Focus E-Commerce

Ausländische Onlineshops kämpfen mit längeren Spiessen

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von Patrick Kessler, Präsident/Geschäftsführer, Verband des Schweizerischen Versandhandels VSV

Onlinehändler aus Übersee verzeichnen rasant wachsende Umsätze in der Schweiz. Der Erfolg ist aber nicht auf Produkte und Dienstleistungsqualität zurückzuführen, sondern massgeblich auch auf wettbewerbsverzerrende Faktoren. Ein Fachbeitrag von Patrick Kessler, Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels VSV.

Patrick Kessler, Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels. (Source: zVg)
Patrick Kessler, Präsident des Verbands des Schweizerischen Versandhandels. (Source: zVg)

2017 haben Herr und Frau Schweizer 8,6 Prozent mehr Geld im Onlinehandel ausgegeben. Der Trend geht 2018 ungebremst weiter. Per Ende Juli zeigt der Online-Handels-Monitor des VSV ein Plus von 10,2 Prozent – und dies ohne die Umsätze aus Auslandseinkäufen und Zalando! Die Gesamtausgaben im Onlinehandel dürften also 2018 um gegen 15 Prozent steigen.

Bei aller Freude über die Entwicklungen im eigenen Land schauen wir mit etwas Besorgnis auf die exponentiell wachsende grenzüberschreitende Einkaufshäufigkeit. Wachstumsquoten bei sogenannten Direktimporten von 30 Prozent im Jahr 2016 und 50 Prozent im Jahr 2017 lassen aufhorchen und verlangen nach einer Ursachenanalyse. 2018 dürften gegen 35 Millionen Pakete via grosse und kleine ausländische Plattformen wie Aliexpress, Wish, Amazon und Co. den Weg in die Schweiz finden. Zum Vergleich: Das gesamte Paketaufkommen in der Schweiz beträgt ohne diese Mengen 150 Millionen.

Der Konsument hat offenbar jede Zurückhaltung abgelegt und kauft grenzenlos ein, wenn sich die Gelegenheit bietet. Das starke Wachstum ist aber nicht nur auf tolle Produktangebote, sondern auch wettbewerbsverzerrende Faktoren zurückzuführen.

Die Spiesse sind nicht gleich lang

Die Auslandsvolumen werden teilweise begünstigt von vorteilhaften Versandtarifen und Paketformaten: So wird heute eine Warensendung mit Abgang in China in der Schweiz günstiger zugestellt als ein Schweizer Paket, hinzu kommen grosszügigere Formatvorgaben als innerhalb der Schweiz. So kann Aliexpress beispielsweise einen Lederfussball in der Schweiz als Brief verschicken, während ein Schweizer Händler dieses Produkt immer als Paket versenden muss.

Eine weitere Sorge ist, dass diese Paketmengen zunehmend unkontrollierbar ins Land gelangen – es können nur kleine Mengen stichprobenartig (manuell) geprüft werden. Die Wahrscheinlichkeit der Falschdeklaration und Steuer-Umgehung steigt mit jedem zusätzlich importierten Paket an. Ebenso erhöht sich das Risiko, dass gefährliche beziehungsweise unkontrollierte Materialien, Elektrogeräte, Waffen und auch Medikamente in Umlauf gelangen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dies zu gravierenderen Vorkommnissen als einem Adapter- oder Kabel­brand führen wird.

Schweizer Stärken nutzen

Trotz oder gerade dank dieser Entwicklungen beim Konsumentenverhalten sehen wir nach wie vor Potenzial für Schweizer Händler, aber auch Hersteller-Versender (D2C – Direct to Consumer). Innerhalb der Schweiz helfen die hohe Liefergeschwindigkeit und Warenverfügbarkeit, grosszügige Retouren-Regelungen oder einfach auch schon der Kauf auf Rechnung, Kunden hier zum Einkaufen zu bewegen. Natürlich muss der Preis dazu auch stimmen. Aber wir sind fest davon überzeugt, dass Schweizer Onlineangebote in vielen Bereichen über die letzten Jahre konkurrenzfähiger geworden sind.

Für Händler und Hersteller eröffnen sich europa- und weltweit neue Chancen, ihre Produkte direkt an Konsumenten zu verkaufen. Die weiter oben "beschuldigten" Marktplätze werden im globalen Kontext zu Steigbügelhaltern, an denen ein Onlineanbieter heute nicht mehr vorbeikommt. Gerade im globalen Konsum-Kontext kann die Schweiz immer noch mit Qualität, Ansehen, Vertrauen und auch ein paar Stereotypen punkten – man muss aber schnell agieren, der Zug fährt bereits aus dem Bahnhof …

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