ein?

Die Pandemie dient als Katalysator für eine Entwicklung, die wir seit Jahren beobachten – also den Gang in die Cloud, Container-Lösungen, hybride Arbeitsformen, agile Organisation etc. Für uns ändert sich vom Fokus her wenig, dafür erhöht sich die Intensität, mit der wir nun agieren.

Wie ist Nine durch das Corona-Jahr 2020 gekommen?

Wir sind recht stabil durch das Jahr 2020 gekommen. Im März 2020, beim ersten Lockdown, erlitten wir einen Umsatzeinbruch, weil insbesondere KMUs weniger Leistungen von uns bezogen haben. Aber sonst hat die Digitalisierung weiter Fahrt aufgenommen, der E-Commerce hat stark zugelegt und davon haben wir profitiert. Als grössere Herausforderung sehen wir, gerade auch was die mentale Gesundheit angeht, die Belastung der Mitarbeitenden im Homeoffice. Sie versuchen wir nach Kräften zu unterstützen, insbesondere auch durch kleine Aufmerksamkeiten, Online-Kaffeepausen, Online-Apéros, Challenges, Gymnastik und Päckli, die wir ihnen nach Hause senden. Wir werden aber auch nach Corona die Zusammenarbeit auf hybride Arbeitsweise umstellen und haben unsere Büros entsprechend umgestaltet.

Welche Erwartungen haben Sie an den Geschäftsgang 2021?

Die Vergangenheit sowie die Gegenwart beschäftigen uns noch immer sehr stark und werden uns weiterhin beschäftigen. Grund dafür sind unsere vielen Produkte, die pflegeintensiv sind. Mit dem Fokus auf Selfservice und dem Customer Enablement wollen wir operative Tätigkeiten, vor allem im Service Delivery, reduzieren. Die damit gewonnene Zeit wollen wir primär in die Kundenpflege und die Weiterentwicklung unseres Produktportfolios investieren: weniger manuelle Interaktionen und mehr Kompetenz auf Kundenseite aufbauen, lautet das Motto. Von daher schaue ich unserem Geschäftsgang positiv und gespannt entgegen und bin sicher, dass wir gemeinsam mit allen Mitarbeitenden von Nine einiges bewegen werden dieses Jahr. Die Krise ist auch noch nicht vorbei. Corona wird zwar dereinst hinter uns liegen, aber viele Veränderungen werden bleiben und darauf müssen wir uns einstellen. Ein wichtiges Ziel für mich ist, dass wir mit einem stabilen Geschäftsgang gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Welche Prognose geben Sie für das ICT-Jahr 2021 ab?

Ich glaube, wir sind in Bezug auf die Digitalisierung nach wie vor in der Wachstumsphase. Corona hat das beschleunigt. Das wird dazu führen, dass auch die Einführung von Multi-Clouds weitergehen wird. Dabei werden sich Unternehmen vor allem auf Cloud-agnostische Lösungen stützen. Nutzer müssen überall und jederzeit auf kritische Anwendungen und Dienste zugreifen können. Dies bedeutet, dass Unternehmen multiple Clouds an mehreren Standorten bereitstellen müssen, da dies Ausfallraten verringert und Zugriffsverzögerungen für Belegschaften in Fernarbeit und Homeoffice reduziert. Auch wird die Automatisierung weitergehen und durch Standardisierung beschleunigt. Mit dem Homeoffice hat sich die Anfälligkeit jedes in einem Netzwerk verwendeten Geräts erhöht. Hier sind Lösungen gefragt; denn der Trend geht weiter in Richtung hybride Arbeitskulturen. Deshalb ist auch Security ein sehr wichtiges Thema, das Unternehmen nun nicht mehr auf die lange Bank schieben können. Einen weiteren Trend sehen wir bei der Verdichtung der Systeme. So wird die horizontale Skalierung mit Hyperconverged Infrastructure weiter zunehmen. Überdies wird die Digitalisierung auch in bislang eher gemächlichen Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung einen höheren Stellenwert einnehmen. Das bietet weiteres Potenzial für Nine. Nicht zuletzt dürften Fintech und Crypto weiteren Auftrieb erhalten. Die Digitalisierung des Finanzflusses insbesondere auf Kundenseite wird weiter zunehmen, weil die Akzeptanz digitaler Zahlungsmittel durch die Pandemie zugelegt hat.

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DPF8_211389