"Wild Card" von Daniel Liebhart

Bullet Train in Slow Motion?

Uhr

Die Erwartungen sind hoch, doch nichts kommt voran. Die Leistungssteigerungen durch den Einsatz modernster Technologien im Bahnverkehr scheinen kaum zu greifen. Was ist da los?

(Source: Mathew Schwartz / Unsplash.com)
(Source: Mathew Schwartz / Unsplash.com)

Die Entwicklung der Bahntechnik ist in einer sehr interessanten Phase. Eine Vielzahl neuer Technologien hält Einzug. Eine neue Generation von Lokomotiven und Rollmaterial in Kombination mit modernster Sensorik auf der Strecke und neuer Übertragungstechnik erlauben die Weiterentwicklung der traditionellen Zugsicherung vom umfassenden Kontrollsystem bis hin zum automatischen Zugbetrieb. Kein Wunder, dass die Erwartungen hoch sind. So sagte der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing am 11. Internationalen Eisenbahngipfel Ende Mai: "Die deutsche Regierungskoalition hat sich darauf verständigt, die Zahl der Fahrgäste in der Bahn bis 2030 zu verdoppeln und bis 2030 ein Viertel aller Güter auf der Schiene zu befördern." Als traditionelles Bahn-Land war die Schweiz etwas früher dran. Das 2017 gestartete Programm "smartrail 4.0" hat ähnlich ambitionierte Ziele.

 

Ernüchternde Zahlen

Der Anteil der mit der Bahn zurückgelegten Personenkilometer in der Schweiz betrug in den vergangenen zehn Jahren gemäss dem Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (LITRA) rund 16 Prozent. Damit sind wir zwar in Europa Spitze, gefolgt von Österreich und den Niederlanden mit etwa 11 Prozent. "Seit zehn Jahren stagniert der Anteil des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz trotz bedeutenden Investitionen in den Ausbau", stellte bereits 2018 die Studie "Der Modalsplit des Personenverkehrs in der Schweiz" des Bundesamtes für Raumentwicklung fest. Im Güterverkehr sieht es nicht besser aus. Die relative Steigerung des Anteils der Tonnenkilometer im Transitverkehr von 72 auf 84 Prozent wird durch den Rückgang im Schweizer Verkehr von 22 auf 20 Prozent zunichte gemacht.

Die Entwicklung in Richtung nachhaltiges Transportwesen entspricht bei Weitem nicht den Erwartungen. Es scheint, dass Effizienzsteigerung schwierig ist. Das Transportsystem reagiert darauf sogar empfindlich, wie die aktuellen Zahlen zur Pünktlichkeit im deutschen Fernverkehr zeigen. Nur 59,9 Prozent aller Züge haben im Juli 2022 ihr Ziel pünktlich erreicht.

 

Wo die grossen Hebel liegen

Innovative Technologien scheinen ein riesiges Potenzial zu haben, wie etwa das auf 5G basierende FRMCS (Future Railway Mobile Communication System), ECTS (European Train Control System), Level 3 für die kontinuierliche Zugüberwachung, GoA 4 (Grade of Automation) für den fahrerlosen vollautomatischen Betrieb ohne Personal und der Einsatz tausender Sensoren, die ein umfassendes "Condition Monitoring" in Echtzeit erlauben. Kombiniert eingesetzt, sollten Leistungssteigerungen kein Problem sein. Die Realität sieht jedoch anders aus, wie die 2022 veröffentlichte Studie "Technologische Weiterentwicklung des Bahnsystems 2050" der ETH zeigt. Selbst für die zu praktisch 100 Prozent elektrifizierte Infrastruktur der Schweiz müssen die Hebel für gros­se Leistungssteigerungen noch geschaffen werden. So steht die hohe Lebensdauer des Rollmaterials (40 Jahre und mehr) der schnellen Entwicklung im Weg. Neufahrzeuge müssen modular ausgelegt werden, damit die Elektronik durch sogenannte Refite regelmässig erneuert werden kann. Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass Güterzüge im Verkehrsfluss mithalten sollten, um den Personen- und Fernverkehrszügen nicht im Weg zu sein.

Die Leistungsfähigkeit der Bahninfrastruktur ist zudem stark abhängig von der Kapazität anderer Infrastrukturen, was eine rasche Effizienzsteigerung beeinträchtigt. Als IT-Enthusiasten neigen wir dazu, die Möglichkeiten innovativer Technologien zu überschätzen. Es lohnt sich immer, genau hinzuschauen, was überhaupt in welcher Geschwindigkeit möglich ist.

Webcode
DPF8_266316