Lukas Wirth im Interview

Wie Coop mit KI, ERP-Wechsel und IT-Outsourcing umgeht

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Seit März 2021 ist Lukas Wirth für die IT des Detailhändlers Coop verantwortlich. Dort stand unlängst die Migration in das ERP-System S4-Hana an. Im Interview verrät er, wie dieser Schritt gelang, welche Projekte aktuell anstehen und wo Coop künstliche Intelligenz einsetzt.

Lukas Wirth, IT-Leiter, Coop. (Source: zVg)
Lukas Wirth, IT-Leiter, Coop. (Source: zVg)

Am Donnerstagnachmittag, 9. Juni, hat bei Coop während mehrerer Stunden fast nichts mehr funktioniert: Die Website war down, Kartenzahlungen schlugen schweizweit fehl, diverse Telefone funktionierten nicht mehr und auch der E-Mail-Verkehr war gestört. Was war da los?

Lukas Wirth: Das ist so und hat uns einen Moment beschäftigt. Wir hatten eine Störung in unserer Netzwerk­infrastruktur im Rechenzentrum.

Mit welchen Massnahmen reagierten Sie auf diesen Ausfall?

Wir haben unverzüglich eine Taskforce mit Vertretern aller Bereiche aus IT und Business einberufen. Gemeinsam analysierten wir die Ursachen, suchten Lösungen und prüften parallel Massnahmen, um die Störung zu beheben. Die genauen Ursachen werden bei uns – wie bei jeder Störung – mittels Root Cause Analysis dokumentiert.

Vor ziemlich genau sechs Jahren, am 1. Mai 2016, holte Coop die IT mit der neuen Direktion IT/Produktion/Services in die Geschäftsleitung. Wie hat sich dies auf die IT und auf das Business von Coop ausgewirkt?

Es ist sehr hilfreich, dass die IT in der Geschäftsleitung vertreten ist. Mit der zunehmenden Digitalisierung und steigender Relevanz der IT-Sicherheit gelangen viel mehr IT-Themen in die Geschäftsleitung als früher und werden dort kompetent vertreten.

Welches IT-Thema steht gerade zuoberst auf der Agenda der Geschäftsleitung?

Bei Coop betreuen wir ein breites Projektportfolio mit über 200 Projekten pro Jahr. Dabei gibt es kein Projekt, das über allen anderen steht. Es gibt jedoch einige grössere Projekte sowie ständige Themen wie die IT-Security, die wir periodisch der Geschäftsleitung rapportieren.

Wie hält es Coop bezüglich IT-Auslagerung? Wo setzen Sie auf Outsourcing und warum?

Wir arbeiten eng mit wichtigen Partnern zusammen, bei einigen nutzen wir auch Ressourcen im Nearshore-Umfeld. Dadurch können wir primär flexibel sein und eine Skalierung im Bereich der Entwicklung erreichen.

Sie wiederum traten Ihre Stelle als IT-Leiter von Coop vor etwas mehr als einem Jahr, im März 2021, an. Was wollen Sie in den kommenden drei Jahren erreichen?

Im Vordergrund stehen die zentralen Ziele: eine stabile IT gewährleisten und Projekte erfolgreich, termingerecht und budgetkonform umsetzen. Technisch gehen wir noch stärker in Richtung Cloud, und die Bedeutung der IT-Sicherheit steigt ständig. Zudem gilt es, die Planungssicherheit und die Flexibilität der IT von Coop noch besser auszubalancieren. Die Coronakrise hat uns gezeigt, wie schnell sich Dinge ändern können. Unsere IT hat die Krise bis heute bestens gemeistert. In den nächsten Jahren wird der Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der IT weiter steigen, da ist aktuell keine Trendwende sichtbar. Auch die Coop-Gruppe hat noch viel Potenzial, weitere Prozesse stärker mit IT zu unterstützen, das wird uns weiterhin stark fordern. Wir wollen deshalb die passenden Leute an der passenden Stelle an uns binden.

Wie verhindern Sie, dass Ihnen der Fachkräftemangel da keinen Strich durch die Rechnung macht?

Als attraktiver Arbeitgeber im Arbeitsmarkt präsent zu sein, ist heute zentral. Wir bei Coop werden hierzu weitere Anstrengungen unternehmen, um als Detailhändlerin noch besser als interessanter Arbeitgeber für Spezialistinnen und Spezialisten der IT wahrgenommen zu werden.

Welches Projekt bereitete Ihnen in Ihrem ersten Jahr am meisten Kopfzerbrechen?

Kein Kopfzerbrechen, aber grossen Respekt habe ich vor unvorhergesehenen Nebeneffekten in grossen Projekten wie beispielsweise der Cloud-Migration unseres zentralen Retail-Systems oder der Integration von Jumbo in die Coop-Gruppe.

Und was hat Ihnen am meisten Freude bereitet?

Die grosse Vielfalt von Coop zu entdecken. Ich hatte eine intensive Einführungsphase, in der ich miterleben durfte, was hierfür im Hintergrund an Leistungen erbracht werden. Hinzu kommen viele Bereiche, die man nicht sofort mit Coop in Verbindung bringt, wie unsere Produktionsbetriebe oder Fitness-Studios.

Vor Ihrem Wechsel arbeiteten Sie als Head of IT bei der Fluggesellschaft Swiss. Was kann Coop IT-technisch von der Swiss lernen?

Das Geschäftsmodell, aber auch die Prozesse einer Airline unterscheiden sich zu stark von denen einer Detailhändlerin, um Learnings abzuleiten. Gerne drehe ich die Frage um: Was sind die Gemeinsamkeiten? Coop und Swiss sind Unternehmen mit hohen Kundenfrequenzen. Jeden Tag beziehen enorm viele Menschen den Service dieser effizienzgesteuerten Firmen. Bei beiden spielt die Logistik eine grosse Rolle. So müssen bei Coop pünktlich die Läden beliefert, bei der Swiss die Flieger beladen ­werden.

Sie arbeiten aktuell an der Umstellung auf das ERP-System S/4 Hana. Wie packt ein Grossunternehmen wie Coop diese Umstellung an?

Wir haben die Umstellung über das Osterwochenende erfolgreich umgesetzt. Gestartet wurde das Projekt bereits vor meinem Eintritt bei Coop. Wir haben uns für den Bluefield-Ansatz entschieden, der eine gute Mischung zwischen komplettem Neuaufbau und der Migration von Bestehendem bietet. Schlüssel zum Erfolg war ein multidisziplinäres, motiviertes und erfahrenes Projekt-Team, das diese herausfordernde Migration bis ins letzte Detail durchgeplant hat.

Was geben Sie anderen Unternehmen auf den Weg, welche die S/4-Hana-Umstellung noch vor sich haben?

Vier Punkte sind meiner Ansicht nach von Bedeutung: In Ruhe den richtigen Ansatz wählen, im Vorfeld Zeit für Bereinigungen einplanen, frühzeitig die Parallelentwicklung im alten und neuen System reduzieren und ausserdem testen, testen und nochmals testen.

Sie erwähnten bereits die Integration der Jumbo-Fachmärkte. Was ist dabei IT-technisch die grosse Herausforderung?

Die grössten Herausforderungen sind die Integration aller Verkaufsstellen in das Umfeld von Coop sowie die logistischen Prozesse. Auch die Zusammenführung der E-Shops ist ein sehr herausforderndes Teilprojekt.

Ein anderes aktuelles Projekt ist das Update Ihres Kassensystems. Warum ist dieses Update nötig?

Das bestehende Kassensystem hat seine Lebensdauer erreicht. Mit der Umstellung können wir zudem die Architektur optimieren und neue Funktionen einführen.

Wie lange wird diese Umstellung dauern?

In diesem Jahr beginnt der Rollout für die Supermärkte. Danach stellen wir bis 2025 schrittweise die weiteren ­Formate von Coop um. Diese Zeit braucht es, um die ­Mitarbeitenden in den Verkaufsstellen intensiv bei der Umstellung zu begleiten und weitere Funktionen für die Formate zu entwickeln. Beispielsweise werden bei Christ Uhren & Schmuck künftig Zertifikate für die Schmuckstücke ausgestellt.

Was haben Coop-Kundinnen und -Kunden von der Umstellung?

Sie profitieren von neuen Funktionen und einem noch stabileren Kassensystem auf einer modernen technischen Basis. Aber wie bereits erwähnt, ist die Umstellung vor allem technisch bedingt.

Bei meinen Recherchen fand ich einen Artikel aus einer Coop-Zeitung von 2017. Darin wird beschrieben, wie dereinst die Warenbestellungen mittels künstlicher Intelligenz optimiert werden könnte. So soll die KI Bestellungen etwa abhängig von Wetter, anstehenden Events und weiterer Faktoren selbst anpassen können. Wie weit ist diese Vision fortgeschritten?

Sie berufen sich auf das Sales-Based-Ordering, das wir vor über zehn Jahren eingeführt haben. Seither entwickeln wir die Algorithmen laufend weiter und setzen dabei unter anderem KI ein.

Wie viel KI steckt in den Supermärkten von Coop?

Wir nutzen vor allem Advanced Analytics, beispielsweise um die Sortimente zu optimieren. Tatsächliche KI-Anwendungen wie neuronale Netze kommen seltener zum Einsatz. Wir haben zum Beispiel eine KI-Lösung, um die Bestandsmengen in den Läden zu plausibilisieren.

Andere Ladenketten treiben es mit der Digitalisierung noch weiter und experimentieren mit Läden ohne klassische Kassensysteme. Warum hält sich Coop diesbezüglich zurück?

Wir beobachten und prüfen neue Technologien für die Läden jeweils intensiv und führen neue Lösungen nur dann ein, wenn insgesamt ein deutlicher Kundennutzen gegeben ist. Es ist nicht unser Ziel, hier technologischer First Mover zu sein.

Ebenfalls in der Zeitung las ich von Robotern, die Sie in Ihren ­Warenlagern einsetzen. Werden die Roboter dereinst auch Kundinnen und Kunden bedienen?

Das Potenzial der Robotik ist primär in Produktion und Logistik gegeben. In den Verkaufsstellen setzen wir auf das physische Erleben der Produkte und den menschlichen Kontakt.

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