Partner-Post Experteninterview

"Medizin wird präziser, kein ­Zusammenhang bleibt unentdeckt"

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Das Start-up kaiko.ai entwickelt KI-Assistenten für das Gesundheitswesen, eine Art «ChatGPT für Spitäler». Dieser Chatbot bündelt Patientendaten aus verschiedenen Quellen, unterstützt Ärzte bei Therapieentscheidungen und reduziert Bürokratie. Im Interview erklären Robert Berke und Marvin Karacsony von kaiko.ai, wie KI zu besseren Therapieerfolgen führen kann und den Klinikalltag ­effizienter gestaltet.

(l.) Marvin-Sebastian Karácsony, Director of Commercial, kaiko.ai. und (r.) Robert Berke, Co-Founder und CTO, kaiko.ai.
(l.) Marvin-Sebastian Karácsony, Director of Commercial, kaiko.ai. und (r.) Robert Berke, Co-Founder und CTO, kaiko.ai.

Robert Berke, was war die Motivation hinter der Gründung von kaiko.ai im Jahr 2021 – und welches konkrete Problem in der Medizin möchten Sie lösen?

Robert Berke: Ich habe gemeinsam mit CEO Thomas ­Hufener kaiko.ai gegründet, weil wir überzeugt sind, dass die KI-Revolu­tion die enorme Komplexität der Onkologie verstehen kann. Unser Anspruch ist es, diese Vision effizient und gleichzeitig im Einklang mit europäischen, ethischen Standards umzusetzen. In der Medizin entstehen riesige Datenmengen – angefangen von der Pathologie über die Radiologie bis hin zu Genomik und klinischen Notizen. Heute bleiben viele dieser Informationen ungenutzt, obwohl sie das Potenzial haben, die Behandlung von Patientinnen und Patienten deutlich zu verbessern. kaiko.ai bringt diese Datenquellen zusammen und ermöglicht Ärzten, ein vollständiges Bild der Patienten zu bekommen. Früh konnten wir dafür eine strategische Partnerschaft mit dem Netherlands Cancer Institute aufbauen, weil dieses unsere Vision teilt. Gleichzeitig wollen wir mit unserer Technologie die administrative Last in Spitälern spürbar senken, damit Ärzte und Pflegende wieder mehr Zeit für das Wesentliche haben: den Austausch von Mensch zu Mensch.

Sie arbeiten mit einem multimodalen LLM (MLLM) für die medizinische Anwendung. Was muss man sich darunter vorstellen, und wie verändern Sie dadurch etwa die Behandlung von Krebs, worauf ­kaiko.ai vor allem setzt?

Berke: Ein multimodales LLM kann unterschiedliche medizinische Daten wie Bilder, Genomprofile und klinische Notizen gleichzeitig – und somit Patienten ganzheitlich – verstehen. In den vielen medizinischen Disziplinen, wie etwa der Onkologie, ist das entscheidend, weil erst die gesamtheitliche Verknüpfung aller Informationen ein vollständiges Bild ergibt. Unser Ziel ist es, einen multidisziplinären klinischen KI-Assistenten und Agenten zu entwickeln, um Ärztinnen und Ärzte dabei zu unterstützen, Therapien gezielter zu planen und für das gesamte klinische Personal den administrativen Aufwand zu reduzieren.

Wie könnte ein Krebspatient oder eine -patientin in der Zukunft ganz konkret von Ihrer Lösung profitieren?

Berke: Unser KI-Assistent ist in der Lage, die Qualität von Patientendaten zu verbessern, indem er sicherstellt, dass keine relevanten Befunde oder Informationen übersehen werden, und verschafft Ärztinnen und Ärzten dank des longitudinalen Trackings, auch Längsschnittstudie genannt, über die gesamte Patient-Journey hinweg einen holistischen Blick und wird in Zukunft mittels Clinical Reasoning helfen, Therapien für optimale Resultate noch gezielter einzusetzen. Zudem haben Ärzte durch die signifikante Reduktion ihrer administrativen Tätigkeit mehr Zeit für ihre Patienten. So entsteht ein Nutzen auf zwei Ebenen: bessere Arbeitsbedingungen und dadurch höhere Zufriedenheit für das medizinische Personal.

Sie sprechen von einer steigenden Nachfrage seitens der Spitäler. Welche Anwendungsfälle sind dort aktuell besonders gefragt?

Marvin Karacsony: Wir beobachten, dass Ärzte bereits heute private ChatGPT-Accounts nutzen – nicht nur für spezifische Wissensabfragen, sondern auch für sensible Aufgaben wie die Dokumentation und Auswertung von Patientengesprächen oder gar für die Erstellung von Tumorboards. Einerseits wird so das Potenzial von GenAI nur unvollständig ausgeschöpft, da Chat­GPT ein generelles, nicht spezifisch für den medizinischen Bereich entwickeltes Tool ist. Andererseits birgt dessen Verwendung zudem erhebliche Risiken. Entsprechend gross ist das Interesse an einer sicheren Schweizer Lösung. Aktuell besonders gefragt ist – zusätzlich zur Strukturierung und Zusammenfassung von Daten durch KI – Ambient Listening, also Listen-Scribe, kombiniert mit einer Übersetzung für die automatische Dokumenta­tion, einer KI-Zweitmeinung sowie der strukturierten Auswertung von Operationsberichten, etwa für das SIRIS-Register. Ebenso besteht eine grosse Nachfrage nach dem Interagieren per Chat mit derartigen Daten.

kaiko.ai hat für Spitäler eine Art sicheres, kliniktaugliches ChatGPT mit vorgefertigten Reportvorlagen entwickelt. Was bedeutet «sicher» in diesem Kontext, warum ist das für das Gesundheitswesen entscheidend und weshalb benötigt es eingebaute Vorlagen?

Karacsony: Sicher bedeutet im Zusammenhang mit dem von uns entwickelten kliniktauglichen Chatbot, dass alle Daten in der Schweiz oder EU verarbeitet werden. Unser Unternehmen entspricht den höchsten Datenschutzstandards und ist ISO-27001-zertifiziert. Wir prüfen derzeit auch eine Integration von Apertus, dem LLM der ETH/EPFL. Unser System läuft ausserdem in der Infrastruktur des Spitals oder bei souveränen Schweizer Anbietern. Wir selbst speichern keinerlei Daten. Damit bieten wir eine bessere Compliance und ermöglichen den Einsatz moderner KI im Klinik­alltag. Agents und Ready-to-use-Templates erlauben es den Usern, nach der Datenstrukturierung direkt den gewünschten Report zu erstellen, wie etwa den Austrittsbericht für Patienten in verständlicher Sprache.

Sie haben bereits Ihre hohen Datenschutzstandards und die ISO-27001-Zertifizierung Ihres Unternehmens erwähnt. Wie gehen Sie ausserdem mit den hohen Anforderungen an Datensicherheit und regulatorischen Zulassungen im Medtech-Bereich um?

Karacsony: Datenschutz und Datensicherheit sind für uns Grundlage, besonders im sensiblen Umfeld des Gesundheitswesens. Wichtig ist für uns die wissenschaftliche Tiefe: Wir arbeiten eng mit klinischen Partnern zusammen und validieren unsere Modelle in realen Szenarien. Als Mitglied des ETH AI Centers sind wir Teil eines starken akademischen Umfelds. So verbinden wir Forschung, Datenarchitektur, klinische Validierung und Produktentwicklung zu einer geschlossenen Einheit. Wir entwickeln unsere Lösungen Schritt für Schritt entlang der regulatorischen Anforderungen im Medtech-Bereich. Langfristig prüfen wir eine Zertifizierung als Medical Device. Das bedeutet klare Dokumentation, strenge Validierung der Modelle und die frühe Zusammenarbeit mit führenden Kliniken wie dem NKI in Amsterdam und Schweizer Universitätsspitälern.

Die Rega nutzt seit einem Jahr KI-Übersetzungen für fremdsprachige Patientendossiers durch das Tool, das kaiko.ai entwickelt hat. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen und welche Rolle spielt sie für die Entwicklung von kaiko.ai?

Karacsony: Unsere KI-Lösung wurde gemeinsam mit dem NKI für – onkologische – Patientendossiers entwickelt und validiert. Diese Dossiers gehören zu den komplexesten im Gesundheitswesen und enthalten oft hunderte Seiten mit Laborwerten, Bilddaten und handschriftlichen Notizen, die korrekt verarbeitet werden müssen. Learnings aus dieser Entwicklung haben uns dazu befähigt, KI auch für einen spezifischen Anwendungsfall der Rega bereitzustellen. Die Repatriierungsabteilung der Rega nutzt das «kaiko.ai-»Tool, um fremdsprachige Patientendossiers schnell und zuverlässig zu übersetzen, zu strukturieren und zusammenzufassen. Es resultiert eine massive Zeitersparnis und verbessert die Qualität der medizinischen Entscheidungen.

Auf der Deep Tech Map wird Zürich als Hotspot genannt. Wie wichtig ist für Sie der Zugang zu talentierten Fachkräften in KI, Medizin und Biotech?

Berke: Zürich ist dafür der perfekte Standort. Die Nähe zur ETH und die Dichte an internationalen Tech- und Biotech-Unternehmen machen die Stadt zu einem der spannendsten Hotspots weltweit. Wir profitieren von einem einzigartigen Pool an Fachkräften, die Exzellenz mit Purpose verbinden – und das gibt uns als Unternehmen enorme Stärke.Karacsony: Wir geben unseren Mitarbeitenden die Chance, echten medizinischen Fortschritt mitzugestalten und Zugang zu sogenannter Frontier AI zu erhalten – der Arbeit mit grossen Trainings und modernster Forschung. Das zieht Talente an, die nicht nur technisch exzellent sind, sondern ihren Beitrag für Patientinnen, Patienten und das gesamte Gesundheitswesen leisten wollen.

kaiko.ai ist ein niederländisches Unternehmen und verfügt in Zürich über eine Zweigniederlassung. Was war Ihre Motivation, hier in Zürich einen Sitz zu eröffnen?

Berke: kaiko.ai ist von Anfang an als schweizerisch-niederländisches Start-up gewachsen. Die Aufteilung hat sich ganz natürlich ergeben: Ich lebe in Zürich, mein Mitgründer und CEO Thomas Hufener in Amsterdam. Heute arbeiten rund 50 Prozent unserer Engineers hier in Zürich. Der Standort bietet uns Zugang zu hervorragenden Talenten, etwa aus dem Umfeld der ETH Zürich oder von internationalen Tech-Firmen wie Google. Gleichzeitig konnten wir von Beginn an eng mit dem NKI in Amsterdam zusammenarbeiten, einem der führenden Krebsforschungszentren Europas. Und wir haben auch in der Schweiz in unmittelbarer Nähe Zugang zu weltweit führenden Spitälern. Diese Kombination aus Talentpool in Zürich und wissenschaftlicher Exzellenz in den Niederlanden prägt bis heute unsere Struktur.

Wo sehen Sie kaiko.ai in fünf Jahren – als Partner in der personalisierten Medizin, als Plattform für Spitäler oder als globalen Anbieter von sicheren Medtech-KI-Lösungen?

Berke: Stellen Sie sich eine Medizin vor, in der Ärztinnen und Ärzte nicht von Aktenbergen gebremst werden, sondern sich voll auf ihre Patientinnen und Patienten konzentrieren können. Genau hier setzt KI an. Mit «kaiko.w» haben wir den ersten sicheren, kliniktauglichen Agentic Assistant geschaffen – ein Partner, der wie ein Expertengremium rund um die Uhr verfügbar ist und den Klinikalltag verändert. So entsteht eine neue Form klinischer Intelligenz. Medizin wird präziser und vorausschauender, kein Zusammenhang bleibt unentdeckt. Und es bleibt mehr Zeit für das, was den Kern der Heilkunst ausmacht: die Begegnung von Mensch zu Mensch.


Zu den Personen

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Robert Berke ist Mitgründer und CTO von kaiko.ai. Er promovierte 2008 in Computer Science an der ETH Zürich mit Schwerpunkt auf extremaler Graphentheorie, Colorings, Transversalen und verwandten Strukturen und Algorithmen. Zuvor absolvierte er den Master in Computer Science an der ETH Zürich mit Fokus auf theoretische Informatik und Kryptografie. 2009 forschte er als Postdoktorand am Tokyo Institute of Technology zur Average-Case Complexity Theory. Beruflich sammelte er umfassende Erfahrung in leitenden Forschungs- und Entwicklungspositionen, unter anderem bei IMC Trading.Mit kaiko verfolgt Berke die Vision, komplexe medizinische Daten durch multimodale KI nutzbar zu machen und so eine neue Qualität der klinischen Entscheidungsunterstützung zu ermöglichen.

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Marvin-Sebastian Karacsony ist Director of Commercial bei kaiko.ai und bringt Erfahrung in Digitalisierungsprojekten bei Krankenkassen, Pharmaunternehmen und im Finanzsektor mit. Berufliche Stationen waren etwa Microsoft und Evernote. Ausserdem arbeitet er in strategischen und leitenden Funktionen in der Digitalagentur- und Start-up-Welt. Zuletzt war er Managing Director bei Hmmh Suisse, einer führenden Digitalagentur Deutschlands. Sein Hintergrund vereint ein Nachdiplom in Management, Leadership & Economics an der Universität St. Gallen mit einem Master of Arts in Digital Management bei Hyper Island in London und Manchester. Zudem vertiefte er sein Wissen in agilen Methoden, Business Model Innovation und Customer Experience. Bei kaiko gestaltet er die kommerzielle Strategie, baut Partnerschaften mit Spitälern und Fachpartnern aus und stärkt die marktübergreifende Positionierung des Unternehmens.

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dAtgxEAU