SBVg-Chef im Interview

Jörg Gasser: "Die Banken waren gut vorbereitet"

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Die Finanzwelt ist in Bewegung. Start-ups und Tech-Konzerne drängen mit neuen Ideen, Technologien und Ambitionen auf den Markt. Wo stehen die Schweizer Banken in diesem Wandel? Und wie gehen sie mit der Coronakrise um? Einblicke von Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung.

Jörg Gasser: "Anders als reifere Unternehmen brauchen jüngere Fintechs primär keine Kredite, sondern Investitionen." (Source: ©perspektiv)
Jörg Gasser: "Anders als reifere Unternehmen brauchen jüngere Fintechs primär keine Kredite, sondern Investitionen." (Source: ©perspektiv)

Die Covid-19-Pandemie trifft die ganze Schweizer Wirtschaft. Von den Banken war bislang aber eher selten die Rede. Was macht Ihnen in diesen Tagen am meisten Kopfschmerzen?

Jörg Gasser: Zuallererst bin ich erleichtert, dass die Massnahmen des Bundesrats Wirkung gezeigt haben, die Fallzahlen inzwischen sehr tief sind und die Öffnung begonnen hat. Der Schutz der Gesundheit steht auch für uns Banken an oberster Stelle. Sorgen bereiten mir die Konjunkturprognosen des Seco, wonach das Brutto­inlandsprodukt in der Schweiz dieses Jahr einbrechen wird. Die Krise hat die Realwirtschaft und unser gesellschaftliches Zusammenleben in einer Geschwindigkeit und Härte getroffen, die beispiellos ist. Immerhin kam unsere Antwort auf die Krise ebenso schnell.

Wie lautet diese Antwort?

Gemeinsam mit Bund und Behörden haben die Schweizer Banken innert kürzester Zeit ein Hilfspaket in Milliardenhöhe auf die Beine gestellt, um notleidende KMUs rasch und unbürokratisch mit Liquidität zu versorgen. Das Schweizer Kreditprogramm dient vielen ausländischen Regierungen als Musterbeispiel und Vorbild, weil der Prozess einfach und die Hilfe schnell und wirksam ist. Bis heute hat fast jedes fünfte Schweizer KMU das Programm in Anspruch genommen und von einer Liquiditätsüberbrückung profitiert.

Wie viele andere Unternehmen haben auch die Schweizer Banken wo möglich auf Homeoffice umgestellt. Wie gut hat das geklappt?

Die Banken waren gut vorbereitet. Die meisten Institute hatten bereits vor Corona Konzepte, wie Teams im Pandemiefall aufgesplittet werden, um die Sicherheit zu gewährleisten, und auch das Homeoffice war bereits in zahlreichen Funktionen etabliert. Das immense Volumen an Anfragen und Anrufen, das mit dem Kreditprogramm auf die Banken – wie auch auf uns als Verband – zukam, konnte dank intensiver Vorbereitungsarbeiten bewältigt werden: Innert Wochenfrist wurden ganze Teams geschult, Prozesse eingeführt, Websites aufgebaut und Telefonhotlines eingerichtet.

Sie sind also zufrieden?

Die lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen den Banken, bei der wir als SBVg immer wieder die Scharnierfunktion einerseits unter den Banken, aber dann auch zwischen den Banken und den Behörden einnehmen konnten, ist beeindruckend. Es zeigt sich, dass die Schweizer Banken auch in einer Ausnahmesituation absolut zuverlässig funktionieren und exzellente Arbeit leisten.

Was geht unter den aktuellen Bedingungen? Was geht nicht?

Der Geschäftsbetrieb der Banken wurde im Lockdown nicht eingeschränkt, da die Banken von den behördlichen Schliessungen nicht betroffen waren. Die Banken haben eigenverantwortlich und in Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht gegenüber Kunden und Mitarbeitenden umfassende Massnahmen umgesetzt, die auf den allgemeinen Empfehlungen des BAG beruhen. Die physische Präsenz am Arbeitsplatz oder Kundenmeetings sind nicht verboten, aber sollen auf das Notwendige beschränkt und unter Einhaltung der Schutzmassnahmen durchgeführt werden.

Alles spricht von der digitalen Transformation. Was bedeutet dieses Schlagwort für die SBVg?

Der Einsatz von innovativen Technologien verändert die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und miteinander kommunizieren. Und das ist auch in Bezug auf die Finanzdienstleistungen nicht anders. Die Kunden von heute möchten das gleiche Erlebnis, das sie schon aus anderen Bereichen in ihrem Alltag kennen, auch in Bezug auf ihre Finanzen, und zwar jederzeit und überall. Auf diesem Weg unterstützen wir unsere Mitglieder. Drei Faktoren sind dabei letztlich entscheidend für den Kunden: die Einfachheit, die Kosten und die Verlässlichkeit. Diesem Wandel in der Branche müssen sich die Banken stellen. Die SBVg trägt mit ihrem Beitrag zu optimalen Rahmenbedingungen dazu bei, dass sie dies aus einer Position der Stärke und ohne unnötige Hürden tun können.

Sie haben sich bereits als Staatssekretär für die Digitalisierung der Finanzbranche engagiert. Wie gehen Sie als CEO der SBVg an das Thema heran?

Mit zwei verschiedenen Perspektiven: Zum einen haben wir als Schweizerische Bankiervereinigung die Positionierung unseres Finanzplatzes im internationalen Wettbewerb im Blick. Diese erfordert eine stetige Auseinandersetzung mit den neuesten Entwicklungen auf technologischer und regulatorischer Ebene. Zum anderen spielt die Digitalisierung ganz konkret auf dem Finanzplatz – mit den angesprochenen Neuerungen für die Kunden aber auch mit Blick auf die Transformation der Banken. Diese Entwicklungen gehen Hand in Hand und wir als SBVg sehen uns im Hinblick auf das gesetzliche und regulatorische Umfeld als Enabler.

Was bereitet den Mitgliedern Ihres Verbands in diesem Zusammenhang am meisten Kopfschmerzen?

Viele Banken haben sogenannte Legacy-Systeme. Diese so anzupassen, dass sie zukunftsfähig sind, ist eine grosse Herausforderung. Die Transformation betrifft aber nicht nur Maschinen und Systeme, sie betrifft immer auch Menschen. Digitalisierung muss mit einem entsprechenden Kulturwandel einhergehen. Diesen gilt es auch für unsere Mitglieder zu gestalten. Damit der Wandel gelingen kann, braucht es gute Rahmenbedingungen. Es braucht klare Spielregeln. Unser Grundsatz lautet hier: gleiche Risiken, gleiche Regeln. Und bereits an dieser Ausrichtung unserer Arbeit sehen Sie, dass es in diesem Feld einiges zu tun gibt. So kann es beispielsweise nicht sein, dass Banken höhere Auflagen beim Kundenschutz erfüllen müssen als Nichtbanken, die dieselbe Dienstleistung anbieten.

Wie setzt sich die SBVg für die digitale Fitness der Schweizer Banken ein?

Wir unterstützen unsere Mitglieder in diversen Feldern. Es ist unsere Aufgabe, für die Banken in diesem Land ein Wissenszentrum zu sein, in dem sie kompetent und verlässlich Antworten auf aktuelle Fragen finden. Dies gilt von den Themen rund um Cyber-Sicherheit, Datenökonomie, Big-Data-Analyse, Ökosysteme, der Token-Ökonomie bis hin zum Bereich Aufsicht und Regulierung. Jede einzelne unserer Initiativen zu beschreiben, würde den Rahmen an dieser Stelle sprengen.

Die Banken befinden sich seit längerer Zeit in der Transformation. Wie könnte sich die Coronakrise auf diesen Prozess auswirken?

Die Beschleunigung der digitalen Transformation zeigt sich aktuell in sämtlichen Branchen und Industrien. Mit Blick auf die Banken wirkt die Coronakrise in erster Linie als Katalysator. Die Krise beschleunigt gewisse Entwicklungen, die sich schon vor der Krise abzeichneten. Beispielsweise die Zunahme der bargeldlosen Transaktionen, sowohl mit Karten als auch über Mobile Payment. Der Finanzplatz hat auf diese Entwicklung sehr rasch reagiert.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Ein Beispiel ist die Limite für kontaktlose Zahlungen ohne PIN-Eingabe, die von 40 Franken auf 80 Franken erhöht wurde. Ein weiteres Beispiel ist die digitale Kontoeröffnung: Zahlreiche Banken hatten bereits vor Corona einen digitalen Onboarding-Prozess, der nun aufgrund der aktuellen Situation wichtiger und häufiger genutzt wird. Auch der Kontakt mit dem Kunden wird digitaler, etwa durch die digitale Kundenberatung.

Welche digitalen Services erwarten Sie als Kunde heute von Ihrer Bank?

Persönlich möchte ich als Kunde möglichst einfach, intuitiv und natürlich sicher meine Bankgeschäfte erledigen können und dabei von den beiden Trends hin zu mehr Geschwindigkeit und mehr Transparenz profitieren. Ganz konkret habe ich für meine Tochter ein Konto bei einer Neobank eröffnet, da sie sich immer wieder im Ausland aufhält. Ein Vorteil für diese Lebenssituation sind die tagesaktuellen Wechselkurse bei niedrigen Gebühren.

Ist das alles schon Realität?

Die Banken in der Schweiz haben bereits eine Menge digitaler Services in ihren Portfolios und bewegen sich mit einem hohen Innovationstempo im Markt. Im Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage entwickeln sich die einzelnen Institute auch wegen des Wettbewerbs mit neuen Anbietern. Die Angebote der Neobanken sind bereits Realität und wir werden noch viele Neuerungen in den kommenden Jahren sehen. Denken Sie beispielsweise nur an die Möglichkeiten, wenn sich der Trend hin zu nachhaltigen Finanzanlagen und die technologischen Fortschritte verknüpfen lassen. Die Schweiz hat bereits heute eine führende Rolle im Bereich der nachhaltigen Anlagen. Dort bieten sich für den Finanzplatz grosse Chancen.

IT-Konzerne fordern den Finanzmarkt mit eigenen Lösungen heraus. Daneben wirken Banken mit ihren Filialen und Strukturen nicht besonders innovativ. Wie begegnet man dieser Herausforderung?

Die Entwicklungen, die Sie skizzieren, sind ja nicht überraschend über unsere Mitglieder hereingebrochen, sondern haben sich abgezeichnet, und jedes Institut findet darauf seine eigenen Antworten. Die Rolle der Bankiervereinigung ist es, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen. Unsere Mitglieder profitieren davon, wenn sie den rechtlichen Rahmen vorfinden, der ihnen Agilität – auch in der Zusammenarbeit mit anderen Marktteilnehmern – erlaubt. Diese Beweglichkeit ermöglicht es den Banken wiederum, eine gute Antwort auf der Ebene der Services und Produkte zu geben. Und weil Sie es so direkt angesprochen haben: Die Filialstruktur wird es auch in Zukunft noch geben, wenn auch vermutlich nicht mehr in der heutigen Form. Doch Banking ist in gewissen Lebenssituationen immer auch eine persönliche Begegnung, bei der von Mensch zu Mensch gesprochen und entschieden wird.

Was würden die Schweizer Banken mit digitaler Technik gerne machen, dürfen es aber nicht?

Banken sitzen auf einem riesigen Datenschatz. Diese Datenbasis stellt ein enormes Potenzial dar, das Banken für datenbasierte Geschäftsmodelle nutzen können. Interne und externe Daten können gesammelt, analysiert und die daraus gewonnenen Informationen weiterverwertet werden. So werden Kosten reduziert und neue Ertragsmöglichkeiten generiert. Noch besteht hierzu aber einige Skepsis, sodass die wenigsten Banken diese Modelle aktiv nutzen.

Warum denn?

Ein Grund dafür sind Unsicherheiten in Bezug auf die Anforderungen, die sich aus den bestehenden Datenschutzgesetzen ergeben. Welche Daten darf man für welche Zwecke verwenden? Darf man Kreditkartendaten verwerten, um daraus ein besseres Bild über die Präferenzen des Kunden zu erstellen? Darf man öffentlich zugängliche Daten hinzunehmen, um das Bild zu verfeinern? Darf man die gewonnenen Daten und Informationen weiterverkaufen, vor allem wenn sie anonymisiert sind? Und wie sieht es mit der Nutzung von kollaborativen Cloud-Dienstleistungen aus, welche die Daten oftmals auch im Ausland speichern? In vielen dieser Fälle braucht es für unsere Mitglieder noch mehr Rechtssicherheit. Der Staat sollte sich hierbei vor allem auf wettbewerbsfördernde Rahmenbedingungen fokussieren.

Die IT der Schweizer Banken gilt als träge, veraltet und teuer. Woher kommt dieser Eindruck?

Diesen pauschalen Eindruck teile ich nicht. Wir zählen als Vereinigung über 240 Mitglieder unterschiedlicher Grösse und Ausrichtung sowie mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen.

Was braucht es, um die IT der Banken agiler zu machen?

Wichtig ist eine klare Strategie, sonst läuft die Bank Gefahr, neue Insellösungen zu kreieren. Eine wichtige Option in der Zukunft ist die Möglichkeit, problemlos auf die Cloud zu gehen. In diesem Zusammenhang gab es bisher bei den Banken eine Verunsicherung darüber, welche Risiken damit in Kauf genommen werden müssen. Mit der Veröffentlichung des Cloud-Leitfadens im Frühling 2019 haben sich die Anstrengungen bei Banken für Cloud-Lösungen vervielfacht.

Studien zeigen, dass Banken mit der Verlagerung ihrer Kernbankensysteme in die Cloud viel Geld sparen können. Wann wird das auch in der Schweiz möglich sein?

Letztendlich ist es die Entscheidung jedes einzelnen Institutes ob, wann und wie es auf die Cloud gehen möchte. In Tat und Wahrheit ist das Einsparpotenzial bei einem Entscheid zugunsten der Cloud als Argument weniger gewichtig als die neuen Geschäftsmöglichkeiten, die eine Cloud ermöglicht.

Kryptowährungen sind eine der wichtigsten Innovationen in der Finanzbranche. Sogar Zentralbanken denken über die Einführung nach. Welches Potenzial haben digitale Währungen auf Blockchain-Basis?

Das Potenzial ist gross, aber lässt sich heute in seinem ganzen Ausmass noch nicht abschätzen. Beides zeigt sich meiner Einschätzung nach daran, dass nicht nur die Zentralbanken das Thema aufnehmen, sondern dass sich auch die Bank für den Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Dachorganisation der Zentralbanken, mit mehreren Innovationhubs, darunter auch einem in der Schweiz, der Fragen rund um die digitalen Währungen annimmt. Eines ist klar: Stellen Zentralbanken in naher Zukunft nicht eine digitale Währung zur Verfügung und modernisiert sich der Zahlungsverkehr nicht in nächster Zukunft, dürfte dies privaten Währungen viel Rückenwind geben.

Verfechter der Blockchain-Technologie erhoffen sich, dass es in Finanzfragen keinen Intermediär mehr braucht. Was ist dann die Rolle der Banken?

Die Beratung wird – je nach Geschäft – für gewisse Kunden immer ein Bedürfnis bleiben. Hierbei haben Banken gute Karten.

Ökonomen fordern, die SNB solle einen digitalen Franken herausgeben. Ist das eine gute Idee?

Die Diskussion um Facebooks Libra hat gezeigt, dass Zentralbanken kein Interesse an einer privat emittierten Weltwährung haben. Besonders bei Auslandszahlungen ist das heutige System aber antiquiert. Sollten die Zentralbanken ebenfalls eine digitale Währung herausgeben, würde ich als Benutzer diese aus Sicherheitsgründen einer privaten Währung vorziehen. Die Art, wie Zentralbanken eine digitale Währung herausgeben können, wird heute rege diskutiert. Je nach Ausgestaltung kann dies aber existenzielle Fragen für Banken aufwerfen. Mich freut, dass die SNB zusammen mit der BIZ zu Fragen der digitalen Währung forscht.

Facebook will mit Libra ein globales Zahlungssystem aufbauen - mit Sitz in der Schweiz. Wurden Sie davon überrascht?

Die Schweiz offeriert hervorragende Rahmenbedingungen und ist weltweit ein sehr gefragter Standort für Fintech-Dienstleistungen. Von daher überrascht mich das gar nicht.

Was halten Sie von dem Projekt?

Libra oder andere Stablecoins sind bemerkenswerte Projekte, die allerdings zu Recht unter besonderer Beobachtung stehen. Wir sehen viele Chancen, die sich daraus ergeben. Nehmen Sie beispielsweise wirtschaftlich weniger entwickelte Regionen, wo solch eine Währung für viele Menschen den Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen wie dem Zahlungsverkehr eröffnen würde. Gleichzeitig ist hier aber auch viel Gegenwind wahrnehmbar.

Warum der Widerstand?

Dieser kommt aus der Politik, aber auch von regulatorischer Seite. Die Befürchtungen reichen von der Frage, wie der Datenschutz gesichert wird, bis hin zur Angst davor, dass Libra oder eine andere Form eines Stablecoin als Mittel zur Terrorismusfinanzierung oder für die Geldwäscherei missbraucht werden könnte. Hinzu kommen unzählige technische Details. Könnte ich meinen Libra jederzeit in den unterliegenden Währungskorb wechseln? Wer garantiert das? Auch hat der Absprung von mehreren namhaften Partnern aus der Libra Association dem Projekt sicher nicht geholfen.

Bleibt Homeoffice ein Dauerzustand, auch nach Corona?

Die Gewohnheiten der Kundinnen und Kunden verändern sich durch die aktuelle Situation, und mit den langandauernden Präventionsmassnahmen ist zu erwarten, dass dieser Prozess unsere Arbeits- und Konsumgewohnheiten nachhaltig verändern wird. Über alle Branchen hinweg glaube ich, dass wir in Zukunft digitaler und mobiler arbeiten werden.

Für die Banken birgt die Krise auch durchaus Chancen, etwa mehr Effizienz. Wie sieht es für die jungen Fintech-Unternehmen aus, die auf Wachstum und Kapital angewiesen sind?

Das Fintech-Ökosystem ist ein wichtiger Bestandteil des Schweizer Finanzplatzes. Die Krise stellt junge Unternehmen vor besondere Herausforderungen, gerade in Bezug auf die Liquidität. Anders als reifere Unternehmen brauchen jüngere Fintechs jedoch primär keine Kredite, sondern Investitionen. Hier ist sicherlich eine gewisse Solidarität notwendig. Fintech-Hotspots wie das Crypto Valley in Zug sind besonders betroffen. In einer Umfrage der Swiss Blockchain Federation gaben drei Viertel der Mitglieder an, dass sie damit rechnen, in den nächsten sechs Monaten höchstwahrscheinlich insolvent zu werden. In anderen Fintech-Bereichen dürften die Prognosen ähnlich ausfallen. Es ist daher erfreulich, dass der Bundesrat in Zusammenarbeit mit den Kantonen die Bürgschaftsverordnung auf aussichtsreiche Start-ups erweitert hat. Hier sind auch die einzelnen Kantone gefordert, ihre Start-up- und Fintech-Ökosysteme zu stärken.

Sehen Sie Fintech-Start-ups als Rivalen oder Mitstreiter?

Neue Anbieter fördern die Innovation und die Wandlungsbereitschaft auch in der Finanzbranche. Das ist grundsätzlich gut. Gemäss einer aktuellen Studie der SNB können Digitalbanken und auch Bigtechs aufgrund ihrer strategischen Vorteile durchaus zu wichtigen Konkurrenten werden: Dies gilt zum Beispiel im Bereich des Zahlungsverkehrs oder auch der Kreditvergabe.

Und die Rolle der Start-ups?

Fintechs werden innerhalb der Branche aufgrund ihrer bescheidenen Grösse und ihrer Spezialisierung eher als Partner wahrgenommen. Das ergibt für die Banken Synergiepotentiale. Sie können Kosten senken und bleiben für Kunden attraktiv. Schliesslich liegt es aber im Ermessen jeder einzelnen Bank, wie sie die Anforderungen der digitalen Transformation in ihrer Strategie und in ihrem Geschäftsmodell abbilden möchte.

Zur Person

Jörg Gasser hat langjährige Erfahrung in Diplomatie und Finanzmarktpolitik. Nach dem Studium der Volkswirtschaft und der Internationalen Beziehungen begann er seine berufliche Laufbahn beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Anschliessend bekleidete er verschiedene leitende Funktionen beim Bund, zuletzt als Vorsteher des Staatssekretariats für ­internationale Finanzfragen. Gasser ist seit Mai 2019 CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung.

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