HSLU-Studie

Generative KI erreicht die Finanzindustrie

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von Joël Orizet und msc

Die Schweizer Finanzbranche entdeckt das Potenzial von ChatGPT & Co. Mehr und mehr Banken und Versicherer setzen bereits KI-Lösungen ein - trotz Datenschutzbedenken. Warum hiesige Finanzunternehmen vorpreschen und auf welche Herausforderungen sie stossen, zeigt eine Studie der HSLU.

(Source: Rymden / stock.adobe.com)
(Source: Rymden / stock.adobe.com)

Künstliche Intelligenz ist in der Unternehmenswelt angekommen - auch in der Schweizer Finanzbranche, wie aus einer Befragung der Hochschule Luzern (HSLU) hervorgeht. Die Hälfte der befragten Finanzunternehmen setzt bereits KI-basierte Dialogsysteme ein. Unter solchen Systemen, in der Finanzbranche häufig als "Conversational AI" bezeichnet, versteht man sowohl Chat- wie auch Voicebots. 

Wer in der Finanzbranche bereits mit solchen Lösungen arbeitet, tut dies besonders häufig im Kundendienst (46 Prozent). Auf Platz zwei der häufigsten Einsatzgebiete folgt das Marketing mit 14 Prozent. Und bei 11 Prozent der Befragten kommen Chat- und Voicebots im internen IT-Helpdesk zum Einsatz. "Finanzunternehmen verfolgen mit solchen Technologien grundsätzlich drei Ziele: bessere Kundenzufriedenheit, Kostensenkung und Effizienzsteigerung", sagt Studienautorin Sophie Hundertmark.

Sophie Hundertmark forscht am Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) der HSLU. (Source: blog.hslu.ch)

Sophie Hundertmark forscht am Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) der HSLU. (Source: blog.hslu.ch)

Bots mit beschränkten Fähigkeiten vs. generative KI

Die meisten eingesetzten Bots haben allerdings nichts mit grossen Sprachmodellen wie GPT zu tun. Sie arbeiten regelbasiert. Das heisst, sie geben nur Antworten auf vordefinierte Fragen. Das wiederum bedeutet: Kann der Bot eine Frage nicht beantworten, ist er auch nicht in der Lage, die Unterhaltung automatisch an einen menschlichen Mitarbeitenden weiterzuleiten. Die Kundschaft ist in solchen Fällen also gezwungen, den Kontakt über einen anderen Kanal zu suchen. 

Im Gegensatz dazu sind smarte, KI-basierte Bots flexibler. Sie können Gespräche nahtlos an menschliche Mitarbeitende weiterleiten, was den Kundenservice verbessern soll. 

Besonders heiss diskutiert wird derzeit das Potenzial von generativer KI wie zum Beispiel ChatGPT. Der Chatbot von OpenAI komme zwar in vielen Büros bereits zur Anwendung, teilt die HSLU mit. Doch kommerzielle Lösungen, die über das manuelle Prompten und Generieren von Inhalten hinausgehen, gebe es bisher nur wenige.

Was Banken und Versicherer mit generativer KI vorhaben

Trotzdem haben Finanzunternehmen klare Vorstellungen für die Zukunft: Fast alle Unternehmen sehen die automatische Beantwortung von E-Mail-Anfragen von Kundinnen und Kunden (81 Prozent) oder den Einsatz in Chatbots (71 Prozent) als möglichen Anwendungsbereich von generativer KI.

62 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass ChatGPT & Co. fürs automatische Erstellen von Blogbeiträgen oder Social-Media-Posts zur Anwendung kommen könnten. Dies in der Hoffnung, dadurch Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerungen erzielen zu können. 

81 Prozent der befragten Finanzunternehmen gehen davon aus, dass man mithilfe von generativer KI den E-Mailverkehr mit Kunden automatisieren kann. (Source: HSLU)
81 Prozent der befragten Finanzunternehmen gehen davon aus, dass man mithilfe von generativer KI den E-Mailverkehr mit Kunden automatisieren kann. (Source: HSLU)

Banken sind zurückhaltender als Versicherer

Was hindert Banken und Versicherer daran, auf Tuchfühlung mit generativer KI zu gehen? Jedenfalls nicht die Moral, denn - so schreibt die HSLU: Ethische Bedenken spielen für die Finanzunternehmen eine untergeordnete Rolle. Eine bremsende Wirkung hätten vielmehr Datenschutzbedenken. Für 72 Prozent der befragten Unternehmen sind ungeklärte Fragen bezüglich des Datenschutzes der grösste Hinderungsgrund, generative KI einzusetzen. Bei Banken sei dies im Vergleich zu Versicherungen noch stärker ausgeprägt. Dementsprechend sei es kaum überraschend, dass Banken beim Einsatz von generativer KI zurückhaltender seien als Versicherungen. 

Ein Grund dafür sind gemäss Co-Studienautor Florian Schreiber die unterschiedlichen Anliegen der Kundschaft: "Während man bei einer Versicherung eher einen Schaden meldet, erkundigt man sich bei der Bank auch nach dem Kontostand." Letzteres sei datenschutztechnisch heikler.

Florian Schreiber, Professor und IFZ Insurance Lead am Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) der HSLU. (Source: hslu.ch)

Florian Schreiber, Professor und IFZ Insurance Lead am Institut für Finanzdienstleistungen (IFZ) der HSLU. (Source: hslu.ch)

Co-Studienautor Nils Hafner zeigt sich allerdings überzeugt davon, dass mehr und mehr Schweizer Finanzunternehmen auf ChatGPT & Co. setzen. "Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, werden Banken und Versicherungen zukünftig im Kundenservice, im Marketing oder Verkauf auf generative KI zurückgreifen, um Kosten zu sparen und Mitarbeitende zu entlasten", lässt sich Hafner in der Mitteilung der HSLU zitieren. 

Nils Hafner, Professor für Kundenmanagement an der Hochschule Luzern Wirtschaft. (Source: hslu.ch)

Nils Hafner, Professor für Kundenmanagement an der Hochschule Luzern Wirtschaft. (Source: hslu.ch)

Über die Studie

Für die Studie "Conversational und Generative AI in Finance" befragte das Institut für Finanzdienstleistungen der HSLU zwischen Mai und Juli 2023 47 Mitarbeitende aus leitenden Positionen in Schweizer Finanzunternehmen. Finanziert wurde die Studie durch den IT-Dienstleister Adnovum und den Chatbot-Anbieter Spitch. Die Ergebnisse stehen online bereit

Übrigens: Im vergangenen März hat Helvetia als erster grosser Versicherer der Schweiz den Einsatz von ChatGPT im Kundendienst angekündigt. Die HSLU begleitet das Projekt. Warum die Helvetia mit ChatGPT experimentiert und was sie sich davon verspricht, erklärt Florian Nägele, Conversational & Marketing Automation Manager von der Helvetia, in seinem Fachbeitrag

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ooCGA4xT