Editorial

Das EPD und andere Bundes-Fails

Uhr
Marc Landis, Chefredaktor. (Source: Netzmedien)
Marc Landis, Chefredaktor. (Source: Netzmedien)

Im Mai schrieb ich an dieser Stelle, dass ich dem Plan des Bundes, das Covid-Zertifikat selbst zu entwickeln, skeptisch gegenüberstünde.

Sie erinnern sich: Der Bund verschmähte im Frühling eine Lösung, welche die Ärztevereinigung FMH gemeinsam mit dem Schweizerischen Apothekenverband Pharmasuisse angeboten hatte. Sie wollten damals innert Monatsfrist ein Covid-Zertifikat bauen, als es damit beim Bund nicht vorangehen wollte.

Ehrlich gesagt, war ich (und bin es noch) mehr als überrascht, dass das BAG dieses IT-Projekt nicht in den Sand gesetzt hat. Es zeigt, dass der Bund nicht grundsätzlich unfähig wäre, IT-Projekte zum Erfolg zu führen. Denn er schaffte es tatsächlich, eine "praxistaugliche" und "anwenderfreundliche" Lösung zu bauen, wie er es versprochen hatte. Und das sogar noch schnell. Allerdings ist das elektronische Covid-Zertifikat von der Komplexität her auch überschaubar.

Genau so einfach wäre es wohl gewesen, ein Impfportal sicher zu betreiben. Die Schlagzeile "So kolossal hat 'Meine­impfungen.ch' bei der Sicherheit versagt" drückt immer noch milde aus, wie viel IT-Inkompetenz in der Führung der Stiftung "Meine­impfungen" an einem Ort versammelt war. Auch nach dem definitiven Ende und der nun beantragten Auflösung der Stiftung ist das kaum zu begreifen. Und dass nun die Nutzenden, zu denen auch ich gehöre, keinen Zugriff mehr auf die eigenen Daten der gesammelten Impfungen – in meinem Fall der vergangenen 48 Jahre – haben, ist ein weiterer Skandal.

Andere Schlagzeilen in dieser Ausgabe von "IT for Health" zeigen, dass der "Patient Gesundheitswesen" noch lange nicht auf dem Wege der Besserung ist. "So will der Bund das elek­tronische Patientendossier retten", heisst ein Beitrag. "Auf der Suche nach dem E-Health-Boost", lautet eine andere Schlagzeile. Oder wie wäre es mit "Digitalisierung im Gesundheitswesen dank Corona? Na ja …"?

Auch im grossen Interview wundert sich Serial Entrepreneur und Start-up-Urgestein Peter Ohnemus: "Ich hätte nie gedacht, dass sich das Thema digitale Gesundheit in der Schweiz so langsam entwickeln würde." Und "IT for Health"-Kolumnist Jürg Lindenmann fordert einen "EPD-Reset" und erklärt das elektronische Patientendossier kurzerhand für gescheitert.

Wie konnte es so weit kommen, dass die Schweizer Regierung nach bald 20 Jahren nicht in der Lage ist, ein funktionierendes elektronisches Patientendossier zu bauen und einzuführen? Mit dem Covid-Zertifikat hat es in wenigen Monaten geklappt ...

Ich kann es mir nur mit fehlendem politischem Willen erklären. Das Schweizer Gesundheitssystem – immerhin nach den USA das zweitteuerste der Welt – ist bei der Digitalisierung 20 Jahre im Rückstand. Das zeigen internationale Vergleichsstu­dien. Gibt es wohl einen Zusammenhang zwischen teuer und ineffizient beziehungsweise nicht digitalisiert?

Ob und wie sich die je nach Lesart fahrlässige oder mutwillige Behinderung der Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens durch Politik und Partikularinteressen mittel- und langfristig auf den Wohlstand und die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz auswirken wird, muss sich zeigen. Aber der Preis könnte hoch sein.

Tags
Webcode
DPF8_229891