"Mr. E-Gov" Peppino Giarritta im Interview

"Der Föderalismus gehört zur Schweiz wie Bäume in einen Wald"

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Eine Herkulesaufgabe hat der neue Beauftragte Digitale Verwaltung Schweiz zu bewältigen. Er verantwortet nichts Geringeres als die strategische Weiterentwicklung von E-Government sowie des Zusammenspiels der digitalen Transformation der Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Mr. E-Gov Peppino Giarritta erklärt, wie das gelingen soll.

(Source: © Christian Hoefliger - Switzerland)
(Source: © Christian Hoefliger - Switzerland)

Warum braucht es an der Spitze der Digitalen Verwaltung Schweiz einen Kernphysiker?

Peppino Giarritta: Ich war Teilchenphysiker am Cern in Genf. Dort habe ich hautnah die Geburt des World Wide Web miterlebt, habe in grossen Datensätzen nach verborgenen Teilchen gesucht und in einer vielseitigen Forscher-Community gearbeitet. Das hat mich sehr geprägt. Organisationsfragen haben mich schon damals interessiert. So bin über die Beratung und nach einem Nachdiplomstudium als Wirtschaftsingenieur zur öffentlichen Verwaltung gekommen. Die Digitale Verwaltung Schweiz braucht auch einen Blick für das Grosse und Ganze, die Übersicht über komplexe Strukturen und die Offenheit für Neues. Entscheidend ist aber sicherlich die Berufserfahrung in der öffentlichen Verwaltung.

Die Anforderungen laut Ihrer Stellenbeschreibung, die das EFD vor rund einem Jahr publiziert hat, klingen nach einer Herkulesaufgabe. Wie wollen Sie das alles bewältigen?

Meine Aufgaben sind in der Tat herausfordernd und vielfältig. Als Beauftragter für die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) gebe ich Impulse und vertrete die DVS nach aussen. Ich werde dabei von einer Geschäftsstelle mit engagierten Mitarbeitenden unterstützt. Ein Grossteil der Arbeiten wird aber durch die zahlreichen Fachpersonen von Bund, Kantonen und Gemeinden ausgeführt, die ebenfalls intensiv am Aufbau der digitalen Verwaltung mitarbeiten.

Was ist der Unterschied zwischen einem "Delegierten" und einem "Beauftragten"? Ich spreche die unterschiedlichen Bezeichnungen etwa von Ihnen als "Beauftragtem" von Bund und Kantonen und Daniel Markwalder als "Delegiertem" des Bundesrates an ...

Daniel Markwalder leitet den Bereich Digitale Transformation und IKT-Lenkung bei der Bundeskanzlei. Seine Aufgabe ist unter anderem, verwaltungsintern sicherzustellen, dass Geschäftsprozesse, Datenmodelle und Informatikmittel innerhalb des Bundes aufeinander abgestimmt sind. Der Bundesrat berief ihn auf diese Position. Ich hingegen wurde gemeinsam vom Bundesrat und von der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) zum Beauftragten von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz ernannt. In dieser Funktion geht es um die Koordination und Steuerung der digitalen Transformation über alle föderalen Staatsebenen. Wir haben also nicht nur andere Bezeichnungen, sondern auch verschiedene Aufgaben und Rollen.

Wie ergänzen sich Ihre Aufgaben und diejenigen des Delegierten DTI, Daniel Markwalder?

Daniel Markwalder und ich stehen in regelmässigem Austausch. Wir sitzen auch gegenseitig in Entscheidungsgremien unserer Bereiche ein. Während er eine Querschnittsaufgabe innerhalb der Bundesverwaltung wahrnimmt, liegt mein Fokus auf dem Abgleich zwischen den Staatsebenen. Gerade beim Aufbau von Basisdiensten und Infrastrukturen für die Abwicklung von elektronischen Prozessen ergänzen wir uns und können nur gemeinsam etwas erreichen.

Sie kommen vom Kanton Zürich und haben dort in der Staatskanzlei vergleichbare Strukturen aufgebaut, wie sie nun auch national zum Tragen kommen sollen. Worin bestehen die Tücken Ihrer neuen Aufgaben im Vergleich zu jenen beim Kanton?

Im Kanton Zürich ging es um die Zusammenarbeit mit den 162 politischen Gemeinden im Bereich der digitalen Transformation. Ich und mein damaliges Team haben dazu die Zusammen­arbeitsorganisation "egovpartner" aufgebaut und Projekte umgesetzt. Namentlich sind die Vorhaben "eUmzug" und "eBaubewilligungen" aus dieser Zusammenarbeit hervorgegangen. Neu sind es jetzt alle drei Staatsebenen über vier Sprachregionen, 26 heterogene Kantone mit rund 2200 Gemeinden und Städten, die einbezogen werden müssen.

Die Zusammenführung von E-Government Schweiz und der Schweizerischen Informatikkonferenz in die neue Organisation Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) ist Kern der aktuellen Digitalisierungsstrategie des Bundes. Wie geht es mit der Integration voran?

Die Transition der zwei Organisationen in die DVS ist das gemeinsame Ziel von Bund und Kantonen und sie ist in vollem Gange. E Government Schweiz wird per Ende 2021 aufgelöst und deren Aufgaben gehen vollständig in der DVS auf. Die operativen Tätigkeiten der SIK werden ebenfalls Ende 2021 vollständig auf die DVS übertragen und das Fachpersonal der SIK auf diesen Zeitpunkt in die Geschäftsstelle der DVS überführt. Im Sinne einer Übergangslösung wird die SIK als rechtliches Gefäss vorläufig noch aufrechterhalten. Die SIK bleibt Hauptaktionärin der E-Operations Schweiz AG und Vertragspartnerin von Rahmenvereinbarungen mit Lieferanten von IT-Services zugunsten ihrer Mitglieder.

Am 1. Januar 2022 soll es operativ losgehen mit der neuen Organisation und Ihnen im Fahrersitz der Digitalen Verwaltung Schweiz. Was haben Sie seit Ihrem Stellenantritt am 1. März gemacht und welchen Aufgaben widmen Sie sich bis zum Jahreswechsel? Was ist besonders dringend?

Einerseits beschäftigt mich der Aufbau der neuen Organisation, andererseits ging es auch um die Koordination der laufenden Projekte und Tätigkeiten im Rahmen von E-Government-Schweiz und der SIK, die nahtlos in die DVS überführt werden. Das Team, das ich leite, hat die Grundlagen erarbeitet, insbesondere die öffentlich-rechtliche Rahmenvereinbarung über die Digitale Verwaltung Schweiz, die zwischen dem Bundesrat und der KdK bis Ende des Jahres unterzeichnet werden soll. Parallel dazu werden Projekte erhoben, um das Projektportfolio für die Agenda DVS zu entwickeln. Das erfordert viel Abstimmung. Seit meinem Amtsantritt hatte ich zudem zahlreiche Auftritte und Referate, wo ich die neue Zusammenarbeitsorganisation vorstellen durfte.

Welches sind die drängendsten Digitalisierungsprojekte bei Bund und Kantonen?

Zurzeit beschäftigt die Neulancierung des Projekts E-ID, wovon Bund und natürlich die Kantone sowie die Städte und Gemeinden stark betroffen sind. Hier geht es darum, die Aktivitäten über alle Staatsebenen gut zu koordinieren. Die bestehenden Lösungen sollen gut integriert werden. Des Weiteren geht es darum, gemeinsame andere Projekte anzustossen. Erfolgskritisch sind etwa die Festlegung von Standards bei der Bearbeitung von Daten, die Durchgängigkeit von Prozessen und die Bereitstellung von weiteren Basisdiensten.

Bis wann darf die Bevölkerung erste Erfolge aus der neuen Organisationseinheit erwarten?

Ein Datum kann ich Ihnen nicht nennen. Grundsätzlich wollen die Verwaltungen kundenfreundliche Lösungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft bereitstellen. Wir unterstützen die Gemeinwesen dabei. Digitale Kanäle sollen den Zugang zu Behörden und politischen Prozessen vereinfachen. Zudem sollen Angebote auf einfache sowie orts- und zeitunabhängige Weise genutzt werden können.

Auf die Frage, warum die Schweizer Politik in puncto Digitalisierung so vieles versäumt, haben Sie einmal gesagt, der Leidensdruck in der Verwaltung sei zu wenig gross. Heisst das, man sollte den Druck auf die Verwaltung erhöhen, und wenn ja wie?

Die Verwaltung in der Schweiz leistet gute Arbeit, auch das Vertrauen in die Verwaltung ist hoch. Es gab also lange keinen Grund, etwas zu ändern, das bereits gut funktioniert. Die Erwartungen an staatliche Leistungen haben sich aber in den letzten Jahren geändert, und der Digitalisierungsdruck hat nun markant zugenommen. Das wirkt sich erst mit zeitlicher Verzögerung aus. Die Politik spielt hier eine wichtige Rolle.

Ob Digitalisierung ins Rollen kommt, ist auch eine Frage des Budgets. Worin sollte die Schweiz Ihrer Ansicht nach vor allem Geld investieren?

Wie erwähnt, geht es um den Aufbau der Basisdienste, aber auch um den Kompetenzaufbau in der Verwaltung und die Sicherheit der Infrastrukturen. Die Digitale Verwaltung Schweiz fördert Projekte, wo eine staatsebenenübergreifende Zusammenarbeit und Abstimmung erforderlich ist. Mit der Agenda DVS legt sie gemeinsame Schwerpunkte fest. Sie fördert zudem Innovationen mit Skalierungspotenzial. Dies soll zu einem deutlichen Ausbau des Serviceangebots für Bevölkerung und Wirtschaft führen.

Ausser einer Frage des Geldes ist Digitalisierung vor allem eine Frage der Kultur. Inwiefern muss sich die Kultur in der Verwaltung ändern, damit die Digitale Verwaltung Schweiz in Fahrt kommt?

Primär geht es um das "Mindset" für die digitale Transformation. Hierzu gehört die Bereitschaft, Herkömmliches zu hinterfragen, die Nutzenden mit ihren Gewohnheiten, Lebenssituationen und Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen und über die Silos hinweg gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Dazu gehört auch eine Innovations- und Fehlerkultur, also ein offener Umgang mit Fehlern, und die Bereitschaft, aus Erfahrungen und Misserfolgen zu lernen.

Von welchem Land – ausser von den so oft zitierten Estland, Dänemark, Südkorea – könnte die Schweiz in puncto Digitalisierung der Verwaltung beziehungsweise E-Government lernen? Wo haben die Regierungen mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen und wären deshalb gute Vorbilder?

Ich schaue immer gerne nach Österreich, das schon früh eine elektronische Identität eingeführt hat und viele hilfreiche Onlineangebote kennt. Hinsichtlich Föderalismus ist auch Kanada interessant, deren Provinzen über einen hohen Grad an Autonomie verfügen und innovative Wege gehen.

Wie stehen Sie zum Föderalismus: Bremsklotz oder Beschleuniger der Digitalisierung der Verwaltung?

Der Föderalismus gehört zur Schweiz wie Bäume in einen Wald. Der Föderalismus trägt zur Vielfalt unseres Landes bei. Er bedeutet auch Wettbewerb. So ermöglicht er den Kantonen und Gemeinden die Entwicklung von innovativen Angeboten und Lösungen. Beispielsweise wurde die elektronische Umzugsmeldung "eUmzugCH" vom Kanton Zürich initiiert und dann schrittweise von weiteren Kantonen übernommen und in der Schweiz eingeführt. Der Service steht aber eben noch nicht in der ganzen Schweiz zur Verfügung. Auch dies eine Konsequenz des föderalistischen Systems.

Das sind die Aufgaben des Beauftragten DVS Peppino Giarritta

In der neuen Organisation DVS verantwortet und steuert der Beauftragte von Bund und Kantonen die auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene laufenden Arbeiten, leitet das operative Führungsgremium und die Geschäftsstelle, plant Delegiertenversammlungen der beteiligten Gemeinwesen und leitet ständige oder temporäre Arbeitsgruppen und Kommissionen. Er verantwortet die strategische Weiterentwicklung von E-Government sowie des Zusammenspiels der digitalen Transformation der Verwaltungen von Bund, Kantonen und Gemeinden, verfolgt die internationale Entwicklung und pflegt Kontakte mit vergleichbaren Organisationen im Ausland. Ebenso pflegt der Beauftragte für die DVS eine enge Zusammenarbeit mit dem Delegierten des Bundesrats für die Digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI) der Bundesverwaltung.

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