Wild Card von Pascal Sieber

Ein Plädoyer für mehr Entdeckergeist

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von Pascal Sieber, Dr. Pascal Sieber & Partners

Wir erleben wirtschaftliche und gesellschaftliche Unsicherheiten wie selten zuvor. Globale Märkte und politische Systeme ­geraten unter Druck. Zwar gewinnen Unternehmen an Produktivität durch Digitalisierung. Dies geht aber einher mit zunehmender Abhängigkeit von globalen, digitalen Infrastrukturen, die weitgehend in den Händen der digitalen Giganten liegen. Viele etablierte Unternehmen sind in einen ungesunden Aktionismus geraten.

Pascal Sieber, VRP und Berater, Dr. Pascal Sieber & Partners. (Source: zVg)
Pascal Sieber, VRP und Berater, Dr. Pascal Sieber & Partners. (Source: zVg)

Software is eating the world 

Unsere Messungen zum ICT-Aufwand in Unternehmen zeigen eine plötzliche Steigerung an, die etwa 2019 eingesetzt hat. In den Informationsgüterbranchen (z. B. bei Banken) liegt der ICT-Aufwand bereits zwischen 20 und 40 Prozent des Gesamtaufwandes. In den von Anlagen geprägten Branchen (z. B. in der Energiewirtschaft) liegt er über 10 Prozent. 

Als sie nicht mehr wussten, wo sie waren, begannen sie schneller zu laufen

Viele KMUs betreiben Herstellung, Handel und Logistik gleichzeitig. Ihre Geschäftsmodelle sind vielfältig. Um die damit verbundene Komplexität zu bewältigen, bauen sie in allen Bereichen digitale Lösungen. Jede dieser Lösungen ist mit einer Investition, Betriebskosten und Komplexitäten verbunden. 

Digitalisierungsprojekte verlaufen oft nicht wie geplant. Das lineare Vorgehen aus der industriellen Welt versagt, weil sich zu viele Parameter gleichzeitig ändern: Wenn nämlich nur alte Organisation digitalisiert wird, dann entsteht teure, alte Organisation; erst wenn eine Transformation stattfindet, kann sich der Nutzen entfalten. Wenn Zeitpläne und Budgets ins Wanken geraten, tendieren Managerinnen und Manager dazu, auf die Forderung nach noch mehr Ressourcen einzugehen, dafür aber die Kontrolle zu verstärken. Beides erhöht die Misserfolgsrate. 

Immer wieder den Kompass ausrichten

Führungskräfte geraten unter Druck. Sie müssen wirtschaftliche Risiken und soziale Spannungen managen, den Anpassungsdruck in Organisationen steuern und zwischen den Ansprüchen der Investoren oder Gesetzgeber, den Sorgen ihrer Mitarbeitenden und den eigenen persönlichen Belastungen balancieren. Es wird von ihnen erwartet, dass sie wissen, was zu tun ist.

Wir müssen aber wahrscheinlich zur Kenntnis nehmen, dass der derzeitige Wandel nicht genügend gut verstanden werden kann. Es treffen nämlich drei exponen­tiell verlaufende Entwicklungen aufeinander: die Computerpower, die Netzwerkkapazitäten und die Netzeffekte durch immer intensivere Vernetzung von immer mehr Menschen (Social Networks) und Dingen (Internet of Things). 

Generative künstliche Intelligenz wurde erst auf der Basis von günstiger Computerpower, der ständigen Onlineverbindungen und dem Zusammenschluss von Milliarden von Menschen mit Billionen von Datenquellen möglich, und jetzt beschleunigt genau diese generative künstliche Intelligenz den gesellschaftlichen Wandel nochmals enorm und ruft weitere Unsicherheiten hervor. 

«URL – Users First, Revenue Later» – dieses Motto verfolgen Investoren von Start-ups, die das Potenzial haben, sehr viele Konsumenten und Konsumentinnen zu begeistern. Um eine Idee auszutesten, passt das Motto aber auch für jedes andere Unternehmen.

Ich plädiere dafür, öfter die Entdeckungsreise nach den Signalen für Fortschritt und Misstritt zuzulassen. Es braucht wohl etwas Vertrauen, die alten Bewertungsmuster zu hinterfragen, aber nur dann können wir lernen, die Dynamik der exponentiellen Entwicklungen zu nutzen, um viele Menschen innert weniger Momente zusammenbringen, um etwas zu kaufen, jemanden zu wählen, eine Marke zu loben oder was auch immer wir erreichen wollen. 

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