Wild Card von Marcel Dobler

Braucht die Schweiz ein digitales Testament?

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Jede volljährige und handlungsfähige Person hat grundsätzlich die Möglichkeit, ihren letzten Willen beziehungsweise ihre A­nordnungen für den Fall der Handlungsunfähigkeit handschriftlich niederzuschreiben und damit gültig und kostenlos ein Testament oder einen Vorsorgeauftrag zu errichten. Dies gilt jedoch nicht für Menschen mit körperlichen Einschrän­kungen wie Hör- oder Sehbehinderungen.

(Source: zVg)
(Source: zVg)

Bisherige gesetzliche Regelung

Seit Inkrafttreten des aktuellen Erbrechts im Jahr 1907 unterliegt die Errichtung eines Testaments sowie neu auch eines Vorsorgeauftrags bestimmten Formvorschriften: Für deren Gültigkeit ist entweder eine handschriftliche Niederschrift oder eine öffentliche Beurkundung ­erforderlich. Diese Formvorschriften sollen leichtsinniges und unüberlegtes Handeln verhindern. Neben diesen beiden ordentlichen Errichtungsformen besteht (mit Ausnahme des sogenannten Nottestaments infolge ausserordentlicher Umstände wie Epidemien oder Kriegsereignissen und so weiter) keine andere Möglichkeit, gültig ein Testament oder einen Vorsorgeauftrag zu errichten.

Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen

Für verschiedene Bevölkerungsgruppen (insbesondere Menschen mit körperlichen Einschränkungen wie ­------Hör- oder Sehbehinderungen und so weiter) ist jedoch die Form der handschriftlichen Niederschrift von vorn­herein ausgeschlossen und sie können sich lediglich der Form der öffentlichen Beurkundung bedienen, was (infolge des kantonal verschieden geregelten Beurkundungsverfahrens) unterschiedliche Kosten nach sich zieht. Dies stellt wohl eine unzulässige Diskriminierung gemäss Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung dar, wonach niemand wegen einer körper­lichen Behinderung ­diskriminiert werden darf.

­Ist die Zeit reif für eine digitale Verfügungsform?

Angesichts der Entwicklung moderner Technologien ist es aus meiner Sicht angebracht, eine digitale Verfügungsform zu akzeptieren. Sinnvollerweise sollte diese neue, digitale Verfügungsform anlässlich der laufenden Revi­sion des Erbrechts diskutiert werden.

Eine audiovisuelle Verfügungsform schafft zum ­Beispiel in technischer Hinsicht einen überzeugenden Beweis und bietet sich damit als neue Form für das ­Testament sowie den Vorsorgeauftrag an. Darüber hinaus ist die Erstellung von Kopien eines digitalen Testaments beziehungsweise Vorsorgeauftrags viel einfacher möglich.

Auch in der laufenden Revision des Erbrechts machte der Bundesrat (zwar nur, aber immerhin) Vorschläge für ein audiovisuelles Nottestament. In der Sommersession 2020 reichte ich deshalb ein Postulat ein mit dem Antrag auf Prüfung einer digitalen (zum Beispiel audiovisuellen) Verfügungsform (unter Wahrung des heutigen Schutzniveaus für Testierende sowie Vorsorgeauftraggebende) für Testamente und Vorsorgeaufträge, damit eine Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen in Bezug auf die Formvorschriften vermieden werden kann sowie die Erstellung vereinfacht wird, damit neue Möglichkeiten geschaffen werden können. Dieses Postulat wurde vom Bundesrat zur Annahme empfohlen und sodann vom Nationalrat ohne eine Gegenstimme in der Herbstsession 2020 angenommen. Es wird sich zeigen, ob die Zeit bereits reif ist für eine digitale Verfügungsform.

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DPF8_197003