Pascal Sieber zum CNO-Panel

Wo Schweizer Business-Software ihre Stärken ausspielt

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Als Gründer und Partner eines Beratungsunternehmens kennt sich Pascal Sieber in der Schweizer Softwareindustrie aus. Im Gespräch sagt der Gastgeber des jährlichen CNO Panels, wo einheimische Anbieter punkten und wie KI sich auf die Resilienz auswirkt.

Pascal Sieber, Gründer und Partner, Dr. Pascal Sieber & Partners
Pascal Sieber, Gründer und Partner, Dr. Pascal Sieber & Partners

In Zusammenarbeit mit der Universität Bern veröffentlichen Sie regelmässig den Swiss Software Industry Survey (SSIS), eine Untersuchung zur Schweizer Softwareindustrie. Was spricht aktuell am ehesten dafür, sich für Business-Software aus der Schweiz zu entscheiden?

Pascal Sieber: Fast alle Standardsoftware im Bereich Business-Software entstammt dem Paradigma der 1980er- und 1990er-Jahre, als man allmählich realisierte, dass dank der Softwareunterstützung die Geschäftsprozesse neu gedacht und als End-to-End-Prozesse mit höherer Produktivität und besserer Qualität gestaltet werden können. Angebote wie jenes von SAP sind ein typisches Beispiel dafür. Dieses Paradigma ist in der Zwischenzeit mehr als überholt, denn wir befinden uns jetzt in der Ära des Business-Network-Redesign, man spricht auch von Ökosystemen, virtuellen Unternehmen, Netzwerkunternehmen und Ähnlichem. In der Zwischenzeit haben einige der Business-Software-Anbieter, weitgehend auch SAP, den Paradigmenwechsel eingeläutet. Bei der Auswahl der Business-Software sollte also vorerst darauf geachtet werden, dass der Hersteller den Paradigmenwechsel bereits vollzogen hat oder dies plant und genügend Mittel hat, ihn zu vollziehen. Für Schweizer Anbieter sprechen die Nähe zum wirtschaft­lichen Umfeld und zum Rechtssystem in der Schweiz. Es gibt durchaus Schweizer Anbieter, die eine zukunftsfähige Softwarearchitektur anbieten und die Schweizer Verhältnisse sehr gut kennen.

Für welche Branchen entwickeln Schweizer Softwareunternehmen am häufigsten Lösungen? Und warum?

Einerseits fungieren die Schweizer Softwarefirmen als «verlängerte Werkbank» der Schweizer Kunden. In vielen Branchen macht dies den Hauptteil des Umsatzes der Schweizer Softwareindustrie aus. Hier stammen die Hauptabnehmer aus der öffentlichen Verwaltung, den Schweizer Regie­betrieben, etwa Post, SBB oder Energieversorger, der Pharmaindustrie, den Versicherungen und der Biotechindus­trie. Andererseits gibt es Schweizer Softwarefirmen, die vorgefertigte Lösungen anbieten. Das kann eine Standardsoftware oder eine auf der Basis von viel Erfahrung und Halbfabrikaten hergestellte Individualsoftware sein. In diesem Bereich sind die Hauptabnehmer die Finanzindustrie, das Gesundheitswesen, der Handel, die Logistik und alle traditionellen Dienstleistungen.

Wo gibt es eine internationale Nachfrage mit guter ­Ausgangslage für hiesige Anbieter?

Dies sind meines Erachtens alle Bereiche der Hochtechnologie und diejenigen mit hoher Komplexität und Innovationsanforderungen wie etwa der Cybersecurity, künstlichen Intelligenz, aber auch Industrial Internet of Things, Augmented Reality etc. In einigen dieser Bereiche haben Schweizer Softwarehäuser ja tatsächlich erhebliche Anteile an der globalen Innovation geleistet. So stammen etwa die 3-D-Scanner in den Mobiltelefonen aus Schweizer Feder. Dennoch bleibt das Potenzial gross.

KI ist aktuell in aller Munde. Populär sind dabei vor allem die Angebote grosser ausländischer Tech-Unternehmen. Wie beurteilen Sie das Angebot an KI-Lösungen aus der Schweiz?

Einige Anwendungen von künstlicher Intelligenz sind bereits in den jeweiligen Geschäftstätigkeiten etabliert. Dazu gehören etwa Systeme für die Fraud Detection bei Banken, die mit Machine Learning arbeiten. Neu sind die oft als Gen­AI bezeichneten Technologien, bei denen mithilfe von Sprachmodellen Inhalte kreiert werden können, um allerhand Fragen zu beantworten oder sogar ganze informationelle Workflows zu automatisieren. Hier stehen wir tatsächlich noch in der Phase der überhöhten Erwartungen, allerdings glaube ich, dass da etwas ganz Grosses auf uns zukommt. KI-Lösungen aus der Schweiz sind nicht a priori anders oder gar besser als alle anderen, allerdings haben wir in der Schweiz einige der weltweit führenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, was eine riesige Chance ist. Im Moment wird oft ins Feld geführt, dass Schweizer Lösungen die kulturelle Verzerrung sowie den Datenschutz für uns besser im Griff haben als die Lösungen der globalen Anbieter. Das stimmt wahrscheinlich.

Kritische Stimmen warnen bereits vor einer irgendwann platzenden KI-Bubble. Inwiefern neigen Schweizer Software­unternehmen dazu, KI zu überschätzen?

Ich glaube nicht, dass es eine KI-Bubble gibt, dennoch wird es Firmen geben, die sich vertun und auf das falsche Pferd setzen. Schweizer Softwarefirmen überschätzen das Potenzial meiner Erfahrung nach nicht. Es gibt aber sicher ein paar Marktteilnehmer, die ihren Investoren absurde Dinge versprechen.

Das von Ihrem Unternehmen und diversen Partnern ausgerichtete CNO Panel steht dieses Jahr unter dem Motto «Corporate Resilience and AI – Widerstandsfähigkeit im KI-Zeitalter». Wo und wie nützt KI Ihrer Ansicht nach der Widerstandsfähigkeit?

GenAI hilft dabei, in kurzer Zeit Situationen zu analysieren, ja sogar durch Agenten beobachten zu lassen. Sie hilft auch dabei, Systeme schneller umzubauen. Ganz wichtig aber ist: Mit KI kann Forschung und Entwicklung neu gedacht werden. Man setzt KI bereits etwa in der Marktforschung ein, um das Verhalten von Konsumentinnen und Konsumenten zu simulieren. Im Vergleich zur Durchführung von Befragungen erhält man so sehr viel schneller Resultate, die freilich eine neue Art der Verzerrung bieten, die man in den Griff bekommen muss.

Und umgekehrt gefragt: Gegen welche KI-Gefahren müssen wir widerstandsfähiger werden?

Hier sehe ich zwei Gefahren: Die eine befasst sich mit dem jeweiligen Geschäftsmodell und den Tätigkeiten und Fähigkeiten einer Organisation. Alle müssen darauf gefasst sein, dass ihre Fähigkeiten und am liebsten durchgeführten Tätigkeiten nächstens nicht mehr oder in anderer Weise gefragt sind. Die andere Gefahr befasst sich mit kriminellem Verhalten: Heute erkennt fast jeder von uns einen Phishing-Angriff. Das wird immer schwieriger werden, und dies gilt für viele weitere Angriffsarten und Tatbestände.

Die Keynote-Speaker am CNO Panel stammen aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Politik. Warum ist das alles wichtig?

Resilienz spielt sich auf vielen Ebenen ab, die sehr stark zusammenhängen. Ohne die beständige Technologie ist heute nichts mehr möglich. Ohne physisch und psychisch gesunde Menschen, die sich in Teams mit Güte, Wohlwollen und Professionalität sammeln, schon gar nicht. Und erst auf dieser Basis funktioniert eine ganze Firma. Sie wiederum muss in ein gesellschaftliches Modell eingebettet sein, das Rechtssicherheit und Preisstabilität bietet. Die Rolle der Wissenschaft und Lehre ist dabei wohl entscheidend, denn dadurch haben die Menschen eine Chance, sich zu befähigen für die Resilienz auf all diesen Ebenen.

Als Beratungsunternehmen begleiten Sie Ihre Kunden bei strategischen Entscheidungen im Softwarebereich. Unter welchen Umständen entscheiden sich diese gegen Business-Software aus der Schweiz?

Unsere Kunden sind zu fast 100 Prozent Unternehmen und Verwaltungen, die mitten in der digitalen Transformation stecken. Es sind also Organisationen, die gegründet wurden, bevor das digitale Zeitalter in der Schweiz in der Praxis angekommen ist. Sie sind daran, die technischen Schulden aus der Vergangenheit abzubauen – etwa fehlende Interoperabilität zwischen den Systemen – und gleichzeitig in die Funktionalität für das digitale Zeitalter, etwa Kundenportale für die Selbstbedienung, zu investieren. In den meisten Branchen sind bereits international- oder sogar global tätige Business-Software-Anbieter etabliert, die diesen Wandel für sehr viele Kunden begleiten. Viele der Schweizer Anbieter mit einer Branchenfokussierung sind technologisch weit hinter den weltweit führenden Softwareherstellern zurückgeblieben und es gelingt ihnen nur teilweise oder gar nicht, mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Schweizer Kunden setzen dann auf die grossen, weltweit tätigen Anbieter wie SAP, Microsoft, Salesforce etc. Die meisten Schweizer Unternehmen sind allerdings nicht auf komplexe Gesamtlösungen angewiesen. Ihre Geschäftsmodelle sind einfach und sie benötigen neben der Finanzbuchhaltung spezifische Funktionalitäten wie E-Shops, Reservierungssysteme, CRM-Lösungen etc. Mit Ausnahme der Finanzbuchhaltung stehen solche spezifischen Funktionalitäten heute von sehr vielen Anbietern aus aller Welt – auch aus der Schweiz – zur Verfügung.

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