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"BPM ist die ureigenste Managementdisziplin überhaupt"

Uhr | Aktualisiert
von Simon Zaugg

Clemente Minonne von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sagt im Interview, wie gross die Kluft zwischen Forschung und Praxis beim Thema BPM wirklich ist. Er sieht ausserdem Anzeichen, dass sich nicht mehr nur primär IT-, sondern auch BWL-Studenten für das Thema interessieren.

Clemente Minonne, Head of Research Group for Knowledge and Information Management, erforscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die neusten Trends im Business Process Management.
Clemente Minonne, Head of Research Group for Knowledge and Information Management, erforscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften die neusten Trends im Business Process Management.

Herr Minonne, was beschäftigt Sie derzeit am meisten im BPM-Umfeld?

Vielerorts sind Forscher der Meinung, dass das Thema schon längst durch sei und fragen mich, weshalb ich noch Energie in BPM investiere. Da bin ich anderer Meinung. Wenn ich Unternehmen besuche, dann zeigt sich nämlich genau jenes Bild, das sich auch in unserer Studie "BPM 2011: Status quo und Zukunft" widerspiegelt, die wir bei über 200 Unternehmen im deutschsprachigen Raum durchgeführt haben. Demnach gehören lediglich 7 Prozent der Unternehmen bezüglich BPM zu den sogenannten "World Champions". 32 Prozent sind auf gutem Wege. Weit über die Hälfte steht jedoch noch ziemlich am Anfang. Die Forschung sieht dagegen verschiedene weitere Trends: Die besagen, dass BPM im Kontext von cloudbasierten Diensten ein riesiger Trend sein wird. Weiter kommt die Einbettung der Social-Media-Plattformen in den BPM-Lifecycle dazu. Zu Big-Data-Analytics wird zudem gesagt, dass man neue Intelligenz aus den Prozesskennzahlen erzeugen und proaktiv prozessbezogene Initiativen starten kann. Die Forscher scheinen es dagegen überhaupt nicht interessant zu finden, zum Beispiel auf dem Gebiet der "Prozesskostenanalyse" weiterführende praxisorientierte Grundlagen und Modelle zu schaffen. Manchmal vergessen sie, welche Unterstützung die Praxis wirklich benötigt.

Wie gut ist BPM denn eigentlich an den Hochschulen verankert?

Man darf heute mit gutem Gewissen sagen, dass das Thema auch im Hochschulumfeld völlig vernachlässigt wird. Das Prozessmanagement ist zwar Teil diverser Studiengänge. Ganze Module zum Thema gibt es jedoch eher selten und komplette Studiengänge sind die Ausnahme. BPM scheint ein analytisches Thema zu sein, das vorab ITler interessiert – Betriebswirte finden daran eher weniger Gefallen. Erfreulich ist jedoch, dass es immer mehr BWLer gibt, die mich anfragen, Semester- oder Diplomarbeiten zum angewandten Prozessmanagement zu betreuen. Das zeigt, dass sie dort Potenzial sehen.

Was sind denn im Kontext von BPM konkrete Bedürfnisse von Unternehmen?

Für sie gilt es, primär dafür zu sorgen, dass sie nicht ins Straucheln geraten. Das heisst, sie müssen Methoden und Systeme entwickeln, um in erster Linie adäquate Prozesskostenanalysen durchzuführen. In vielen Branchen, die einem Verdrängungsmarkt ausgesetzt sind, kann mit dem aktuellen Geschäftsmodell nur noch erfolgreich bleiben, wer bei ganz bestimmten Prozessen erfolgreich Kostensenkungsmassnahmen umsetzt. Dann kann man trotz stagnierendem Umsatz mehr Gewinn erzielen; eine Kunst! Entgegen der vielerorts herrschenden Hochschulsicht wird es künftig so sein, dass die Praxis-Trends in Richtung Effektivitätssteigerung gehen werden, bei der es um Qualität und Innovation geht – und nicht in Richtung Effizienzsteigerung, bei der es um die Produktivität geht. Man darf ganz grundsätzlich nicht vergessen, dass BPM im Grunde genommen die "ureigenste" Managementdisziplin überhaupt ist. Wenn ich als Unternehmen eine Organisationsstrategie entwickle, dann gehe ich drei Phasen durch: die Analyse, die Entwicklung sowie die Umsetzung der Strategie. Der Analyseteil ist Fleissarbeit. Der Entwicklungsteil ist eine Frage der Kreativität und der Umsetzungsteil bleibt dann eine ziemliche Knochenarbeit. Dasselbe gilt es auch zu tun, bevor überhaupt BPM-Lösungen eingeführt werden. Basierend auf dem bestehenden Geschäftsmodell muss zum Beispiel eine stringente Prozesslandkarte definiert werden. Darunter werden die Geschäftsprozesse bis auf die Ebene der Elementarprozesse zerlegt, bis sie nicht mehr weiter zerlegt werden können. Die Hausaufgaben muss man eben vorher machen!

Falls ein Unternehmen BPM ernsthaft umsetzen will, woran mangelt es denn meistens?

Ich wurde gerade kürzlich von einem Mitglied einer Geschäftsleitung kontaktiert. Der Grund war, dass sie zwar auf bestem Wege sind, BPM im professionellen Sinne zu implementieren, jedoch nach der Erarbeitung der Prozesslandkarte und der Modellierung ausgewählter Prozessketten nun irgendwie feststecken. Sie haben erkannt, dass zwischen ihrer neuen strategischen Intention und dem, was konsequenterweise im Bereich des Prozessmanagements gemacht wird, nur ein gering nachvollziehbarer Link existiert. Das bedeutet, dass es eben unsere Aufgabe sein muss, diesen Führungskräften zu erklären, wie dieser Link zustande kommt und operationalisiert werden kann.

Wie beurteilen Sie die Chancen für neue ­Player mit BPM-Dienstleistungen?

Man wird künftig ganz neuartige Firmen am Markt antreffen. Es wird Unternehmen geben, die im Mandatsverhältnis die volle Verantwortung für die Durchführung hochspezialisierter und branchenspezifischer Prozesse übernehmen. Da wird es auch sehr grosses Potenzial für Lösungsanbieter geben. Insgesamt ist es jedoch ganz wichtig, dass man zwischen BPM-as-a-Service und BP-as-a-Service unterscheidet. Viele machen heute diese Unterscheidung kaum.