21. Asut-Kolloquium

Mit alten Silos zum neuen Mobilitätssystem

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von René Jaun und kfi

Es ist nicht nur die Digitalisierung, die das Verkehrssystem umkrempelt. Auch die Anforderungen an die Mobilität ändern sich, wie Expertinnen und Experten am 21. Asut-Kolloquium verdeutlichten. Dabei wird immer mehr geteilt und kombiniert.

Asut-Präsident Peter Grütter spricht in der Eröffnungsrunde des 21. Asut-Kolloquiums. (Source: zVg)
Asut-Präsident Peter Grütter spricht in der Eröffnungsrunde des 21. Asut-Kolloquiums. (Source: zVg)

Mit einem selbstkritischen Statement ist am 17. November das 21. Asut-Kolloquium im Kursaal Bern gestartet: "Wir haben auch ein bisschen heisse Luft verbreitet", schilderte Moderatorin Barbara Josef ihren Eindruck beim Durchlesen der Skripte vergangener Veranstaltungen. Dazu warf sie die Fragen in den Raum: "Was bleibt denn wirklich? Was sind nachhaltige Veränderungen?"

Das letzte Asut-Kolloquium hatte noch vor der Pandemie stattgefunden. Die diesjährige Ausgabe, die der Telekom-Verband Asut gemeinsam mit dem Bundesamt für Strassen (Astra), der Mobilitätsplattform "Its-ch" und dem Touring Club Schweiz (TCS) durchführte, stand unter dem Motto: "Ändernde Mobilitätsbedürfnisse – Chancen und Auswirkungen auf das Mobilitätssystem Schweiz". Durch die Gesundheitskrise sei man flexibler geworden, war sich die Eröffnungsrunde aus Asut-Präsident Peter Grütter, TCS-Präsident Peter Goetschi und Astra-Direktor Jürg Röthlisberger einig. Besonders grosse Auswirkungen dürfte Corona auf die Logistik und die Lieferketten gehabt haben, meinte Grütter. Für Götschi zeigte die Krise die Wichtigkeit aller Verkehrsträger. Und Röthlisberger wies auf den Wert der Digitalisierung, aber auch auf das "Negativbild" hin: Man habe auch den Wert der physischen Komponente erkannt.

Die Moderatorin Barbara Josef unterhält sich mit Peter Grütter, Peter Goetschi und Jürg Röthlisberger. (v.l., Source: zVg)

Schneller liefern, weniger besitzen

In vielen Referaten wurde Corona, wenn auch nur kurz, erwähnt. Die Pandemie habe bestehende Entwicklungen massiv beschleunigt, sagte etwa Dominique Locher, der einst Leshop gegründet hatte. Aktuell engagiert er sich unter anderem im Start-up Jiffy, welches bestellte Lebensmittel binnen weniger Minuten an die Kundschaft ausliefert. Dazu betreibt das Unternehmen eine Vielzahl kleiner Warenlager, von denen aus die Lieferungen erfolgen. Künftig werde der Online-Grosseinkauf an Popularität verlieren, prognostizierte Locher. Boomen dürften jene Dienste, die "einen mittleren Einkaufskorb" in zwei Stunden nach Hause liefern, sowie Fahrradkouriere, die die wichtigsten Produkte sogar in 10 Minuten vorbeibringen. Das Geschäft werde damit nicht nur schneller, sondern auch nachhaltiger, erklärte er weiter: Denn dank vieler kleiner Verteil-Hubs seien weniger schwere Lastwagen unterwegs.

Dominique Blocher prognistiziert eine schnellere und nachhaltigere Zukunft beim Onlineshopping. (Source: zVg)

Ein Plädoyer für smarte Mobilität lieferte Nationalrat Jürg Grossen. Der Präsident der Grünliberalen Partei (GLP) regte an, in Verkehrsfragen nicht mehr in Silos zu denken, sondern im Verkehrsverbund, denn "fast alle von uns sind wahrscheinlich multi-modale Verkehrsnutzer". In der Schweiz werde Innovation jeweils wegreguliert, kritisierte er, und verwies auf Plattformen wie Uber oder booking.com. Die Verkehrsinfrastruktur müsse künftig smarter genutzt werden. "Unsere Strassen und Bahnen sind noch lange nicht ausgelastet", sagte er. Im Hinblick auf eine mögliche Stromknappheit sprach er sich unter anderem für mehr Effizienz aus. Dank Digitalisierung lasse sich der Stromverbrauch reduzieren. "Es ist kein Problem, das abzuholen", ermutigte er, "aber wir müssen es wissen und machen".

Nationalrat Jürg Grossen argumentiert für die smarte Mobilität. (Source: zVg)

In seinem Vortrag erwähnte Grossen auch den Trend hin zu geteilter Mobilität (shared Mobility). Einige Referentinnen und Referenten gingen hier noch weiter und sprachen von Verkehr im Abo oder Mobility-as-a-Service. Shahid Talib, Director Smart City von Heijmans, stellte dazu die von seinem Unternehmen entworfenen "Mobility Hubs" vor. Dort erhalten Menschen nicht nur Zugang zu ihren gebuchten Fahrzeugen, sondern können auch ihre Einkäufe erledigen und sich zum Kaffee verabreden.

Noch weiter ging dabei Artur Luisoni, Partner und Fachverantwortlicher Mobilitätsberatung bei Rapp Trans. Wer Mobilität auslöse, wolle auch immer ein konkretes Bedürfnis befriedigen. Ein Anbieter könnte künftig spezifisch darauf eingehen, erklärte er. Konkret könnte dies heissen, dass man für den Weihnachtsbesuch bei den Eltern nicht mehr nur ein Auto bucht, sondern auch die Geschenke über den Anbieter reserviert, der sie dann fertig verpackt im Wagen deponiert.

Artur Luisoni zeichnet ein mögliches Bild von künftigen Mobilitätsangeboten. (Source: zVg)

Mit voller Digitalisierungskraft voraus

Was wäre, wenn Digitalisierung kein neuer Trend, sondern von Anfang an gegeben wäre? Diese Frage beantworteten zwei Vorträge. Thomas Landis, Head Corporate Development, IT & Innovation bei Andermatt Swiss Alps, schilderte die Planung des Touristenortes im Kanton Uri, der vom ägyptischen Investor Samih Sawiris finanziert wird. Gemeinsam mit Zukunftsforschenden habe man zu Beginn mögliche Opportunitäten identifiziert. So beobachte man etwa die Entwicklung der Flugtaxis sehr genau, führte er aus. Würden solche eingeführt, hätte dies auch Auswirkungen auf den Radius der Kundschaft: "Andermatt ist plötzlich attraktiv für die, die in Zürich arbeiten". Bereits jetzt rollt "Mybuxi" durch das dorf, eine Art Rufbus, den Nutzerinnen und Nutzer per App bestellen können. Damit schaffe man eine einfache Möglichkeit, schnell von A nach B zu kommen.

Thomas Landis sagt, man beobachte Mobilitätsentwicklungen - etwa von Flugtaxis - sehr genau. (Source: zVg)

Man wolle "die Daten richtig auslesen und die IT enablen", führte Landis weiter aus. In der Fragerunde räumte er aber auch ein, dass man aktuell noch keine IoT-Lösungen im Einsatz habe, um Daten zu sammeln – hier müsse man eine skalierbare Lösung finden.

E-ID-Erfahrung seit 2002

Einen Auftritt hatte auch Anett Numa, Digital Transformation Adviser vom e-Estonia Briefing Centre. Alles in Estland sei Tech-basiert, startete sie ihren Vortrag. Das Land selber sei seit 30 Jahren unabhängig, und bereits vor 27 Jahren habe es die Digitalisierung in Angriff genommen. Die E-ID, eingeführt im Jahr 2002, sei obligatorisch, werde von 98 Prozent der Bevölkerung genutzt und sei weit mehr als eine einfache Identität. Man könne sie etwa bei Bankgeschäften, auf Reisen und als Treuekarte nutzen, erklärte Numa. Für die Sicherheit der Daten setze Estland auf die Blockchain. Dieselbe Technologie nutzt übrigens auch der Kanton Jura, wie Sie hier lesen können.

Besonders hob Numa auch das persönliche Logbuch hervor, in welchem jede Bürgerin und jeder Bürger erfahren kann, wann welche Organisation welche persönlichen Daten abgerufen habe. "Sie müssen Transparenz bieten, wenn Sie wollen, dass Leute die Produkte nutzen. Wir sind transparent mit unseren Daten, darum mag ich Estland so sehr", kommentierte Numa.

Anett Numa erklärt, dass wie die E-ID in Estland erfolgreich funktioniert. (Source: zVg)

Auch im Bereich der Mobilität setzt Estland auf Technologie. Laut Numa sind dort bereits erste autonome Busse Teil des öffentlichen Verkehrssystems, und manchmal werde die Pizza von einem Roboter ausgeliefert. Ausführlicher stellte sie eine smarte Strassenkreuzung vor. Diese misst die Geschwindigkeit sich nähernder Fahrzeuge und signalisiert den wartenden Fussgängerinnen und Fussgängern mit zusätzlichen Warnlichtern, wenn eine Überquerung zu gefährlich sein könnte. Dank Sensoren und Kameras könne die smarte Kreuzung auch Unfälle erkennen und die Rettungskräfte automatisch benachrichtigen. Die Kamerabilder dienten schliesslich der Polizei bei den Unfallermittlungen.

Nichts ohne Vertrauen

Gefragt, inwiefern sich die estnische Überwachungslösung von einer chinesischen unterscheide, argumentierte Numa mit der dezentralen Datenspeicherung: "Es gibt keine zentrale Regierungsinstitution, die alles speichert", erklärte sie. "Es ist nicht möglich, dass irgendwer zufällig Momente einfängt, Leute verfolgt und bewertet."

In ihrem Referat wies sie mehrmals auf die Wichtigkeit vertrauensbildender Kommunikation hin: "Die Einwohnerinnen und Einwohner müssen wissen, wie Technologie eingesetzt wird." Angesprochen auf die abgelehnte Schweizer E-ID antwortete sie ähnlich: Man hätte ein anderes Resultat, hätte man seinerzeit klarer kommuniziert.

Das Schlusswort hatte Ulrich Seewer, Co-Präsident von "Its-ch" und Vizedirektor des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE). Es sei wichtig, dass Menschen und Disziplinen zusammenkommen, fasste er seine Eindrücke zusammen, und lobte "gute, eindrückliche Beispiele, an denen wir weiterarbeiten müssen". Offen bleibe die Frage, wie man technische Innovation zu den Menschen bringen könne. Diese nutzten heutzutage zwar Handys und Apps ganz selbstverständlich, äusserten aber dennoch Ängste vor neuen Technologien. Diesen Ängsten sei mit mehr Transparenz zu begegnen, regte Seewer an.

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