Focus: Arbeitswelt 4.0

Quellcode der Bildung: Warum jeder ­Beruf jetzt KI-Skills braucht

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von Toby ­Habegger, Leiter der neuen KI-Fachstelle, ICT-Berufsbildung Schweiz

Neben Lesen, Schreiben und Rechnen wird KI-Literacy zur Grundausstattung jedes Berufs. Dieser Fachbeitrag zeigt auf, wie künstliche Intelligenz die Berufsbildungen neu definiert, wie die Schweiz mit neuen Angeboten den Weg weist und warum Schulen und Ausbildungsstätten auf diesen Trend setzen sollten.

Toby ­Habegger, Leiter der neuen KI-Fachstelle, ICT-Berufsbildung Schweiz. (Source: zVg)
Toby ­Habegger, Leiter der neuen KI-Fachstelle, ICT-Berufsbildung Schweiz. (Source: zVg)

Wir beginnen mit einem Blick in den Rückspiegel: 1984 erregte ein Experiment des Bildungspsychologen Benjamin Bloom grosse Aufmerksamkeit. Er teilte Lernende in zwei Gruppen ein. Eine lernte in konventionellen Klassen, die andere erhielt Einzelunterricht. Das Resultat: Die individuell Betreuten überflügelten die Vergleichsgruppe um zwei volle Leistungspunkte – ein Beleg für das, was bereits lange vermutet wurde.

Die ernüchternde Wahrheit: Wer kann, leistet sich seit jeher eine private Lehrperson für bessere Bildung. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft der Bildung bestand auch nach dem Experiment weitere 38 Jahre – denn nur wenige können sich Privatunterricht leisten.

Dann kam das Jahr 2022. Plötzlich gab es öffentlich zugängliche KI-Sprachmodelle und veränderten alles. Ethan Mollick, Autor des visionären Buchs "Co-Intelligenz", nennt sie schlichtweg die "ultimative Bildungstechnologie". Er schreibt: "Die KI nivelliert die Unterschiede." Das zeige sich in immer mehr Bereichen. "Ein Mensch, der mit einer KI-Co-Intelligenz zusammenarbeitet, übertrifft auch die leistungsstärksten Menschen, die ohne KI arbeiten." Um die von Mollick prognostizierte Nivellierung zu ermöglichen, müssen indes auch bildungsschwächere Gruppen für den KI-Gebrauch befähigt werden.

Wenn Maschinen zu Lern-Buddys werden

KI kann didaktische Konzepte in Berufsfachschulen und an Arbeitsplätze bringen, die individualisiertes Lernen für alle ermöglichen: persönliche Lern-Buddys – rund um die Uhr verfügbar, unendlich geduldig, immer freundlich und individuell anpassbar. Adaptive Lernplattformen erkennen Stärken und spüren Schwächen auf.

In der Ausbildungspraxis zeigt sich die Kraft der KI bereits deutlich. Immer mehr Lernende nutzen sie für Routineaufgaben, zur Vertiefung oder für Simulationen. Sie werden zu Entdeckerinnen und Entdeckern ihrer eigenen Bildungsreise: "Es ist viel besser, wenn wir KI offen im Unterricht ausprobieren können, anstatt sie heimlich zu nutzen", berichtet eine Berufsschülerin in der Fachzeitschrift "Transfer". Während manche Schulen noch KI-Verbote aussprechen, entdecken progressive Bildungseinrichtungen den Nutzen des offenen Umgangs.

Hier wird es richtig spannend: KI erobert nicht nur IT-Abteilungen, sondern auch kaufmännische, kreative und gewerbliche Berufe. In naher Zukunft wird KI in allen Branchen zur Effizienzsteigerung integriert sein. KI-Kompetenz wird zur neuen Grundausstattung – so unverzichtbar wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Doch Vorsicht: Es geht nicht nur ums Bedienen. Kritisches Denken wird umso wichtiger, denn wer KI-Ergebnissen blind vertraut, tappt in die Falle. Die neue KI-Literacy verlangt Verständnis, Skepsis, persönliche Werte und die Fähigkeit zur Plausibilitätsprüfung.

Die Schweiz als Vorreiterin: Vom Labor in die Praxis

Die Schweiz zeigt den Weg: 2025 gründete ICT-Berufsbildung Schweiz eine KI-Fachstelle – aus der Berufspraxis, für die Berufspraxis. Noch ambitionierter: Der erste eidgenössische KI-Fachausweis entsteht. Mit grünem Licht vom Staatssekretariat für Bildung startete ICT-Berufsbildung Schweiz im August 2024 die Entwicklung einer höheren Berufsbildung in KI. 2026 sollen die ersten Kandidatinnen und Kandidaten zur Berufsprüfung antreten können.
Wir stehen an einem Wendepunkt. Die Frage ist nicht mehr, ob die KI-Revolution in der Bildung ankommt, sondern wie schnell wir sie annehmen und gestalten. Lasst uns gemeinsam den Quellcode der Bildung neu schreiben, denn Veränderung ist die einzige Konstante.

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