Maker-Szene

"Maker können Unternehmen neue Denkweisen und mehr Kreativität bieten"

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Marcel Bernet hat an der Zürcher Maker Faire Workshops für den Bau von Internet-der-Dinge-Geräten und Robotern durchgeführt. Im Interview erklärt der Informatiker und ehemalige Präsident von "CH Open" was die Maker antreibt. Interview: Oliver Schneider

Marcel Bernet, Informatiker (Source: Netzmedien)
Marcel Bernet, Informatiker (Source: Netzmedien)

Woher kommt das Interesse daran, Technik selber zusammenzubauen?

Marcel Bernet: Da gibt es verschiedene Aspekte. Zum einen sind Geräte/Roboter immer noch relativ teuer. Zum anderen kann man solche Geräte heute sehr viel einfacher selber erschaffen. Es gibt es gute freie Software, mit der man Projekte gestalten kann. In den Fablabs hat es 3D-Drucker, mit denen man eigene Entwürfe ausdrucken kann. Dadurch ist es keine Hexerei mehr, selbst Dinge zu produzieren. Dazu kommt, dass man etwas zusammenbaut, das nachher funktioniert. Ein Produkt, mit dem die Leute etwas anfangen, lernen und sich neue Horizonte eröffnen können.

Was ist für Sie die Motivation, sich in der Maker-Ausbildung zu engagieren.

Ich möchte den Leuten vor allem zeigen, wie einfach das Selberbauen ist und sie dazu animieren, es selbst zu versuchen. Ausserdem bin ich der Meinung, dass nach der Generation der Digital Natives, die der Digital Makers kommen wird. Diese Digital Makers werden nicht nur Konsumenten sein, sondern auch eigene Ideen mit aktuellen Technologien verwirklichen.

Wie haben Sie damit angefangen?

2010 habe ich einen Workshop fürs Programmieren von Modelleisenbahnen mit Arduino durchgeführt. Der hat ein Riesenecho ausgelöst und viel Anklang gefunden. Für mich war das der Startschuss, zu vermitteln, was ich eigentlich seit Jahren als Hobby mache. Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei CH Open habe ich dann mit Internet-der-Dinge-Kursen angefangen. Später kamen Themen wie Big Data, DevOps und Container dazu. Heute gebe ich Kurse an den Informatiktagen, in der Berufsschule und in der Erwachsenenbildung.

Ist die Nachfrage nach solchen Kursen denn hoch?

Ja. Es ist wie eine Welle, die sich in Bewegung gesetzt hat. Zuerst war nur das Interesse da, solche Kurse einmal auszuprobieren. Es besteht ein Bedürfnis, in diesem Bereich etwas zu machen und Kurse zu veranstalten. Je mehr man dann macht und öffentlich sichtbar ist, desto mehr Anfragen kommen.

Programmieren und Hardware selbst zusammenbauen, das klingt sehr anspruchsvoll. Wie schwierig ist das tatsächlich?

Ohne Ausbildung ist das nicht so einfach möglich. Die Einstiegshürden sind mit der Einführung des Arduino 2005 aber rapide gesunken. Mit ihm bekam man ein Prozessor-Board, das sich einfach programmieren lässt. Mit den darauf aufbauenden Arduino-Shields kann man dann sehr viele verschiedene Geräte ansteuern. Damit braucht man eigentlich kein Wissen über die Hardware mehr. Man muss sich nur noch um die Programmierung kümmern.

Was ist auf der Softwareseite passiert?

Auf Softwareseite gibt es Initiativen wie der "BBC Micro:bit", der sich mit grafischen Entwicklertools, welches Scratch ähnlich ist, programmieren lässt. Eine Plattform wie der Rasperry Pi kostet noch 35 Dollar und bringt Scratch standardmässig mit. So können schon Kinder ab 5 Jahren ohne Installation etwas erschaffen. Das hat alles massiv vereinfacht.

Lässt sich prinzipiell jedes Gerät mit solcher Maker-Hardware steuern?

Es sind die Industrienormen für Zuverlässigkeit, die hier noch einen Strich durch die Rechnung machen können. Geräte aus dem Maker-Bereich, wie der Arduino, eignen sich für dieses Umfeld eher nicht. Aber im Embedded-Bereich, in dem ich meine Kurse mache, sieht es anders auch. Hier haben die industriellen Hersteller ein Interesse daran, dass ihre Designs kopiert und verwendet werden. Ein weiterer Aspekt ist die Sicherheit. Wenn man Zuhause eine Lampe ansteuert, muss das nicht unbedingt verschlüsselt erfolgen. Wenn aber eine Fabrik ihre Industriemaschinen steuert und Daten verwaltet, ist der Datenschutz sehr wichtig. Ein Hacker könnte einen ganzen Betrieb lahmlegen, wenn er in das System kommt. Hier muss man zwischen dem Home- und dem kommerziellen Bereich unterscheiden. Sicherheit ist aber auf beiden Seiten wichtig. Wir sind Moment in punkto Cybersicherheit zuhause noch sehr unvorsichtig.

Gibt es Berührungspunkte zwischen der Maker-Szene und der Geschäftswelt?

Ja, die gibt es. Swisscom hat zum Beispiel schon einen Maker-Tag veranstaltet. Dass aus der Maker-Community aber Firmen entstanden sind, habe ich bislang noch nicht gesehen. Mich erinnert das Ganze etwas an die Anfänge der Open-Source-Bewegung. Viele Firmen nutzten damals zwar Open-Source-Software, wollten das aber nicht an die grosse Glocke hängen. Erst in einem zweiten Schritt sind daraus dann Geschäftsmodelle und neue Firmen entstanden. Das brachte Open Source den Durchbruch. Auch die Akzeptanz von kommerziellen Modellen in der Community spielte eine Rolle. Erst dadurch konnten sich eigene Firmen bilden. Ich denke, in der Maker-Szene wird es ähnlich ablaufen. Es wird Firmen geben, die ihre Prototypen selbst herstellen möchten, statt sie in China produzieren zu lassen. Mit dem Fortschritt der Maker-Technik werden auch Unternehmen entstehen, die auf dieses Geschäftsmodell setzen.

Wie sind die Bedingungen in der Schweiz für eine solche Entwicklung der Maker?

Gut. Die Schweizer haben eine hohe Affinität für Technik. Man möchte hier immer gern das Neuste haben. Ausserdem tragen Fablabs, Maker-Meet-ups und Crowdfunding-Plattformen sehr viel zur Maker-Szene bei. Alles was ein Maker braucht, ist im Grunde vorhanden. Von der günstigen Hardware bis hin zu Open Source Software. Ein Problem sehe ich eher darin, das noch relativ wenige Leute von diesen Dingen wissen. Es gibt zwar eine sehr aktive Community. Die ist aber in sich etwas geschlossen. Man müsste die Maker-Ideen mehr nach Aussen tragen. Ausserdem fehlt eine Strategie, wie die Maker-Bewegung beworben werden könnte. CH Open hat dieses Problem bei der Open Source gelöst, indem man mit anderen Vereinen Partnerschaften eingegangen ist. Dadurch war es möglich, ein viel grösseres Publikum zu erreichen.

Was könnte man denn machen, um die Leute stärker für Maker-Ideen zu begeistern?

Wir müssen uns für die Zukunft die Frage stellen, ob wir Stangenware wollen, oder uns nicht stärker selbst einbringen und verwirklichen möchten. Ich denke, dann ist jeder bereit, ein bisschen Zeit zu investieren. Vielleicht sind wir in fünf Jahren so weit, dass jeder einen 3D-Drucker zuhause hat, um sich Dinge selbst produzieren zu können. Was zu kürzen Wegen und damit zu einer besseren Umweltbilanz führen wird.

Sollten sich Politik und Wirtschaft mehr für die Maker engagieren?

Das wird nicht so einfach sein. Ideal wäre, wenn wir in den Schulen schon früh mit Anwendungen wie Scratch beginnen würden. So könnte man ein Grundverständnis für das Programmieren vermitteln und die Kinder animieren, gestalterisch tätig zu sein. In einem zweiten Schritt könnten die Schulen dann die Software mit der physischen Welt verbinden.

Wird das bereits gemacht?

Teilweise. Es gibt immer mehr Versuche, etwa von CH Open oder ICT Berufsbildung Schweiz. Aber eine breite Bewegung sehe ich noch nicht. Wünschenswert wäre, wenn sich zum Beispiel die Standortförderung des Kantons Zürich für eine Ausstattung der Schulen mit Scratch einsetzen würde. Gleichzeitig müsste eine Initiative zur Ausbildung der Lehrer lanciert werden. Wir müssen vor allem die Hemmschwellen bei den Lehrern abbauen. Wir müssen das Verständnis schaffen, dass Informatik keine Konkurrenz zu Lesen und Rechnen ist, sondern eher dabei helfen kann, gewisse logische Zusammenhänge besser zu erkennen. Nicht jedes Kind muss jetzt zum Spitzen-Programmierer werden. Aber vielleicht können wir ihm durch die Verbindung von digitaler und physischer Welt zeigen, was man mit Informatik wirklich machen kann.

Was hat die Gesellschaft denn letztlich davon, wenn wir zu Makern werden?

Der Gesellschaft bietet sich ein Hintergrundverständnis von Technik, das uns mehr und mehr verloren geht. Heute kann man einen Computer kaum noch modifizieren. Was im Innern eigentlich abläuft, wissen die meisten nicht. Wenn ich aber selber etwas zusammenbaue, habe ich ein Verständnis davon, was alles dahintersteckt. Ich verstehe, was passiert und erarbeite ein Wissen darüber.

Worin besteht der Nutzen für die Unternehmen?

Für die Industrie ergeben sich mit der Maker-Technik mehr Möglichkeiten, auf den Kunden einzugehen. Eine wichtige Anforderung der Digitalisierung, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, kann sie so besser erfüllen. Ein Unternehmen kann einen Prototypen schneller produzieren, seinen Kunden zeigen und Fehler korrigieren. Und das, ohne vorher viel Geld investieren zu müssen. Ich denke ausserdem, dass Maker den Unternehmen neue Denkweisen und mehr Kreativität bieten können. Wenn die aktuelle Schülergeneration in die Firmen einzieht, hat sie erstens eine hohe Bereitschaft, immer wieder Neues zu lernen. Zweitens hat sie gelernt, wie man etwas selbstständig analysiert und sich erarbeitet. Dadurch kann sie schneller auf neue Strömungen reagieren, sich Wissen aneignen und es im Idealfall auch umzusetzen.

Hat die Schweiz in dieser Beziehung Nachholbedarf?

Ja, wir müssen aufpassen, nicht ins Hintertreffen zu geraten. Grossbritannien ist da mit "Micro:bit" und Rasperry Pi schon weiter. Die Politik sollte begreifen, dass es nicht nur Start-up-Förderung, sondern ein Gesamtkonzept braucht. Es gibt genug Vereine und Firmen, die dann mitmachen würden. Man muss nur damit anfangen.

Wie holt man jene Menschen an Bord, die schon lange nicht mehr in die Schule gehen?

Da braucht es sehr viel Überzeugungsarbeit. Es reicht nicht, ein Bildungsangebot aufzubauen. Man muss die Leute auch dazu bringen, es zu nutzen. Bei den Erwachsenen ist eine Angst vor der Digitalisierung vorhanden. Wir müssen zuerst versuchen, ihnen diese Angst zu nehmen und mit einfachen Beispielen aufzuzeigen, was die Maker-Fähigkeiten bringen. Dann können Kurse folgen. Für mich ist aber klar, dass Politik und Standortförderung in diesem Bereich früher oder später gemeinsam aktiv werden müssen. Das ist meiner Meinung nach überlebensnotwendig, wenn die Schweiz ein innovatives Landes bleiben will.

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