50 von 70 Websites fallen durch

Schweizer Gemeinde-Websites scheitern an digitaler Barrierefreiheit

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von Dylan Windhaber und cbi

Eine Recherche von Correctiv Schweiz und der Stiftung "Zugang für alle" zeigt: Eine gänzlich barrierefreie Gemeinde-Website gibt es in der Schweiz nicht. Und dies, obwohl sich Schweizer Städte und Gemeinden bereits vor fünf Jahren dazu verpflichtet haben, ihre Websites und Apps barrierefrei zu machen.

(Source: OstapenkoOlena / iStock.com)
(Source: OstapenkoOlena / iStock.com)

Keine einzige Gemeinde-Website in der Schweiz erfüllt die Anforderungen an digitale Barrierefreiheit vollständig. Das zeigt eine Untersuchung von Correctiv Schweiz in Kooperation mit der Stiftung "Zugang für alle". Untersucht wurden dabei 70 Websites von Städten und Gemeinden - 50 davon, also rund 70 Prozent, gelten als nicht barrierefrei, wie es im Bericht heisst. Die restlichen 20 Websites habe man als "teilweise barrierefrei" eingestuft. 

Übersicht des Ergebnisses der Untersuchung der 70 Gemeinewebsites nach "barrierefrei", "teilweise barrierefrei" und "nicht barrierefrei". (Source: Correctiv Schweiz)

Übersicht des Ergebnisses der Untersuchung der 70 Gemeinde-Websites nach "barrierefrei", "teilweise barrierefrei" und "nicht barrierefrei". (Source: Correctiv Schweiz)

Bereits seit 2020 seien Schweizer Städte und Gemeinden jedoch dazu verpflichtet, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Grundlage dafür ist ein Rahmenvertrag des Schweizerischen Städte- und Gemeindeverbands für die E-Government-Zusammenarbeit. Zusätzlich verlange das Behindertengleichstellungsgesetz, dass öffentliche Stellen digitale Barrieren verhindern, verringern oder beseitigen. Die Stiftung "Zugang für alle" betont in diesem Zusammenhang, dass digitale Barrierefreiheit kein Zusatznutzen, sondern eine Voraussetzung für gleichberechtigte Teilhabe sei - und damit ein Grundrecht.

Trotz der Verpflichtungen zeigt die Untersuchung deutliche Defizite. Auf keiner der geprüften Seiten sei der Zugang für Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt möglich. Besonders problematisch seien unklare Strukturen, lange Textpassagen und fehlende Alternativtexte für Screenreader. 

Als Grund dafür, dass die Websites in Sachen Barrierefreiheit so schlecht abschneiden, nennt der Bericht die vielen Anforderungen - Checklisten für den in der Schweiz gültigen Standard für E-Accessibility, der vom Verein eCH vorgegeben wird, würden dutzende Prüfpunkte enthalten. Die Untersuchung berücksichtigte demnach alle fünf elementaren Kriterien dieser Checkliste: Screenreaderbedienbarkeit, Tastaturbedienbarkeit, Farbe und Kontrast, Untertitel / Audiodeskription, und Leichte Sprache.

Fehlendes Know-how und halbherzige Lösungen

Die Website der Stadt Winterthur veranschauliche die Probleme der unzureichenden Barrierefreiheit: Screenreader und Tastaturbedienung funktionieren nur eingeschränkt, Informationen in Leichter Sprache fehlen laut Bericht weitgehend. Menschen mit Seh- oder Mobilitätseinschränkungen seien deshalb oft auf Unterstützung angewiesen.

Winterthur sei jedoch keine Ausnahme. Auch die Städte St. Gallen, Baden, Locarno und Montreux nennt die Studienautorin als Negativbeispiele. 

Joshua Muheim, Accessibility Consultant bei der Stiftung "Zugang für alle"

Joshua Muheim, Accessibility Consultant bei der Stiftung "Zugang für alle". (Source: zVg)

In der Praxis fehlt es laut Joshua Muheim, Accessibility Consultant bei der Stiftung "Zugang für alle", insbesondere an Wissen: "Informatiker lernen in ihrer Grundausbildung nichts zum Thema Barrierefreiheit." Viele Gemeinden setzen demnach auf unzureichende Sonderlösungen mit einem sogenannten Barrierefreiheitsmodus. Doch diese Lösungen schaffen laut Bericht lediglich neue Hürden und sind oft selbst nicht barrierefrei bedienbar. 
  
Wie es weiter heisst, bieten nur 11 der untersuchten Websites überhaupt einen Barrierefreiheitsmodus an - und nur 3 davon lassen sich tatsächlich per Tastatur aktivieren. Die Autorin der Untersuchung berichtet von einem Fall bei der Stadt Schaffhausen, auf deren Website die User insgesamt 22-mal die Tab-Taste drücken müssten, um den Modus zu erreichen. Die Stadt bestätigte das Problem auf Anfrage von Correctiv Schweiz und teilte laut Bericht mit, dieses mit der Webdienstleisterin der Stadt zu besprechen.

Auch die Stadt Winterthur hätte angekündigt, ihre Website zu überarbeiten. Laut Mediensprecher Peter Weber werde der neue Auftritt von Grund auf nach den eCH-Standards für E-Accessibility gestaltet. Einzelne Barrieren liessen sich jedoch auch künftig nur schrittweise beseitigen - etwa bei extern eingebundenen Anwendungen oder aus Ressourcengründen.

Eine Übersicht, wie die 70 untersuchten Gemeinde-Websites pro Kriterium abgeschnitten haben, finden Sie hier.

 

An der Fachtagung E-Accessibility 2023 sprachen die Referierenden übrigens darüber, wie künstliche Intelligenz zur Barrierefreiheit beitragen kann. Hier erfahren Sie mehr darüber.  

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