Interview mit Fred van den Anker, FHNW

"Wir können Teil des Designs sein"

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Eine App ist nicht die Antwort auf alles. Wer mit Software ein Problem lösen will, sollte stets den Menschen über die ­Technik stellen. Was das fürs User Experience Design bedeutet, was eine gute User Experience ausmacht und was den Designprozess erschwert, erklärt Fred van den Anker, Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW.

Fred van den Anker, Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. (Source: zVg)
Fred van den Anker, Dozent an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. (Source: zVg)

Was macht eine gute User Experience aus?

Fred van den Anker: Der Begriff User Experience, auf Deutsch Nutzer- oder besser Nutzungserleben, ist relativ neu. Früher wurde von Usability und Usability Engineering gesprochen, heute häufig von User Experience, kurz UX, oder UX-Design. Was eine gute User Experience ausmacht, kann allerdings weit über Usability hinausgehen. UX kann deshalb als eine Art «Usability plus» verstanden werden.

Was bedeutet das?

Um eine positive User Experience zu ermöglichen, soll eine hohe Usability weiterhin gegeben sein. Dies bedeutet, dass das Produkt den Nutzern eine effiziente, effektive und zufriedenstellende Aufgabendurchführung ermöglichen soll. Natürlich soll das Produkt uns auch die Funktionen bieten, die wir brauchen, um das machen zu können, was wir machen wollen oder müssen. Bei der Herstellung einer guten User Experience geht es aber auch verstärkt darum, dass die Produktnutzung selbst Spass macht.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Games sind dafür ein gutes Beispiel. Eine positive User Experience kann auch dadurch entstehen, dass wir ein Produkt als schön oder anregend empfinden. Dabei reicht es eben nicht aus, sich im Design auf eine effektive und effiziente Aufgabendurchführung und die Vermeidung von Usability-Problemen zu konzentrieren. Wenn wir mit einem Produkt Freude, Genuss oder Begeisterung statt nur Zufriedenheit auslösen wollen, sollen auch vermehrt emotionale Effekte der Produktnutzung erzielt werden. Dies entsteht vor allem dann, wenn unsere zentralen Anliegen und Bedürfnisse, die Dinge, die uns im Leben wichtig sind, berührt werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es um Vergnügen, Stimulation, Selbstverwirklichung, Autonomie, Zugehörigkeit oder Image geht.

Passt sich das User-Experience-Design den Menschen an oder eher umgekehrt?

Nach der alten Grundregel der Ergonomie würde man klar antworten: Das Design passt sich natürlich der Funktionsweise, den Stärken und Schwächen des Menschen an und nicht umgekehrt. Die Realität ist aber oft anders.

Inwiefern?

Es fängt schon damit an, dass oftmals für die Verwendung neuer Systeme und Anwendungen Instruktionen oder Trainings gebraucht werden. Die Einführung von Systemen in Organisationen führt auch nicht selten zu Änderungen in der Organisation, zu neuen Aufgaben und Rollen der betroffenen Akteure oder zu anderen Kooperationsformen. Soweit diese Änderungen erwünscht sind, sollen sie ja auch mitentwickelt werden und werden somit Teil eines soziotechnischen Designs. Solche Änderungen stellen dann auch oft wieder neue Anforderungen an die Menschen im System. Interessant im Bereich Service-Design ist, dass bei manchen Services das Verhalten der Mitarbeitenden regelrecht orchestriert wird und in der Folge von den Mitarbeitenden – beispielsweise vom Kabinenpersonal in Flugzeugen – sogenannte Emotionsarbeit für die Kunden geleistet werden muss. Wir können also als Menschen auf verschiedene Weise selbst Teil des Designs sein.

Wie findet man heraus, wie ein Feature aussehen soll?

Dafür können wir im Bereich User-centered Design auf etablierte Guidelines und eine Menge an Erfahrung über die letzten Jahrzehnte zurückgreifen. Prototypen mit den realen Nutzern zu testen, sollte dabei natürlich auch ­immer Bestandteil der iterativen Lösungserarbeitung sein. Viel wichtiger ist aber die Frage, wie man heraus­finden kann, welche Features es braucht. Das bestimmt, wie nützlich ein Produkt für die Nutzer ist. Die sogenannte wahrgenommene Nützlichkeit spielt eine viel stärkere Rolle bei der Technologieakzeptanz als die wahrgenommene Usability. Das heisst, wir nehmen ein bestimmtes Ausmass an Usability-Mängeln im Kauf, wenn uns das Produkt die Funktionalitäten bietet, die wir brauchen, um das machen zu können, was wir möchten. Entsprechend lohnt es sich dann auch, in die Anfangsphasen der Entwicklung zu investieren, die wichtigsten Nutzer­probleme und Bedürfnisse zu ermitteln, um letztlich die Produkte entwickeln zu können, die Nutzer auch wirklich als nützlich oder sinnvoll wahrnehmen.

Was sind die grössten Fehler, die man beim UX-Design einer App machen kann?

Es gibt einige grundlegende Fehler, die man auch bei sonstigen Anwendungen und Produktentwicklungen machen kann: Häufig werden die Zielgruppen und Prozesse, die unterstützt werden sollen, zu wenig beachtet. Es wird nicht iterativ entwickelt oder nicht mit den wirklichen Nutzern getestet. Oder die Nutzer werden mit zu vielen Funktionen, Informationen und Aktionen überfordert. Der vielleicht grösste Fehler ist, fast automatisch davon auszugehen, dass eine App die Lösung ist, statt sich alternative Lösungen für die identifizierten Probleme zu überlegen. In einigen unserer Projekte sind wir schon einige Male mit der Frage konfrontiert worden, ob eine App wirklich der richtige Lösungsweg ist, wenn es zum Beispiel um ältere Nutzergruppen geht.

Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen im ­UX-Design?

Eine der zentralen Herausforderungen im Designprozess ist, die Nutzer des Produkts, ihre kooperativen Aktivitäten, Probleme und Bedürfnisse zu verstehen und diese Erkenntnisse zum Nutzungskontext auch im Laufe des Entwicklungsprozesses einzubringen. Hier sehe ich auch eine besondere Herausforderung für UX-Design in Verbindung mit der agilen Entwicklung. Einerseits fordern die kurzen Zyklen in der agilen Entwicklung eine grössere Effizienz und zeitliche Flexibilität von UX-Research und -Design. Andererseits gilt es auch, die UX-Sicht stärker in die agile Entwicklung einzubringen, zum Beispiel durch eine bessere Verknüpfung von User Storys mit den in einer Kontextanalyse identifizierten Problemen und Bedürfnissen der Nutzer. Auch bei der Konkretisierung von Lösungen ist es eine Herausforderung, eine ganzheitliche Sicht aufs UX-Design zu bewahren und zu vermeiden, dass zu schnell ein einseitiger Fokus auf das User Interface gelegt wird.

Wie kann man das verhindern?

In unserer Arbeit setzen wir dazu Kontextszenarien und partizipative Zukunftssimulationen ein, die es den künftigen Nutzern ermöglichen, ihre künftigen Aktivitäten zu durchlaufen und zu erproben. Das kann auch zu ganz anderen Lösungsrichtungen führen. Dies tangiert somit den Bereich der Human-centered Innovation. Hier können wir auch von einer stärkeren Integration von Design-Thinking-Ansätzen und Kreativitätstechniken im UX-Design profitieren. Nicht zuletzt sind wir im UX-Bereich verpflichtet, darüber nachzudenken, wie wir neue technologische Möglichkeiten erfolgreich im UX-Design selbst einsetzen können. So haben wir in den letzten Jahren in unseren Projekten immer wieder Plattformen eingesetzt, auf denen die Nutzer selbst relevante Daten sammeln und Probleme sowie Verbesserungsvorschläge posten können.

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DPF8_157880