Interview, Karsten Schnake, Skoda

So hat Skoda nach Corona Beschaffungsprobleme in den Griff bekommen

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von Marc Landis und jor

Karsten Schnake, Vorstand Beschaffung von Škoda, erwartet, dass die Automobilindustrie auf Platz 3 der wichtigsten Kunden der Halbleiterindustrie aufsteigen wird. Im Interview sagt der oberste Škoda-Einkäufer auch, wie er seit der Pandemie Computerchips beschafft.

Karsten Schnake, Vorstand Beschaffung, Škoda erwartet, dass die Automobilindustrie auf Platz 3 der wichtigsten Kunden der Halbleiterindustrie aufsteigen wird. (Source: zVg)
Karsten Schnake, Vorstand Beschaffung, Škoda erwartet, dass die Automobilindustrie auf Platz 3 der wichtigsten Kunden der Halbleiterindustrie aufsteigen wird. (Source: zVg)

Sie haben in Ihrem Vortrag hier am Amag-Hauptsitz in Cham wiederholt betont, dass der Weg zur Nachhaltigkeit für Unternehmen kein einfacher und oftmals mit erheblichen Anstrengungen verbunden sei. Sie sprachen von "Schweiss" und der Frage, ob sich der Aufwand langfristig lohne. Wie geht Ihr Unternehmen diesen Weg konkret an und welchen Zeithorizont sehen Sie, um Ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?

Karsten Schnake: Unser Ziel ist es, die CO2-Neutralität unserer Werke in der Tschechischen Republik und in Indien bis 2030 zu erreichen, und wir haben bereits wichtige Schritte in diese Richtung unternommen. Unser tschechisches Werk in Vrchlabí hat dieses Ziel bereits im Jahr 2020 erreicht, und andere Standorte arbeiten kontinuierlich daran, neue Meilensteine bei dieser Mission zu erreichen. So erzeugen wir beispielsweise einen Teil unseres Stroms selbst, und seit 2010 ist der durchschnittliche Produktionsabfall zur Deponierung pro Fahrzeug von 28,3 kg auf Null gesunken. Doch das ist nur die eine Seite. Wenn es um unsere Produkte geht, also die Fahrzeugmodelle selbst, ist der Weg viel komplexer. Ein vollständiger Umbau unserer Produktionsprozesse, von der Lieferkette bis zu den fertigen Produkten, wird noch bis weit in die 2030er-Jahre hineinreichen. Der Lebenszyklus unserer Fahrzeuge beträgt sechs bis sieben Jahre, und wir haben derzeit neun Basismodelle, die jeweils zeitversetzt aktualisiert werden. Bis alle Modelle vollständig auf nachhaltige Lieferketten umgestellt sind, dauert es noch eine Weile - wir sprechen von einem Zeitraum, der bis mindestens 2035 geht.

Es ist nicht neu, dass viele Autohersteller erst durch gesetzliche Vorgaben dazu gebracht werden konnten, auf Nachhaltigkeit umzusteigen. Wie schätzen Sie die Situation ein, wenn diese Vorgaben aufgrund von neuen Zusammensetzungen des EU-Parlaments gelockert würden? Würden Sie Ihre Strategie dann anpassen?

Ich bin überzeugt, dass sich an den langfristigen Zielen nichts ändern wird, unabhängig von möglichen Lockerungen. Die Herausforderung der Nachhaltigkeit ist keine, die nur einzelne Unternehmen oder Regionen betrifft, sondern ein globales Problem. Mit einer Weltbevölkerung von über acht Milliarden Menschen – und noch wachsend – gibt es schlichtweg keine Alternative dazu, Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Länder, die sich wirtschaftlich weiterentwickeln wollen, werden ebenfalls höhere Ansprüche stellen, was den Ressourcenverbrauch betrifft. Wir müssen also global denken und handeln. Auch wenn es in Europa oder anderswo Diskussionen über die Lockerung von Zielen gibt, ist es wichtig, sich klarzumachen, dass die Ressourcenknappheit und der Klimawandel nicht verschwinden werden. Es ist daher kein Ausweg, den bequemeren Weg zu suchen – wer das glaubt, macht sich etwas vor.

Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Frage des Umweltschutzes, sondern auch der sozialen Verantwortung. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lieferkette frei von Kinderarbeit und anderen problematischen Praktiken ist?

Das ist ein grosses Thema für uns, besonders in Hinblick auf das neue europäische Lieferkettengesetz. Wir führen regelmässig Audits bei unseren direkten Lieferanten durch und verlangen entsprechende Nachweise zur Einhaltung der Sozialstandards. Zusätzlich arbeiten wir eng mit Partnern zusammen, um Daten über Cloud-Lösungen zu sammeln und auszuwerten. Aber es reicht nicht, sich nur auf digitale Prozesse zu verlassen – wir setzen auch auf Vor-Ort-Besuche, besonders in sensiblen Bereichen wie dem Bergbau. Hier prüfen wir direkt in den Minen, ob die Arbeitsbedingungen unseren Standards entsprechen. Dabei geht es nicht nur um das Thema Kinderarbeit, sondern auch um allgemeine Arbeitsbedingungen. Wir müssen darauf achten, dass soziale Standards eingehalten werden, egal ob es um Sicherheitsvorkehrungen oder den Umgang mit Mitarbeitern geht.

In der Vergangenheit gab es Kritik daran, dass solche Kontrollen oft ineffektiv sind und mehr Bürokratie als tatsächliche Veränderungen bringen. Wie begegnen Sie dieser Herausforderung?

Das ist eine berechtigte Kritik, und wir sind uns der Problematik bewusst. Die Bürokratie darf nicht Überhand nehmen, sonst leidet die Effektivität. Deshalb arbeiten wir eng mit den Instistutionen zusammen, um sicherzustellen, dass die Anforderungen realistisch und umsetzbar bleiben. Es geht uns darum, sinnvolle Standards zu schaffen, die auch wirklich eingehalten werden können. Gleichzeitig müssen wir aber auch akzeptieren, dass es keine fehlerfreien Prozesse gibt. Selbst mit den besten Absichten werden wir in einem so komplexen System immer wieder auf Herausforderungen stossen. Wichtig ist, dass wir transparent bleiben und ständig daran arbeiten, unsere Systeme zu verbessern.


Sie sprachen auch die wachsende Bedeutung des Dialogs zwischen Industrie und Politik, und nannten als gutes Beispiel den asiatischen Raum. Was können wir in Europa und auch in der Schweiz daraus lernen?

In vielen asiatischen Ländern gibt es einen intensiven Austausch zwischen der öffentlichen Hand und der Industrie. Dieser Dialog basiert auf der Frage, was technologisch umsetzbar ist und wie schnell. Es geht darum, gemeinsam realistische und wirtschaftlich tragfähige Lösungen zu finden, ohne dabei den sozialen Aspekt zu vernachlässigen. In Europa fehlt uns manchmal dieser intensive Austausch. Stattdessen sehen wir oft starre Vorgaben, die nicht ausreichend Rücksicht auf die tatsächliche Umsetzbarkeit nehmen. Dabei sollte das Ziel immer sein, dass sowohl die Unternehmen als auch die Gesellschaft als Ganzes davon profitieren. In Asien hat man erkannt, dass Unternehmen nicht nur dazu da sind, Investoren glücklich zu machen, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Dieser ganzheitliche Ansatz fehlt uns in Europa noch.

Man kann kaum ein Gespräch über Technologie und Lieferketten führen, ohne über KI und IoT zu sprechen. Wie nutzen Sie diese Technologien bei Škoda?

Wir setzen bereits seit 2011 auf datengetriebene Analysen, um unsere Lieferkette abzusichern. Damals haben wir begonnen, strukturierte Unternehmensdaten mit unstrukturierten Internetdaten zu verknüpfen. Beispielsweise können wir weltweit auf Ereignisse wie Brände bei Zulieferern reagieren, indem wir diese Informationen in Echtzeit mit unseren Produktionsdaten abgleichen. KI spielt hier eine immer grössere Rolle, indem sie Prozesse automatisiert und uns wertvolle Zeit verschafft. Zeit ist ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, Risiken in der Lieferkette frühzeitig zu erkennen und Gegenmassnahmen einzuleiten. Darüber hinaus setzen wir auf IoT-Lösungen, wie NFC-Tags an Transportbehältern, um jederzeit den Standort und Zustand wichtiger Komponenten nachverfolgen zu können.

Lassen Sie uns nun einen Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie werfen. Die Pandemie hat weltweit Lieferketten gestört, besonders die Beschaffung von Halbleitern und anderen elektronischen Komponenten war betroffen. Wie hat Ihr Unternehmen darauf reagiert, und welche Massnahmen haben Sie ergriffen, um die Lieferkette zu stabilisieren?

Die Pandemie war in dieser Hinsicht eine harte Lektion. Wir mussten feststellen, dass wir in bestimmten Bereichen zu wenig Transparenz hatten. Die Halbleiterkrise hat uns gezeigt, dass wir unsere Lieferkette besser verstehen und engere Beziehungen zu unseren Zulieferern aufbauen müssen. Früher endete unsere technische Expertise bei unseren direkten Zulieferern, doch die Krise hat uns gezwungen, bis in die Tiefen der Halbleiterproduktion vorzudringen. Seitdem arbeiten wir direkt mit Halbleiterherstellern zusammen, führen regelmässig Gespräche und sichern langfristige Lieferverträge ab. Zudem haben wir begonnen, kritische Komponenten in eigenen Lagern zu halten, ähnlich wie es grosse Elektronikhersteller tun. Dies erlaubt uns, in Krisenzeiten flexibler zu reagieren.

Eng mit der Nachhaltigkeitsstrategie von Škoda verbunden ist die Elektromobilität. Fahrzeuge werden dadurch noch mehr zu Computern auf Rädern, was den Bedarf an Halbleitern und elektronischen Komponenten weiter erhöht. Wie stellen Sie sicher, dass Sie in den kommenden Jahren genügend Komponenten für Ihre neuen Modelle haben?

Die Automobilindustrie war lange Zeit nur ein kleiner Abnehmer für die Halbleiterindustrie, aber das ändert sich nun. Wir erwarten, dass wir in den nächsten fünf Jahren vom fünften auf den dritten Platz der wichtigsten Kunden aufsteigen. Das hat auch die Halbleiterindustrie erkannt, und wir sehen derzeit eine starke Annäherung zwischen beiden Branchen. Wir haben eigene Teams aufgebaut, die sich ausschliesslich mit dem Halbleitermanagement beschäftigen. Zudem haben wir direkte Lieferverträge mit Herstellern abgeschlossen und arbeiten mit spezialisierten Logistikdienstleistern zusammen, um kritische Komponenten zu lagern. Ein wichtiger Schritt war auch, dass viele Mitarbeiter aus der klassischen Automobilzulieferindustrie zur Halbleiterbranche gewechselt sind. Das bringt uns näher zusammen und hilft uns, zukünftige Herausforderungen besser zu bewältigen.

Zum Abschluss: Was sehen Sie als die grössten Risiken für die kommenden Jahre in Bezug auf Ihre Lieferkettensicherheit?

Ich glaube, das grösste Risiko liegt in geopolitischen Spannungen und der möglichen Bildung von Handelsblöcken. Wenn beispielsweise bestimmte Länder den Einsatz von Halbleitern aus bestimmten Regionen vorschreiben oder verbieten, könnte das zu erheblichen Störungen führen. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Wir bauen daher redundante Lieferketten auf und investieren in langfristige Partnerschaften. Gleichzeitig arbeiten wir daran, immer mehr Elektronikkomponenten selbst zu entwickeln und direkt zu beschaffen. Diese Entwicklungen sind für die Automobilindustrie neu, aber wir müssen diesen Weg gehen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

Karsten Schnake ist Vorstand Beschaffung beim Autohersteller Škoda. (Source: zVg)

Karsten Schnake ist Vorstand Beschaffung beim Autohersteller Škoda. (Source: zVg)

Zur Person

Karsten Schnake wurde 1968 in Deutschland geboren und ist Diplom-Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik. Seine berufliche Entwicklung begann 1996 bei der Volkswagen AG als Mitarbeiter der Konzernbeschaffung im Projektmanagement. Von 2004 bis 2006 war Karsten Schnake für die regionale Beschaffung des Volkswagen Konzerns Italien in Verona verantwortlich.

Anschliessend kehrte er zu Volkswagen nach Wolfsburg zurück, wo er bis 2018 in leitender Funktion Erfahrungen in den Bereichen globale Serienkoordination sowie Kapazitäts-, Kosten- und Prozessmanagement sammelte. Von 2017 bis 2018 leitete er die gesamte Konzernbeschaffung Globale Serienkoordination.

Danach wechselte Schnake nach China, wo er als Executive Vice President der Volkswagen Group China für die strategische Beschaffung aller Konzernmarken in der Volksrepublik verantwortlich war.

Seit Juli 2020 ist er Vorstand für Beschaffung bei Škoda Auto a.s. in Mladá Boleslav, Tschechische Republik.

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