Editorial

Posse um Posti-Liste der Post

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Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, leitender Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Die Post leidet unter Transformationsschmerzen. Sie fährt eine neue Strategie unter dem Motto "die Post von morgen" – und bringt sich damit schon heute in die Bredouille. Anlass zur Sorge bereitet die grosse Shopping-Tour. Innerhalb kurzer Zeit übernahm der staatsnahe Betrieb den Werbevermarkter Livesystems, die Buchhaltungssoftware Klara, den Gemeindesoftware-Anbieter Dialog, die Einkaufs-App Bring und die Swiss-ID-Mutterfirma Swisssign. Was die Post mit diesen Zukäufen bezweckt, liegt auf der Hand: Sie will neue Geschäftsfelder bearbeiten, um den Grundversorgungsauftrag zu finanzieren. Viel mehr bleibt ihr nicht übrig, denn das einstige Kerngeschäft der Post, die Briefzustellung, ist seit Jahren rückläufig. Der Digitalisierung sei Dank.

Die neue Strategie der Post sieht auf dem Papier ganz praktikabel aus, doch aus der Privatwirtschaft hagelt es Kritik. Vor allem der Ostschweizer ERP-Anbieter Abacus poltert – kein Wunder, denn die Post drängt mit gleich zwei dieser Übernahmen ins Kerngeschäft der Softwarefirma. Das Unternehmen konkurriert mit Klara wie auch mit Dialog. Abacus-Chef Claudio Hintermann machte seinem Unmut auch Luft in einem Gastkommentar in der "NZZ". Und wo er Recht hat: Die Post verzettelte sich, als sie versuchte, sich für die Zukäufe zu rechtfertigen. So liess sich beispielsweise Post-Managerin Nicole Burth zur Aussage hinreissen, die Post leiste in den neuen Geschäftsfeldern "eine Art digitale Entwicklungshilfe" für KMUs und Behörden. Das ist ebenso anmassend wie falsch. Die Post will mit diesen Übernahmen niemandem dienen ausser sich selbst – sie will damit Geld verdienen. Das muss sie auch. Und das ist der Kern des Problems: Die Post steckt im Dilemma zwischen politischem Auftrag und Marktzwängen. Und dieses Dilemma lässt sich nicht so leicht aufheben.

Avenir Suisse sieht das anders. Der wirtschaftsliberale Think Tank, der darauf spezialisiert ist, Privatisierungsforderungen als Studien zu tarnen, führt schon seit Jahren einen Feldzug gegen "Staatsbetriebe" und den Service public. Pikant: Der Think Tank lässt seine Lobbyarbeit auch durch Gelder von staatsnahen Betrieben finanzieren, wie eine Recherche der linken Zürcher Wochenzeitung "P.S." im Herbst 2021 zeigte: Sowohl die SBB wie auch die Swisscom zählen zu den Förderern von Avenir Suisse. Das ist in doppelter Hinsicht ironisch. Zum einen deswegen, weil Avenir Suisse mit Nachdruck betont, man sei privat getragen und "frei von Partikularinteressen". Zum anderen, weil bundesnahe Betriebe die politischen Forderungen zur eigenen Privatisierung mitfinanzieren.

In all den Grundsatzdiskussionen für oder gegen eine Privatisierung von staatsnahen Betrieben geht vergessen, dass bestimmte Wettbewerbsverzerrungen politisch gewollt sind. Das betrifft insbesondere die Post. Bis dato finanziert der Konzern die Grundversorgung über die Erträge der Postfinance und das Restmonopol auf Briefe bis 50 Gramm. Diese Quersubventionierung erweckte den Eindruck, die Grundversorgung sei gratis, schreibt die "NZZ". Und das brachte die bürgerlichen Politiker in eine Pattsituation. Im Parlament ist die Privatisierung der Post praktisch chancenlos. Denn wenn der Service public auf dem Spiel steht, kommen ordnungspolitische Grundsätze schlecht an. Nichts sagen ist aber auch keine Option, immerhin stehen schon im kommenden Jahr Parlamentswahlen an. Und so bleibt nur der klassische Verlegenheitsausweg der Politik: gegen die Zustände wettern und trotzdem nichts dagegen tun.

Die Post hat das übrigens alles durchkalkuliert. "Wir sind nicht im Kaufrausch, sondern verfolgen eine fokussierte Strategie", sagt Post-CIO Wolfgang Eger im Interview. Ziel sei es, die Grundversorgung weiterhin selbst finanzieren zu können – "und zwar ohne Steuergelder". Das ist schlau formuliert. Denn selbst die schärfsten Kritiker des Service public haben nichts dagegen in der Hand.

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