"Ich möchte die Mitarbeitenden auf diese Reise mitnehmen"
Christian Gassner, Leiter ICT bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, spricht über die Schwierigkeit, bei IT-Fragen unterschiedliche Denkweisen zu vereinen, und welche Rolle IT in der ZHAW zukünftig spielen soll.

Christian Gassner, geboren 1968, schloss 1991 sein Informationsmanagement-Studium an der HSG ab, wo er 1996 promovierte. Er ist Certified Senior Project Manager IPMA B. Gassner arbeitete von 1996 bis 2000 bei der Zurich Versicherung in leitender Position. Ab 2000 nahm er für die Winterthur (heute Axa-Winterthur) in Japan verschiedene Aufgaben wahr. Nach seiner Rückkehr 2005 war Gassner in leitenden Funktionen in IT-Projekten im HR-Bereich tätig. 2008 wechselte er zur ZHAW. Christian Gassner lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Winterthur.
Herr Gassner, Sie arbeiten seit rund fünfeinhalb Jahren bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, kurz ZHAW, und sind inzwischen als Leiter ICT tätig. Wie hat sich Ihr Arbeitsumfeld in den letzten Jahren geändert?
Wir haben als ZHAW ein extremes Wachstum hinter uns. Als ich mich beworben habe, waren wir zirka 1700 Mitarbeitende, jetzt sind es rund 2800. Analoges gilt auch für die Studierendenzahlen. Nebst dem Verkraften dieses enormen Wachstums stabilisierten wir den Betrieb, bauten Services aus und erzeugten eine stärkere Akzeptanz beim Kunden, also bei den Mitarbeitenden und den Studierenden. Auch die Anforderungen und Ansprüche, die an uns gestellt werden, sind enorm gestiegen. Sie sind inzwischen ziemlich ähnlich wie in einem privatwirtschaftlichen Betrieb, beispielsweise was die Verfügbarkeit der Systeme und der Problembehandlung betrifft. Wenn ich früher nicht drucken konnte, musste ich mir als Nutzer überlegen, ob ich diejenigen anrufe, die für die Infrastruktur zuständig sind oder diejenigen, die für die Applikationen verantwortlich zeichnen. Heute wende ich mich an den Service Desk.
Früher hatten Sie also keinen Service Desk?
Nein, den haben wir 2010 eingeführt. Inzwischen steht der Service Desk von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends und am Samstag von 8 bis 12 Uhr zur Verfügung. Hier muss ich vielleicht noch erwähnen, dass die Abteilung ICT nicht die ganze Informatik der ZHAW umfasst. Unsere acht Fachdepartemente sind relativ autonom organisiert, und einige haben eigene Fachleute, die beispielsweise für den Support zuständig sind. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass etwa 80 Prozent der ganzen Informatik bei uns angesiedelt ist.
Wie haben die Mitarbeitenden damals auf die Einführung des Service Desks reagiert?
Es war keineswegs so, dass sich alle darüber gefreut hätten. Zuerst gab es viele Vorbehalte.
Wieso denn?
Die Kunden befürchteten unter anderem weniger Kundennähe, umständliche Prozesse und längere Durchlaufzeiten. Wir haben in die neu definierten Prozesse auch den Support in den Departementen eingebunden, was anfangs Vorbehalte auslöste. Inzwischen ist der Service Desk etabliert und nicht mehr wegzudenken. Wir hatten zudem mehrere Abteilungen mit verschiedenen SLAs, die wir unter einen Hut bringen mussten. Wir hatten und haben teilweise auch selbstentwickelte Applikationen, die wir ablösten und durch Standards ersetzten.
Wie konnten Sie das alles vereinfachen?
Wir haben uns fokussiert und unsere Services definiert. Heute laufen unsere Services und die Infrastruktur stabiler. Wir bieten jetzt Services an, die es früher so nicht gab, und haben insgesamt eine viel stärkere Redundanz aufgebaut. Beispielsweise haben wir einen Grossteil der Infrastrukturen virtualisiert. Durch unser starkes Wachstum in den letzten Jahren haben wir auch mehr Gebäude, was beispielsweise bedeutet, dass der Netzwerkbereich grösser geworden ist. Wir haben auch Prozesse professionalisiert, beispielsweise im Changeund Release-Management für Geschäftsapplikationen. Früher konnte ein Service oft genau einer Person zugeordnet werden, und manche Mitarbeitende waren neben der IT noch für andere Fachaufgaben zuständig. Client Engineering oder die Aufgabe des ICT-Sicherheitsbeauftragten war früher ein Nebenjob. Heute ist das nicht mehr so.
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass Sie, etwas salopp ausgedrückt, in den letzten fünf Jahren aufgeräumt haben und nun nach vorne blicken können?
Ja. Aus meiner Sicht sind wir jetzt in einer Situation, in der wir uns über strategische Dinge Gedanken machen können.
Was heisst das?
Aktuell ist unser Hauptjob die Bereitstellung der IT-Infrastruktur. Dieses Jahr wird eine ZHAW-Strategie erarbeitet. Das ist für mich der richtige Zeitpunkt, um zu fragen, inwieweit die Informatik an einer Hochschule einen strategischen Beitrag leisten kann oder muss.
Wissen Sie schon, wohin der Weg führt?
Nein, noch nicht. Der Inhalt der ZHAW-Strategie wird im dritten Quartal in der Form vorliegen, dass wir den Beitrag der Informatik ableiten können. Es ist jedoch absehbar, dass sich die Anforderungen an uns ändern werden, und das bedeutet auch, dass sich die Anforderungen an die Mitarbeitenden ändern. Ich möchte ganz bewusst versuchen, die Mitarbeitenden auf diese Reise mitzunehmen und sie zu involvieren, damit sie sich überlegen, was ihre Rolle beinhaltet und wo sie einen strategischen Beitrag leisten können.
Haben Sie das in der Vergangenheit nicht getan?
Doch schon, aber wenn ich ehrlich bin, weniger bewusst, und ich konnte oft nur ad hoc reagieren. Wir haben eine Zeit mit hoher Fluktuation hinter uns. Teilweise hat sich die Umgebung für die Mitarbeitenden zu sehr geändert, teilweise haben ICT-Mitarbeitende einfach aus Frust gekündigt. Aufgrund des Zusammenschlusses zur ZHAW im Jahr 2007, dem enormen Wachstum und den sich stark geänderten Anforderungen haben wir enorme Veränderungen hinter uns. Die Aufgaben und auch die Arbeitsweisen haben sich stark geändert, da wir von kleinen Teams zu einer inzwischen 70-Personen-Abteilung geworden sind. Ich aber lebe von den Leuten. Wir sind kein Hightech-Laden, und ich muss mich stets fragen, was ich den Mitarbeitenden bieten kann. Die kantonalen Anstellungsregelungen geben ein stärkeres Korsett vor, als es in der Privatwirtschaft der Fall ist. Da ist es für mich wichtig, die Kultur, die wir aufgebaut haben, zu pflegen.
Was bedeutet das konkret für die Mitarbeiter?
Wenn wir einen strategischen Beitrag leisten wollen, werden wir nicht wie bisher alles selbst machen. Es wird neue Aufgaben geben, es werden aber auch Aufgaben wegfallen. Ich muss den Mitarbeitenden bewusst machen, dass sich viele Dinge geändert haben. Jemand, der vor zehn Jahren in einer Hochschule angefangen hat, hatte ein anderes Denken und andere Serviceansprüche, als wir es heute haben. Beispielsweise haben wir vor fünf Jahren eine Applikation mitten am Tag runtergefahren, wenn es ein Problem gab, und es gab kaum Kundenreaktionen. Das können wir heute nicht mehr tun.
Sie haben anfangs gesagt, Sie hätten etwa 80 Prozent der gesamten ZHAW-Informatik unter sich. Bereiten Ihnen die restlichen 20 Prozent Sorgen?
Mir persönlich in bestimmten Bereichen schon, ja. Fachdepartemente entwickeln teilweise Applikationen autonom oder kaufen welche ein und kommen dann zu uns, um diese zu integrieren. Wir stellen dann immer wieder fest, dass die Abklärungen nicht abschliessend erfolgt sind, beispielsweise was die Sicherheit betrifft, oder dass die Integration und der Betrieb aufwändig sind. Zudem versuchen wir natürlich abzuklären, ob die Nutzung der Applikation für weitere Departemente interessant wäre.
Funktioniert das gut?
Ja, die Kommunikation ist massiv besser geworden. Ich glaube auch dadurch, dass unser Service besser geworden ist, ist der Austausch nun viel offener. Aber ich frage mich, ob wir nicht noch einen Schritt weiter gehen könnten. Es geht mir nicht darum, alles zu zentralisieren, sondern darum, sinnvoll zu standardisieren und Services möglichst aus einer Hand anzubieten. Hierzu müssen wir genauer überlegen, wer was macht, wer was entscheidet, und ob diese Entscheide am richtigen Ort getroffen werden. Im Bereich IT-Governance gibt es also noch Potenzial. Es stellt sich die Frage, ob die Gesamtmenge der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel – also die 100 Prozent der ICT-Ressourcen – optimal eingesetzt werden. Das wird ein ganz zentrales Thema, denn ich behaupte, dass der Kostendruck in Zukunft viel stärker werden wird.
Was glauben Sie, wird die Zukunft bringen?
Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft hybride Cloud-Services haben werden. Dass man also nicht über Jahre im Voraus entscheiden muss, was man benötigt, sondern dass man etwas opportunistisch dazukauft, wenn man einen kurzfristigen Bedarf hat. Dazu benötigen wir neue Skills, die wir erst intern aufbauen müssen, also Einkaufskompetenzen, Beobachtung des Marktes und so weiter. Zudem müssen wir unsere Basisinfrastruktur so ausrichten, dass man solche Dinge relativ schnell einbinden kann.
Welche anderen Themen werden Sie sonst beschäftigen?
Der Bildungssektor ist im Umbruch, sowohl technisch als auch regulatorisch mit neuen Gesetzen. Das müssen wir genau beobachten. Wir müssen unsere Prozesse und Infrastruktur so gestalten, dass wir schneller entscheiden und schneller Lösungen umsetzen können. Auch die Sicherheit hat in den letzten fünf Jahren massiv an Bedeutung gewonnen. Daher haben wir dieses Jahr eine Awareness-Kampagne mit dem Titel "Wissen schützen" lanciert und thematisieren quartalsweise Security- Themen. Diese Kampagne ist über mehrere Jahre geplant. Wir wollen den Mitarbeitenden nicht lauter Regeln präsentieren, bis ihnen der Kopf platzt, sondern wollen sukzessive eine Verhaltensänderung erreichen. Das Erstaunliche dabei ist ja, dass sich die Leute zwar oft darüber bewusst sind, sich aber nicht entsprechend verhalten.
Wie kommt das?
Ein Beispiel: Unsere Systeme bieten aktuell nicht das, was die Mitarbeitenden von Dropbox gewohnt sind. Leider ist aber der Speicherort von Dropbox relativ heikel, gerade wenn man Forschungsdaten dort speichert.
Können Sie da als ZHAW überhaupt mithalten?
Nun, es ist schwierig, wenn der Nutzer einfache Lösungen zuhause für einen spezifischen Zweck nutzt und daran gewöhnt ist, während wir das in einer grösseren Infrastruktur unter Berücksichtigung aller regulatorischer Anforderungen managen und bereitstellen müssen. Hinzu kommt, dass wir eine Expertenorganisation mit acht Fachdepartementen sind und somit auch viele Kulturen haben. Das ist einerseits spannend, andererseits aber auch eine grosse Herausforderung. Jemand, der in der Informatik forscht, funktioniert anders als jemand, der in der Sozialen Arbeit unterwegs ist. Und das müssen wir alles unter einen Hut bringen. Manchmal ist es schwierig bis unmöglich, eine Lösung oder einen Konsens zu finden. Der Zeitaufwand und die resultierende Durchlaufzeit sind oft beträchtlich. Hierfür ein Verständnis zu schaffen, ist eine grosse Herausforderung.
Wie argumentieren Sie in solchen Fällen?
Ich versuche, die Themen immer zu versachlichen. Man provoziert sehr schnell Emotionen, vor allem, wenn man einen sehr spezifischen Blickwinkel hat. Grundsätzlich wollen die Leute ja einfach nur arbeiten. Einerseits sollten wir ihnen das ermöglichen, aber andererseits müssen sie natürlich auch Regeln und Gesetze einhalten. Das Verständnis dafür zu erzeugen, ist nicht immer ganz einfach. Gerade wenn man mit Experten zu tun hat, die in ihrem Gebiet Koryphäen sind, wird man auch mal als Ballast wahrgenommen. Da muss man sich zurücknehmen und die Sache durchdiskutieren.
Zur Firma: ZHAW
Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) arbeitet in Lehre, Forschung, Weiterbildung, Dienstleistung und Beratung. Absolventen der ZHAW sind nach dem Studium arbeitsmarktfähig, auch in einem internationalen und interkulturellen Umfeld. Die ZHAW ist daher nicht nur regional und national, sondern auch international ausgerichtet und vernetzt. Die Fachdepartemente der ZHAW sind: Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen, Gesundheit, Angewandte Linguistik, Life Sciences und Facility Management, Angewandte Psychologie, Soziale Arbeit, School of Engineering sowie School of Management and Law.
Stichworte
Das kann ich jederzeit empfehlen:
Länger im Ausland leben und arbeiten.
Darüber habe ich zuletzt gelacht:
Über mich selbst.
Darüber habe ich mich zuletzt geärgert:
Über eine Lösung ohne Berücksichtigung der Optik der Gesamt-ZHAW.
Heute in zehn Jahren:
Möchte ich mit der Familie zum Heliskiing.

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