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Deshalb verschwindet der "Schmerz des Bezahlens"

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von Tobias Truetsch, Head of Swiss Payment Behaviour Lab, Universität St. Gallen

Die Barzahlung ist in der Bevölkerung immer noch beliebt. Doch bargeldloses Bezahlen, insbesondere kontaktlos mittels Bezahlkarte und Mobiltelefon, hat sich aufgrund der Pandemie mittlerweile zum neuen Bezahlstandard in der Schweiz etabliert. Wie sehen die Zahlungsmittel der Zukunft aus?

Tobias Truetsch, Head of Swiss Payment Behaviour Lab, Universität St. Gallen. (Source: zVg)
Tobias Truetsch, Head of Swiss Payment Behaviour Lab, Universität St. Gallen. (Source: zVg)

Das Coronavirus hat unser Zahlungsverhalten verändert. Sowohl kontaktloses und mobiles Bezahlen als auch Onlinezahlungen haben seit März 2020 auf Kosten von Bargeldzahlungen stark zugenommen. Eingeschränkte Konsummöglichkeiten (z. B. die Schliessung der Non-Food-Läden und Reisebeschränkungen) und damit einhergehend ein verändertes Konsumverhalten (z. B. häufigeres Onlineshopping und Mehrausgaben für Güter des täglichen Gebrauchs) führten zu einer Anpassung des Zahlungsverhaltens hin zu mehr bargeldlosen Zahlungsmitteln. Dieser Trend wurde durch (bekannt aus der Verhaltensökonomie) sogenannte "Schubser" (z.B. Schilder mit der Aufforderung zur bargeldlosen Bezahlung) seitens der stationären Händler und wegen Befürchtungen zur schnellen Virusübertragung bei Bargeld seitens der Konsumenten begünstigt. Insgesamt zahlten die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz, bedingt durch die eingeschränkten Konsummöglichkeiten, jedoch deutlich weniger mit gängigen Zahlungsmitteln als in den Vorjahren.

Bargeldloses Bezahlen, insbesondere kontaktlos mittels Bezahlkarte und Mobiltelefon, hat sich aufgrund der Pandemie mittlerweile zum neuen Bezahlstandard in der Schweiz etabliert. Der Umsatzanteil der bargeldlosen Zahlungsmittel an den individuellen Gesamtausgaben dominiert bereits seit Jahren den Bargeldanteil. Seit Ausbruch des Coronavirus trifft dies auch für den Anteil der Transaktionen zu. Bisher dominierte stets Bargeld, weil Kleinbeträge häufig bar bezahlt wurden und diese in der Häufigkeit überwiegen. Diese Veränderungen des Zahlungsverhaltens werden nachhaltig überdauern.

Aktuell gibt es unzählige bargeldlose Bezahllösungen beziehungsweise -technologien wie etwa Account-to-Account-Zahlungen (A2A), Near Field Communication (NFC) oder den QR-Code, jedoch nur ungefähr eine Handvoll bargeldloser Zahlungsinstrumente wie etwa Bezahlkarten, Wearables und das Mobiltelefon, mit denen man eine Zahlung autoriseren, initiieren oder bestätigen kann. Der Payment-Markt bietet grosses Wachstumspotenzial aufgrund der oben beschriebenen sich verändernden Zahlungs- und Konsumgewohnheiten. Welche gängigen Zahlungsmittel und Bezahllösungen sind in der Schweizer Bevölkerung beliebt? Und in welche Richtung könnten sich diese entwickeln?

 

Kontaktloses Bezahlen aktuell am beliebtesten

Für den aktuellen "Swiss Payment Monitor" der Universität St. Gallen und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW baten wir unter anderem die Schweizer Bevölkerung, ausgewählte Eigenschaften – insbesondere die Beliebtheit – von Zahlungsinstrumenten und Bezahllösungen zu evaluieren. Bargeld schneidet in acht von zehn Punkten (z. B. Zuverlässigkeit, Akzeptanz, Sicherheit und Kontrolle) deutlich besser ab als die Debit- und Kreditkarte. Diese werden hingegen als viel praktischer und beliebter beurteilt als Bargeld. Das ist zweifelsohne auf die Kontaktlosfunktion zurückzuführen, die mittlerweile bei je rund 90 Prozent der Debit- und Kreditkarten verfügbar ist.

Kontaktloses Bezahlen mit Bezahlkarten ist gemäss unserer Umfrage die mit Abstand beliebteste Zahlungsform in der Schweiz (siehe Tabelle), nicht nur hinsichtlich Beliebtheit, sondern auch über die meisten anderen Dimensionen hinweg, gefolgt vom Bezahlen mit dem Mobiltelefon im Internet (Onlineshop) via hinterlegte Bezahldaten und Bezahlen mit dem Mobiltelefon über eine App mit integrierter Bezahlfunktion (In-App-Zahlung).

 

Die Beliebtheit von kontaktlosen und mobilen Bezahlungslösungen. (Quelle: Swiss Payment Monitor)

 

Mittelmässig bewertet werden die vier mobilen Bezahlformen mittels Überweisung an Privatpersonen, via QR-Code im Internet und Ladengeschäft sowie vor Ort via NFC. Bezahlen mit Wearables (z. B. Uhr und Armband) und mit dem Mobiltelefon via Bluetooth in einem Ladengeschäft rangieren auf den letzten beiden Rängen.

Es ist offensichtlich, dass je einfacher und reibungsloser der Bezahlprozess ist, desto beliebter ist die Bezahl­lösung. Interessanterweise schätzen die Befragten die mobile Bezahllösung via QR-Code mehr als via NFC, obwohl letztere Bezahlform mit Bankkarten prinzipiell dieselbe ist, aber auf dem ersten Platz rangiert. Das lässt sich erstens auf den «Twint-Effekt» zurückführen: Twint ist die beliebteste Schweizer Mobile-Payment-Lösung, die für das Bezahlen hauptsächlich via QR-Code Verwendung findet (neben Bluetooth). Bekannte alternative Möglichkeiten wie Apple Pay, Google Pay und Samsung Pay werden vergleichsweise deutlich weniger eingesetzt und basieren auf der NFC-Lösung.

Zweitens beeinflusst nicht nur die Bezahlform, sondern auch das zugrunde liegende Zahlungsmittel die Beliebtheit der Bezahllösungen: Bankkarten geniessen aktuell (noch) grössere Sympathien als Mobiltelefone und werden vergleichsweise deutlich häufiger als Zahlungsmittel eingesetzt, weil sie länger existieren. Letztlich werden die Vorzüge und Nachteile der Zahlungsmittel und Bezahllösungen für die Konsumentinnen und Konsumenten mit der zunehmenden Einsatzhäufigkeit und den damit einhergehenden Gewohnheiten erkennbar.

 

"Unsichtbare" Zahlungen als Zukunftsszenario

Welche Zahlungsmittellösungen in Zukunft State of the Art sein werden, ist ungewiss. Es lassen sich aber folgende vier Trends beobachten:

  1. Das Mobiltelefon wird zum wichtigsten Zahlungsmittel und zur Schnittstelle, wo alle individuellen Zahlungsströme innerhalb des eigenen Ökosystems zusammenlaufen (Alipay und Wechatpay). Physische Bezahlkarten verschwinden und werden durch digitale ersetzt, die in Mobiltelefonen oder anderen mobilen Geräten hinterlegt sind. Zahlungsanbieter konkurrieren um Angebote rund um "Bezahlen als Service" statt "Bezahlen als Schmerz". Erfolgreich sind diejenigen Produkte, die einfach und reibungslos in der Handhabung sind sowie das umfassendste Ökosystem bereitstellen, das den grössten individuellen Mehrwert bietet. Die optimale Auswertung der Transaktionsdaten bildet dabei die Grundlage.

  2. Biometrische und verhaltensbasierte Bezahlformen werden sich durchsetzen. Zahlungen können mittels körpereigener individueller Merkmale wie etwa Sprache, Augen, Gesichtsform oder Fingerabdruck sowie individuellen Verhaltensmustern wie Gangart oder virtuelles Surfverhalten autorisiert werden. Geld wird in Echtzeit überwiesen, unabhängig von Zeit und Ort (Instant Payment).

  3. Dies führt zu "unsichtbaren" Bezahlvorgängen (sogenannte Seamless beziehungsweise Invisible Payments). Der Bezahlvorgang wird künftig völlig in den Kauf integriert und nicht mehr als eigenständiger Akt erlebt, sowohl bei In-App-Käufen, online oder in Läden ohne Verkaufspersonal. Der "Schmerz des Bezahlens", der bei Bargeld aufgrund der hohen Transparenz am grössten ist, wird verschwinden. Konsumenten geben dadurch mehr aus, die Gefahr der Ver- und Überschuldung steigt. Diebstahl von Waren und Dienstleistungen wird verunmöglicht. Der Konsument wird zum gläsernen Kunden.

  4. Die Kaskade der daraus resultierenden Bezahlvorgänge wird auf der Blockchaintechnologie basieren, die mithilfe von "Smart Contracts" die Transaktionen automatisieren. Digitales Zentralbankgeld ist der neue Geldstandard, bestehende alternative Kryptowährungen haben Sammlerwert. Die Abhängigkeit von den wenigen internationalen Kartenlizenzherausgebern fällt. Die Geldpolitik erhält dadurch einen fein justierbaren Werkzeugkasten, der für geostrategische Machtspiele dienlich ist. Der Einwohner wird zum gläsernen Bürger, der Überwachungskapitalismus zur Realität.

 

Zugegebenermassen muss es in der Schweiz nicht so weit kommen. Die Schweizer haben immer noch eine funktionierende Demokratie, Milliarden von Franken Bargeld im Umlauf und eine treue Schar von Bargeldenthusiasten, die ihre Freiheiten mit allen Kräften verteidigen.

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