Das sagt Bundesrat Guy Parmelin über KI und die wirtschaftliche Lage in der Schweiz
Die Konjunktur hat sich eingetrübt, Handelskonflikte zeichnen sich ab, die geopolitische Lage bleibt unvorhersehbar. In solchen Zeiten ist der Wirtschaftsminister der Schweiz, Bundesrat Guy Parmelin, besonders gefordert. Im Interview spricht er über KI, Regulierung und das Entlastungspaket 27.

Die US-Regierung verhängt immer wieder Strafzölle, die auch Schweizer Unternehmen treffen können. Wie gross ist das Risiko für die exportorientierte Schweizer Wirtschaft im Jahr 2025?
Guy Parmelin: Die seit dem 5. April gültigen 10 Prozent Zölle sind Zusatzzölle zu den bisher geltenden Normalzöllen, die im Durchschnitt über alle Waren rund 2,5 Prozent ausmachen. Dementsprechend ist das bereits eine deutlich höhere Belastung der Schweizer Wirtschaft als früher. Wir hoffen jedoch, die angekündigten Zölle von 31 Prozent für die Schweiz abwenden zu können, und sind diesbezüglich im regen Austausch mit der US-Regierung.
Was unternehmen Sie politisch, um die Interessen der Schweiz in Handelsfragen gegenüber Grossmächten wie den USA zu verteidigen?
Eine Zunahme der handelspolitischen Spannungen ist nicht im Interesse der Schweiz. Daher sind wir mit all unseren Handelspartnern in einem konstruktiven Dialog und möchten mittels neuer Freihandelsabkommen und damit der Erschliessung neuer Märkte und Lieferketten die Abhängigkeiten von einzelnen Grossmächten reduzieren.
Die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz schreiten rasant voran. Welche Chancen sehen Sie konkret für die Schweizer Wirtschaft?
Die Schweiz befindet sich in einer guten Ausgangslage. Sie verfügt über ein dynamisches und wettbewerbsfähiges KI-Ökosystem. Dabei ist auch auf das Bildungssystem zu verweisen. Es eignet sich sehr gut, um die Menschen auf eine erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels durch KI vorzubereiten. Die starke Forschungsleistung im Bereich der KI trägt auch dazu bei, dass rasch die notwendigen Kompetenzen in der Ausbildung erarbeitet werden können und ein Transfer in die Wirtschaft stattfindet. So kann sich die Schweiz als Top-Standort etablieren beziehungsweise behaupten. Der Zuzug diverser global tätiger KI-Firmen insbesondere im Raum Zürich zeugt vom Erfolg des Standorts Schweiz.
Experten warnen andererseits vor erheblichen Risiken durch KI – von Arbeitsplatzverlusten bis zu unfairen Marktbedingungen. Wie beurteilen Sie diese Gefahren für den Standort Schweiz?
Während Digitalisierung und KI gewisse Arbeitstätigkeiten übernehmen oder ersetzen können, werden andere neu geschaffen und sehr viele inhaltlich verändert. Verbesserungspotenzial besteht insbesondere für Routinearbeiten. Einige Berufsbilder werden sich somit weiterentwickeln müssen. Diese Verbesserungen schaffen allerdings auch Raum für Arbeitnehmende, um innovativ zu werden und über den Tellerrand hinauszuschauen. Die Qualifikationsanforderungen verändern sich rasch, und Arbeitnehmende müssen lernen, die neuen Technologien einzusetzen. Hier sollten wir uns nicht von der Furcht lähmen lassen, dass die Technologie gewisse Arbeitsschritte überflüssig macht und die Tätigkeiten verändert. Stattdessen sollten wir erkennen, dass der technologische Fortschritt unseren Wohlstand sichert und ihn sogar weiter steigern kann.
Der Bundesrat plant, frühestens 2026 konkrete Regulierungen für KI auf den Weg zu bringen. Es gibt Unternehmen und Fachleute, die das für zu spät halten. Was sagen Sie dazu?
Bereits heute ist die Anwendung von KI zum grössten Teil rechtlich geregelt. Hier ist unsere technologieneutral ausgestaltete Gesetzgebung von Vorteil, das heisst, die Rechtsnormen sind in der Schweiz in der Regel so formuliert, dass sie neue technologische Entwicklungen quasi «präventiv» abdecken. Diesen technologieneutralen Ansatz verfolgt der Bundesrat auch weiterhin. Die Regulierung im Bereich KI soll sich an drei Zielen orientieren: der Stärkung des Innovationsstandorts Schweiz, der Wahrung des Grundrechtsschutzes inklusive der Wirtschaftsfreiheit sowie der Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in KI. Dieser ausbalancierte Ansatz verhindert auch, dass eine voreilige Regulierung Innovationen abwürgt. Der eingeschlagene Weg zur Übernahme der KI-Konvention des Europarates lässt der Schweiz weiterhin alle Türen offen, um bei Bedarf weitergehende Regulierungen einzuführen.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass die Schweiz beim Thema KI nicht den Anschluss verliert, wenn andere Länder schon heute klare Regeln und Förderprogramme umsetzen?
In der Schweiz ist die Forschungs- und Innovationsförderung zum überwiegenden Teil themenoffen und bottom-up organisiert; das heisst, dass die jeweiligen Akteure zuständig sind, technologische Entwicklungen aufzugreifen, und dass die Förderinstrumente und -mechanismen offen sind für neue Entwicklungen. In den bestehenden Förderinstrumenten kommt der Förderung neuer Technologien dadurch ein grosses Gewicht zu. Zudem sind viele verschiedene Staaten noch in der Ausarbeitung von Regeln für KI. Es zeigt sich, dass solch ein Prozess Zeit benötigt. Auch die Schweiz ist hier auf dem Weg. Wir sind international betrachtet vielleicht keine Pioniere in der KI-Regulierung, aber sicher auch nicht langsamer unterwegs als andere Staaten.
Der Fachkräftemangel in der ICT-Branche bleibt ein Dauerthema. Wo sehen Sie aktuell die grössten Stellschrauben, um mehr qualifizierte Arbeitskräfte ins Land zu holen oder auszubilden?
Die Zusammensetzung der Arbeitsmarkt-Zuwanderung richtet sich nach der Nachfrage der Unternehmen. Die Personenfreizügigkeit mit der EU ermöglicht diese nachfragegetriebene Zuwanderung. Tatsächlich sind viele qualifizierte Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt zugewandert. Sie tragen damit zum technologischen Fortschritt, der Innovationsfähigkeit und dem wachsenden Wohlstand in der Schweiz bei. Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-/EFTA-Staaten ist auf hochqualifizierte Fachkräfte und Spezialistinnen und Spezialisten eingeschränkt. Bestimmend für die kontingentierte Zulassung von Arbeitskräften ist die Nachfrage der Unternehmen, die sie nicht im EU-/EFTA-Raum befriedigen können. Gewisse administrative Erleichterungen bei der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte wurden in Berufen mit ausgeprägtem Fachkräftemangel getroffen. Die Höchstzahlen werden jährlich durch den Bundesrat festgelegt. Natürlich müssen wir auch die bestehenden inländischen Arbeitskräftepotenziale bestmöglich nutzen. Es ist ein laufender Prozess, sich hier noch weiter zu verbessern.
Investitionen in Bildung und Forschung tragen massgeblich zum Wohlstand in der Schweiz bei. Ab 2027 will der Bundesrat über 460 Millionen Franken pro Jahr weniger für Bildung, Forschung und Innovationen ausgeben. Wie sorgen Sie dafür, dass sich diese Sparmassnahme nicht kontraproduktiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz auswirkt?
Die Schweizer Wirtschaft profitiert von guten staatlichen Rahmenbedingungen. Darunter fällt auch ein stabiler Finanzhaushalt. Die Schuldenbremse hat in den letzten 20 Jahren massgeblich zu dieser Stabilität beigetragen. Ab 2027 erwartet der Bund jedoch strukturelle Defizite. Deshalb wurde das «Entlastungspaket 27» initiiert. Ohne dieses Paket müssten andere Massnahmen ergriffen werden. Gerade aufgrund der kurzen Frist würde dies vor allem zu Einsparungen bei den schwach gebundenen Ausgaben führen. Und damit wäre der Bereich Bildung, Forschung und Innovation – mit seinen vorwiegend schwach gebundenen Ausgaben – weitaus stärker betroffen als bei der integralen Umsetzung der in der Vernehmlassungsvorlage vorgesehenen Massnahmen.
Schweizer Start-ups, insbesondere solche aus der Technologiebranche, bekunden immer mehr Mühe mit der Kapitalbeschaffung. Welche Schritte planen Sie, um die Finanzierung von Start-ups und Innovationen zu fördern?
Im Zentrum stehen Verbesserungen der Rahmenbedingungen. So hat der Bundesrat beispielsweise per 1. Januar 2022 zwei Verordnungsänderungen im Bereich der beruflichen Vorsorge in Kraft gesetzt. Damit können Pensionskassen einfacher in innovative und zukunftsträchtige Technologien in der Schweiz investieren. Im Weiteren ist auch die Offenheit der Schweiz gegenüber ausländischen Investitionen für den Wirtschaftsstandort Schweiz von grosser Bedeutung. Sie kann als eigentliches Erfolgsmodell bezeichnet werden. Diese Politik sichert den schweizerischen Unternehmen den Zufluss von Kapital und Wissen und trägt so zur Wertschöpfung sowie zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Gerade in der Scale-up-Phase werden ausländische Geldgeber aktiv gesucht, weil diese bei der Expansion im Ausland möglicherweise mit ihrem Netzwerk hilfreich sind.
Die Interessen der Landwirtschaft sind im Parlament traditionell sehr stark vertreten. Die ICT-Branche hingegen spielt politisch eher eine Nebenrolle. Müsste sich das angesichts des rasanten Fortschreitens der Digitalisierung nicht ändern?
Die Digitalisierung ist für unsere Wirtschaft unumgänglich und notwendig. Ich stelle aber fest, dass viele Parlamentarierinnen und Parlamentarier sehr gut über dieses Thema informiert sind und dass das Parlament zum Beispiel kürzlich das Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) verabschiedet hat. Es unterstützt auch zahlreiche Schlüsselprojekte der Digitalisierung wie Digisanté, E-ID, Dazit (des Bundesamtes für Zoll und Grenzsicherheit BAZG) oder in meinem Departement ASALfutur (Auszahlung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung) oder DigiAgriFoodCH (Digitalisierung des Agrar- und Ernährungssektors). Diese Initiativen haben positive Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft. Es ist wichtig, weiterhin in die Digitalisierung zu investieren, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben. Entgegen dem allgemeinen Bild von der Landwirtschaft wird in diesem Bereich übrigens auch sehr viel zu nützlichen KI-Anwendungen geforscht, wie die jüngste Umfrage des Kompetenznetzwerks Künstliche Intelligenz CNAI zeigt.
In puncto Digitalpolitik hinkt die Schweiz anderen Ländern hinterher. Was halten Sie von der Idee, auf Bundesebene ein Departement für die Digitalisierung einzurichten?
Digitale Transformation betrifft alle Departemente und muss in der jeweiligen Zuständigkeit umgesetzt werden. Eine «künstliche» Ausgliederung des Themas – das eine komplett andere Dimension hat als etwa die dem WBF zugeteilten Dossiers – in ein neues Departement wäre ineffizient und mit grossem Aufwand verbunden.
Viele Wirtschaftsprognosen für 2025 prophezeien eine eher verhaltene Entwicklung. Was stimmt Sie optimistisch, dass die Schweiz wirtschaftlich trotzdem stabil bleibt?
In der Konjunkturprognose des Bundes vom 18. März – die nächste Prognose erfolgt am 16. Juni – war ein unterdurchschnittliches Wachstum der Schweizer Wirtschaft erwartet worden (2025: 1,4 Prozent, 2026: 1,6 Prozent). Ein ergänzendes Negativszenario, das eine generalisierte Einführung von US-Importzöllen illustrierte, zeigte eine deutliche Verlangsamung der Konjunktur und eine Halbierung des Wachstums im Jahr 2026, aber keinen Einbruch der Schweizer Wirtschaft. Mit den Entwicklungen der US-Zollpolitik von Anfang April hat sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich die Konjunktur ungünstiger entwickelt als in der Konjunkturprognose erwartet. Die Konjunkturentwicklung wird insbesondere von der internationalen Zollpolitik und der Konjunkturentwicklung im Ausland abhängen. Die Unsicherheit ist aktuell sehr gross.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welche Massnahme müsste sofort umgesetzt werden, um den Innovationsstandort Schweiz in den nächsten Jahren entscheidend zu stärken?
Ich wünsche mir, dass die Unternehmen in der Schweiz durch eine zurückhaltende Regulierung genügend Raum für Innovation haben.
Zur Person
Bundesrat Guy Parmelin ist Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und seit dem 9. Dezember 2015 Mitglied des Bundesrates. Der am 9. November 1959 geborene Parmelin stammt aus Bursins (VD), ist verheiratet und war von 1985 bis 2015 als Meisterlandwirt und -weinbauer tätig. Politisch engagierte sich Parmelin zunächst als Gemeinderatspräsident von Bursins (1993–1999), danach als SVP-Grossrat im Kanton Waadt (1994–2003) und als Präsident der kantonalen SVP (2000–2004). Von 2003 bis 2015 war er Mitglied des Nationalrates. Zudem war er von 1996 bis 2015 Mitglied des Verwaltungsrates der Unternehmensgruppe der Schweizerischen Agrarwirtschaft (Fenaco), ab 2009 als Vizepräsident, sowie von 2012 bis 2015 Mitglied des Verwaltungsrates der Gebäudeversicherung des Kantons Waadt. Quelle: Admin.ch

Sie wissen, wie’s geht

Was Mitarbeitende wirklich bindet – der psychologische Vertrag

Firmenporträt ensec

Gemeinsam stärker – interne Kultur trifft externe Marktkenntnis

Wie können Schweizer KMUs Tech-Talente anheuern und halten?

"KI ist die Beschleunigerin"

Auslagern, was nicht zum Kerngeschäft gehört

Diese Digitaltunternehmen gestalten die KI-Transformation in der Schweiz

Wenn die Infrastruktur bremst – wie Unternehmen sich selbst ausbremsen
